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November 2004: Legalize it – Juristen entdecken Coffeeshops
1. November 2004

Legalize it – Juristen entdecken Coffeeshops


Aus citynahen Standorten ist man das Bild gewöhnt, jedoch auch im Umfeld juristischer und wirtschafts-"wissenschaftlicher" Fakultäten wurde in den letzten Jahren eine auffällige Häufung von Kaffeeschleudern und Sandwichfabrikationen allermodernster Gattung berichtet. Man erkennt sie gewöhnlich an umfangreichen Glasflächen außen, einer besonders spärlichen, dafür aber konsequent lederhaltigen Einrichtung innen und einigermaßen schamlosen Preislisten in Schriftgröße 4,5 an einer möglichst schwer einsehbaren Stelle der Wand.

Die Abfertigungshallen sind in der Regel geräumig, nur exakt in der Mitte der Glasfront findet sich leider nie ein Platz. Denn dort sitzt 24 Stunden täglich ein Quotenjapaner, der mit Hilfe eines blitzenden Laptops einen drahtlosen Internetzugang vortäuscht. Wenn man ihn anspricht, strahlt er nur zurück und beginnt hektisch und unverständlich in ein futuristisch gestaltetes Handy zu quasseln, das dazu einen Beatles-Song mit einer Lichtorgel spielt.

Diese Etablissements residieren gemeinhin unter lustig-hippen Namen wie "Tranque Nationale" oder "German Marshmellow Fund". Das Personal an den "Countern" ist dieser Spaßquote ebenfalls exakt angepasst. Seine Qualitäten liegen freilich eher in einer angemessenen Außenrepräsentation der Marke – gewagte Haartollen männlicher- und beeindruckende Oberweiten weiblicherseits dominieren das Bild. Die inneren Werte entsprechen dagegen meist mehr der Produktpalette als dem schönen Schein: Wenig Geschmack, aber viel Zucker, ein bisschen eintönig, aber nette Namen (außerhalb von Starbucks ist mir noch keine Marette begegnet).

Dennoch wage ich vorherzusagen, dass der Erfolg solcher Kaffeeketten gerade unter Juristen kaum aufzuhalten sein wird. Man mag das schon damit erklären, dass immer mehr Advokaten im Zuge ihrer Anpassung an die moderne Leistungsgesellschaft zu Mitgliedern der offenen Koffeinszene werden. Das halte ich zwar für zutreffend, aber nicht für entscheidend. Was die Juristen mit den Kaffeebrauern wirklich verbindet, ist die Lebenseinstellung, die Freude daran, komplizierte Sachverhalte entscheidend zu reduzieren, ohne sie dadurch verständlicher zu machen. Des Juristen liebste Antwort ist bekanntlich "Das kommt drauf an.", dem entspricht beim durchschnittlichen Coffeeshop-Counteragent ein kompetentes "Ich glaube schon." "Haben Sie eine Tageszeitung ausliegen?" – "Ich glaube schon." – "Die müsste dann doch hier liegen?" – "Ich glaube schon." – "Hat sie vielleicht jemand geklaut?" – "Ich glaube schon." – "Oder haben Sie einfach keine Ahnung?" – "Ich glaube –, äh was?"

Das zweite Bindeglied zwischen BGB und Pappbecher mit Plastikmütze ist die ausgefeilte Systematik. Wer sich schon immer für das intime Zusammenspiel von Absätzen, Halbsätzen, Varianten, Nummern und Regelbeispielen begeistern konnte, wird die Auswahlkarte im Coffeeshop sofort in sein Herz schließen. Wenn Espresso, dann mit Milchschaum? Wenn mit Milchschaum, dann auch mit geschäumter Milch? Man beachte den feinen Unterschied! Und wenn mit Milchschaum und/oder geschäumter Milch, darf es dann holländische, belgische, italienische, schweizerische oder ein Mix aus EU-Milch sein? Dazu vielleicht ein Aroma? Karamel, Zimt, Vanille, Amaretto, Mandel, Kokos? Zucker ja/nein? Koffein? Und was kommt eigentlich nach der Übersetzung in Kindergartenenglisch bei raus? Ob ich wohl meinen Becher "Latte Moccha Macadamia Flavoured Sugar Free Decaf" wirklich mögen werde? – "Ich glaube schon", antwortete mir auf diese Frage letztens der Kaffeefachangestellte. "Obwohl – es könnte vielleicht ein bisschen fad sein, nehmen Sie lieber noch Zucker." Ich hatte das Gefühl, verstanden zu werden.

Herzliche Grüße,

Ihr
Justus A. Bonus

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