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Artikel 6283
Ralf Hansen

Ein Praxishandbuch zum Schuldrecht

Eine Rezension zu:

Kurt Schellhammer Schuldrecht nach Anspruchsgrundlagen
samt BGB Allgemeiner Teil

Reihe: Recht in der Praxis

4. Aufl., Heidelberg: C.F. Müller, 2002, 1096 S., 79,- EURO

ISBN 3-8114-50061-1

http://www.cfmueller-verlag.de

Mit der vierten Auflage bringt Kurt Schellhammer sein voluminöses Werk für die Praxis auf den Stand der Schuldrechtsreformgesetze, zu denen - soweit ersichtlich - noch keine nennenswerte Rechtsprechung vorliegt. Das Vorwort listet die verarbeiteten Gesetze auf. Liest man diese Liste, weiß man, daß der Rechtsanwender in unseren Zeiten, wie der Verfasser eingangs des Vorwortes schreibt, nichts mehr zu lachen hat. Für Rechtsanwälte potenziert sich dies angesichts der permanenten Umwälzung des Rechts zu erheblichen Haftungsrisiken, die letztlich nur anhand klug ausgewählter Lektüre minimiert werden kann. Der Griff zu derartigen Handbüchern liegt daher für alle Betroffenen nahe. Der heutige Gesetzgeber ist in fast allen Bereichen zu einer großen Rechtsumwälzungsmaschine geworden, in der das geltende Recht in immer kürzeren Phasen neu umgebrochen wird. Angesichts der Komplexität der Lebenswelt steht indessen der „Rückweg" zum „guten, alten Recht" nicht mehr offen, da immer neue Entwicklung, auch technischer Art, eine - für die Zukunft präventiv wirkende - Reaktion des nationalen Gesetzgebers nach sich ziehen, der immer stärker unter den Druck der europäischen Rechtsnormenerzeugungsmaschinerie gerät. Manche nennen das postmodernes Recht. Das Recht hat allerdings längst virtuelle Formen angenommen, weil in vielen Teilbereichen auf den schon gedruckten Text ohne Onlinerecherche oftmals nicht mehr vertraut werden kann, wie etwa im Arbeits- und Sozialrecht, vom Internetrecht ganz zu schweigen. Schellhammer findet dazu im Vorwort deutliche Worte der Kritik, auch zur Gesetzesabfassungstechnik, die zu immer unverständlicheren Textkonstrukten führt, die der Adressat des Rechts - der Bürger - ohne den Juristen als „Übersetzer" kaum mehr nachvollziehen kann, was die Entwicklung des Anwaltsmarktes durchaus begünstigt. Auch in Zeiten der „Virtualisierung des Rechts" sollte es möglich sein, „rechtstechnische" Standards einzuhalten, die eine angemessene Rechtsanwendung auch ermöglichen. Zuzustimmen ist Schellhammer, daß Transparenz und Effizienz zugunsten der permanenten Hervorbringung von Rechtsunsicherheit weitgehend gewichen ist, was den Juristen nicht davon enthebt, sich mit dem jeweils geltenden Recht zu befassen, da nur dieses anzuwenden ist. Als Beispiel nennt er in der Einleitung § 1587 o BGB. Um dem Rechtsanwender dies zu erleichtern hat Schellhammer in souveräner Form die neuen Strukturen des Schuldrechts herausgearbeitet und so systematisch wie möglich dargestellt. Ein gewisser Unsicherheitsfaktor besteht dabei stets noch darin, daß nicht in allen Einzelheiten abzuschätzen ist, wie einzelne Normen im Detail von der Judikatur angewendet werden. Dies erfordert einen jahrelangen Prozeß. Insoweit ist die Situation der Rechtsanwendung nach 1900 cum grano salis vergleichbar. Allerdings war das alte Schuldrecht bei weitem nicht so gut, daß es nicht verbesserungsfähig war und andererseits ist das neue Recht nicht so schlecht, daß das alte Recht ihm in allen Teilen vollständig überlegen war. Hier wie im Regelfall liegt die angemessene rechtspolitische Beurteilung wohl in der Mitte.

Die Zielsetzung des Werkes ist unverändert geblieben: Das Buch soll nicht Examenswissen vermitteln (wie etwa das jetzt ebenfalls neu erschienene Werk von Medicus "Bürgerliches Recht", das jeder Examenskandidat kennt), sondern eine systematische Aufbereitung des Stoffes für die Rechtsanwendung in der Praxis leisten. Der Verfasser hat mit seinem Werk eine Art systematischen Kommentar anhand der Anspruchsgrundlagen geschaffen, der mehr oder weniger einzigartig ist. Es schreitet vom "Normalfall" zum "Störfall".

