07.12.2004
Von kulturellen und sittlichen Werten und ihrer Verbindung zueinander
Es kann ja selbst in Juristen-Kreisen vorkommen, dass man fünf oder zehn Minuten eines prall gefüllten Arbeitstages gerade einmal nicht mit der
Schaffung kultureller Werte zubringt. Man macht, nun, eine
Kreativpause. Genau. Damit die zu schaffenden Werte anschließend noch kultureller werden als ohnehin schon. Damit nun auch die Kreativpause nicht in einer
frivol-stillosen Weise vergeudet wird, kann es nicht schaden, sich während dieser Zeit der eigenen Makellosigkeit zu versichern, zum Beispiel, indem man an Online-Umfragen von Karrierezeitschriften teilnimmt.
Der
Knigge-Test, welchen das Manager-Magazin einem kleinen, aber feinen Leserkreis kürzlich via Spiegel online zugänglich machte, war ein wenig
läppisch, aber was will man von billiger Ratgeberliteratur für das glatte Parkett stilvollen Benehmens schon erwarten. Schon die Tatsache, dass mir mit 12 von 22 Punkten gerade noch manierliche Sitten attestiert wurden, zeigt, dass hier wieder einmal
journalistische Banausen am Werk waren, denen jeglicher Sinn für reale Verhältnisse fehlt.
Viele der Fragen waren schlicht zu einfach und störten mich daher in meiner Konzentration. Ja, gut, ich brülle
bei einem Empfang natürlich nicht "Gesundheit" durch's ganze Haus, wenn der Gastgeber niest, das mache ich aber auch bei Personen, die keine Gastgeber sind, nicht sehr oft. Viele der auszuknobelnden Fragen waren außerdem
schlicht irreal, etwa diejenige, ob man an einem Buffet ständig neues Besteck zu sich nehme. Das Manager-Magazin meint "ja", der kultivierte Jurist dagegen weiß:
"Es kommt drauf an." Und zwar vor allem darauf, wie weit inzwischen
das bestecktechnische Chaos auf dem eigenen Tisch fortgeschritten ist. Wenn sich nämlich erst einmal, wie meist, verschiedene Kellner und mindestens zwei Nachbarn über
das eigene Sortiment an Messern, Gabeln, Zangen und was nicht allem hergemacht haben, ist es schlicht egal, ob man noch zusätzliches Material anschleppt. Hauptsache, die
Serviette hängt gerade und die
Krawatte nicht in die Suppe, alles andere wird sich zu Tische schon erweisen.
De more ferenda änderungswürdig ist auch die Anweisung, man solle ein
elegantes Abendessen spätestens eine halbe Stunde nach dem Kaffee oder Digestif verlassen. Die Vorschrift ist zu ungenau, da sie in keiner Weise erkennen lässt,
ab welchem Digestif die Frist läuft. Praktisch wird es auch so aussehen, dass der eigene Chef während und nach verschiedenen Formen des Digestifs mindestens eine Stunde mit dem
Abfackeln einer teuren Zigarre verbringen wird. Es erscheint praxisfremd, dass er die zweite Hälfte des guten Stücks
alleine mit seinem Aschenbecher genießen wollen könnte.
Wenig hilfreich ist zuletzt bei der Frage "Wann ist der früheste Zeitpunkt für
geschäftliche Themen bei einem Geschäftsessen?" die Vorschrift "Der früheste Zeitpunkt ist nach dem Dessert." Das ist schlicht
Quatsch. Nicht unbedingt der früheste aber der einzig richtige Zeitpunkt ist dann, wenn der andere Geschäftspartner so betrunken ist, dass er nicht mehr widerspricht. Zu beachten bleibt alleine, dass man
dieses Stadium nicht vor dem Gegenüber erreichen sollte, sonst kann das ernste Abzüge nicht nur in der
B-Note geben.
Alles in allem lässt sich festhalten, dass
die gute Sitte nicht durch Online-Tests erlernt werden kann, sondern alleine durch praktische Übung und ein tolerantes Umfeld. Und wer über beides nicht verfügt, kann immer noch in einem
stillen Kämmerlein einer gepflegten Kanzlei
kulturelle Werte schaffen.
Mit den besten Grüßen,
Ihr
Justus A. Bonus
Kontakt:
justus.bonus@jurawelt.com