Verschiedentlich wird an Schellhammers Werken die weitgehende Nichtrezeption der Literatur kritisiert, denn er zitiert sei je fast nur die Rechtsprechung, insbesondere des BGH. Er begründet dies damit, daß das Recht so gilt, wie der BGH es anwendet (sofern seine Judikatur sich nicht einmal ändert oder die Gesetze geändert werden). Er will dem Juristen daher die Kenntnis dieser Rechtsprechung entlang des Anspruchaufbaues vermitteln, zu deren Kenntnisnahme er als Rechtsanwalt verpflichtet ist (BGH, NJW 1993, 3323). Zutreffend wird darauf hingewiesen, daß die Nichtberücksichtigung dieser Rechtsprechung die Berufshaftung auslösen kann (eingehend, Hörmann, Martin, Die zivilrechtliche Haftungssituation des Rechtsanwaltes, Aachen, 1999). Dies ist schwierig bei Normen, zu denen Rechtsprechung nicht ergangen ist, so daß eine intensivere Befassung mit Gesetzgebungsmaterialien und Literatur insoweit noch unausweichlich ist. Soweit die ältere Rechtsprechung zu den von der Schuldrechtsreform und weiteren Gesetzen betroffenen Normenkomplexen noch verwertbar ist, wird sie umfassend ausgewertet.

Das Werk gliedert sich in drei Bücher: 1. Schuldrecht Besonderer Teil oder vom Kauf bis zur unerlaubten Handlung, 2. Schuldrecht Allgemeiner Teil oder: Das Schuldverhältnis, und, BGB Allgemeiner Teil oder das Rechtsgeschäft. Damit schreitet der Verfasser vom Besonderen zum Allgemeinen. Vorgeschaltet ist ein „Vorspann", der die Bereiche „Zivilrecht und BGB, Anspruch und Beweislast" dem Leser mit leichter Feder verständlich macht. Besonders interessant sind die Ausführungen über die Rechtsanwendung und die Auslegung. In dieser Einleitung verteidigt er den Anspruchsbau so engagiert wie anderswo die Relationstechnik (Die Arbeit des Zivilrichters, 2002) und damit auch die aktionenrechtlich geprägte Tradition des kontinentaleuropäischen Rechts. Alternativen zu diesem Aufbau bestehen letztlich nicht, auch wenn dieser Aufbau durchaus seine Grenzen hat, wie sich nicht zuletzt an diesem Werk zeigt, da ein konsequentes Durchhalten dieses Aufbaues letztlich nicht überall gelingt, wie Einschübe etwa zum Verbraucherrecht zeigen.

Der Einstieg beginnt mit dem Kaufrecht. Zwischen den Zeilen ist die deutliche Kritik des Verfassers an der Reform des Kaufrechts heraus zu lesen. Dies zeigt sich etwa sehr deutlich bei der Darstellung des Sachmangels nach neuem Recht. Schellhammer schlägt angesichts der tiefgreifenden Veränderungen vor, nicht mehr von Gewährleistung, sondern von „Haftung für Sachmängel" zu sprechen, da das Kaufrecht für den Schadensersatzanspruch letztlich nur noch auf die zentrale Leistungsstörungsvorschrift des § 280 BGB in § 437 BGB verweist, eine Norm, die er als unübersichtlich bezeichnet, deren Programm (Nacherfüllungsanspruch; Rücktritt anstelle der früheren Wandelung; Minderung, Schadensersatz) aber in den folgenden Darstellung eingehend erläutert wird. Den Nacherfüllungsanspruch des § 437 Nr.1 BGB hält er mit interessanter Begründung für verzichtbar und sieht dessen einzige Legitimation in der kurzen, eigenen Verjährungsfrist des § 438 I Nr.3 BGB. Es ist angesichts noch anhängiger Fälle sehr sinnvoll, altes Recht und neues Recht gegenüber zu stellen, zumal das neue Recht dann besser verstehbar ist. Dies unternimmt Schellhammer etwa sehr übersichtlich beim Anspruch des Käufers auf den Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung des Kaufvertrags, den das neue Recht nur noch als Ersatz des Mangel- und Mangelfolgeschadens nach § 280 I BGB und anstelle der Kaufsache nach § 281 BGB kennt. Der Verfasser gibt aber den interessanten Hinweis darauf, daß § 325 BGB beim Rücktritt im Synallagma nach § 323 BGB auf § 280 BGB verweist und insoweit letztlich wieder ein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung besteht. Bei der Darstellung des Sachmangels zeigt sich übrigens, daß die bisherige Rechtsprechung noch sehr wohl weiter verwendet werden kann, wenn es um Beschaffenheitsvereinbarungen geht. Es dürfte ein schwerwiegender Irrtum sein zu glauben, die Rechtsprechung würde das Rad neu erfinden, wenn die Möglichkeit des Anschlusses an tradierte Strukturen besteht. Etwas intensiver hätte man sich die Erörterung der Einbeziehung von Werbeaussagen in Beschaffungsheitsvereinbarungen nach § 434 I 3 BGB gewünscht, da diese Norm - die Elemente der CIC in sich aufnimmt - noch erhebliche Praxisrelevanz bekommen dürfte. Der Vorzug eines Aufbaues nach Anspruchsgrundlagen zeigt sich bei der Erörterung der Verteidigungsmöglichkeiten des Verkäufers, die zudem auch interessante Beweislastaspekte anspricht und wiederum zeigt wie bei § 444 BGB an die alte Rechtsprechung zu § 476 BGB a.F. angeschlossen werden kann, was auch für § 309 BGB hinsichtlich eines Ausschlusses durch AGB gilt. Sehr schön dargestellt wird auch die Rechtsmängelhaftung, die nunmehr der Haftung für Sachmängel völlig gleichgestellt ist, so daß angesichts der Rechtsfolgen der §§ 437 - 444 BGB zu § 435 BGB keine strukturellen Besonderheiten mehr ergeben. Auch die Konkurrenzproblematik wird überzeugend dargestellt: es besteht kein Anlaß, etwa die Irrtumsanfechtung neben § 437 BGB zuzulassen, der ein abschließendes Spektrum von Rechten des Käufers bietet, sofern nicht die CIC-Haftung und die unerlaubte Handlung betroffen sind.

Angesichts der Kritik an der Schuldrechtsreform durfte man gespannt sein, welche „lobenden Worte" Schellhammer zur Reform des Mietrechts finden würde, das nach den Intentionen der Reformer, nunmehr jeder Bürger aus sich heraus verstehen sollte, was wiederum die Entfernung mancher Politiker von der realen Lebenswelt zeigt. Schellhammer ist zuzustimmen, daß auch das neue Mietrecht dem Laien zahlreiche Rätsel aufgeben wird, es jedoch dem alten Flickenteppich bei weitem vorzuziehen ist, da die Kritik hier letztlich eher das Detail denn die „große Linie" betrifft. Es gelingt dem Verfasser dieses neue Mietrecht klar zu systematisieren und insbesondere auch die Sachmängelhaftung ebenso wie das Thema der Beendigung des Mietverhältnisses klar darzustellen. Eine intensivere Erörterung der Rechtsprobleme der gewerblichen Miete, auch der gewerblichen Untermiete, wäre ein Wunsch an die nächste Auflage.

Berücksichtigung finden selbstverständlich auch typengemischte Verträge und Verträge auf der Basis der Vertragsfreiheit nach § 305 BGB, wie beispielsweise das Leasing. Völlig neu konzipiert ist die Darstellung des Darlehens. Auf besonderes Interesse des Anwaltspraktikers dürfte die sehr gelungene Darstellung der Anwaltshaftung stoßen, allein schon aus Eigeninteresse, da jeder vermeidbare Fehler zur Haftung führen kann und man diese Rechtsprechung zur Primär- und Sekundärhaftung daher kennen sollte. Hier wird sie komprimiert dargeboten. Die maßgeblichen Entscheidungen werden leitsatzmäßig referiert. Vergleichbare Unterkapitel finden sich zur Arzthaftung und weiteren Berufshaftungsmaterien, jeweils mit Hinweisen zur Beweislast. Seit je besonders lesenswert ist die Darstellung des Werkvertragsrechts im weitesten Sinne, mit dem privaten Baurecht als Kernmaterie, das in mehreren Kapiteln behandelt wird. Gerade der „Baurechtler" findet hier interessante Anregungen für die Bewältigung entsprechender Fälle, angereichert durch ein interessantes Kapitel zum Architektenvertrag. Dies gilt auch für die interessante Darstellung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts als dem Grundtyp der Personengesellschaft, der sich eine ebenso interessante Darstellung des Vereins als Grundtyp der juristischen Person beigesellt.

Die Darstellung des Bereicherungsrechts ist von seltener Klarheit und Systematik, ohne dogmatische Schnörkel. Dies gilt auch für die problematischen Mehrpersonenfälle. Auch wenn der Verfasser weitgehend der Rechtsprechung folgt, wird diese doch auch gelegentlich harscher Kritik unterworfen, etwa wenn der BGH das Bereicherungsrecht als Billigkeitsrecht qualifiziert und auf § 242 zurückführt (Rdnr. 918), was der Verfasser vehement bestreitet. Besonders ausgreifend ist die Darstellung des Rechts der unerlaubten Handlung unter erschöpfender Auswertung der Rechtsprechung. Hier sticht die Darstellung der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts besonders hervor. Angesichts des umfassenden Anspruches des wird auch die Halter- und Fahrerhaftung nach dem StVG kurz dargestellt.

Die Darstellung des allgemeinen Teils des Schuldrechts setzt beim Schuldverhältnis als Obligationenprogramm gerichtet auf Erbringung von Leistungen an. Damit rückt der Verfasser völlig zutreffend die Leistung in das Zentrum des Schuldrechts, der Erfüllung korrespondierend. Zentral ist hier natürlich die Abwicklung von Störungen im Obligationenprogramm, die Schellhammer sehr detailliert behandelt. Auch hier werden alle Neuerungen kritisch verarbeitet (Stichwort: „Eintopf statt Artenvielfalt", nicht zuletzt die zentrale Norm des § 280 I BGB und die Verzugsregelungen. Am Begriff der „Positiven Vertragsverletzung" hält der Verfasser für § 241 II BGB fest. Die neuen Unmöglichkeitsregeln werden mit der alten Regelung konfrontiert, da sie sonst nicht verständlich wären, um den Paradigmenwechsel zur Schuldbefreiung angemessen zu kennzeichnen, Eine entsprechend klare Darstellung finden die Verzugsregelungen und das Rücktrittsrechts des Gläubigers beim gegenseitigen Vertrag.

Im dritten Buch über den allgemeinen Teil stechen besonders die Kapitel über die Auslegung des Rechtsgeschäftes, Bedingungslehre und Stellvertretung hervor. Sicherlich kann man das „Gewollte" nicht auslegen, ohne das es erklärt worden ist, sofern eine empfangsbedürftige Willenserklärung vorliegt. Gerade diese Passagen sind deshalb hoch anregend, weil sie für die Rechtsanwendung fundamental sind. Die Bedingungslehre ist ein schwieriges Terrain, das betreten wird, sofern man einem „Anwartschaftsrecht" nur die Rede ist. Ein „Faszinosum", daß Generationen von Juristen beschäftigt hat, im Zusammenhang mit Eigentumsvorbehalt, Sicherungsübereignung und Vormerkung, bei der man es wegen § 161 BGB allerdings nicht unbedingt benötigt. Dogmatisch tiefgreifend sind die Ausführungen zur Vollmacht. Auch hier mit wird immanenter Kritik an der herrschenden Linie nicht gespart, beispielsweise wo es darum geht das Verhältnis von Haupt- und Untervollmacht für die Zurechnung von Willenserklärungen zu bestimmen. Sehr klar dargestellt sind die neuen Verjährungsregelungen. Dem Verbraucherrecht gilt jetzt ein eigenes Kapitel. Er findet des beißenden Spotts hinsichtlich der Inkorporierung dieser Vorschriften in das BGB, die in der Tat die Arbeit nicht erleichtert, sieht man sich etwa die Arbeit mit verbraucherkreditvertraglichen Regelungen an. Der Vorwurf Schellhammers mag hart klingen, denn er wirft dem Gesetzgeber vor, sich für die Arbeit der Praxis schon lange nicht mehr zu interessieren, unbedingt zutreffend ist aber die These, daß im Rahmen eines Modernisierungsgewaltaktes ein miserabel geknüpfter Flickenteppich von Verbraucherschutzvorschriften geknüpft wurde, die den Umgang mit diesen Normen erschwert.

Schellhammers leicht verständlich geschriebenes Werk ist eine große Hilfe für die Lösung aller Problemfälle des Schuldrechts, insbesondere (aber nicht nur) für Praktiker. Neben seinen Lehrbucheigenschaften hat es alle Qualitäten eines zuverlässigen Handbuches.

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