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August 2004: Generation Reißwolf
1. August 2004

Generation Reißwolf


"Homo homini lupus est" lehrte schon Thomas Hobbes seine in der Aufklärung befindlichen Leser, wobei er freilich nur recht ungeniert aus Plautus’ Asinaria zitierte, und damit auch noch berühmt wurde. Beiden Herren, Hobbes wie Plautus, dürften zwar die Zustände in einem massenhaft öffentlich genutzten Lesesaal fremd gewesen sein, umso mehr begeistert uns aber die visionäre Kraft, mit der sie das Verhalten des modernen Jurastudenten so treffsicher vorherzusehen wussten.

Mit einigem Missmut werden sich die meisten von uns noch an ihre ersten Hausarbeiten erinnern, anlässlich derer regelmäßig die Dissertation des verantwortlichen Professors, in der er sich auf 300 Seiten über das vermeintliche Hauptproblem ausgelassen hatte, über Wochen aus allen bekannten Regalen verschwand. Nur die Hartnäckigsten vermochten sie nach tagelanger Suche ausfindig zu machen – zwischen einer dünnen Studie über das südpazifische Sozialrecht und einem mitteldick angestaubten Wälzer über vertragliche Asymmetrien im Recht der ehemals blockfreien Staaten. Lohn der Mühe war allerdings meist nur, jetzt schwarz auf weiß zu wissen, was sich die anderen schon gedacht hatten: Auf diese Mindermeinung kommt es gar nicht an.

Zu den Edeljuristen zählt zweifellos auch die Clique, die sich schon eine halbe Stunde vor Bibliotheksöffnung einfindet, um Schlag acht die Regale zu stürmen und nach kleineren Rangeleien mit einem mannshohen Stapel irgendwie relevant aussehender Bücher der letzten Auflage zu einem Tisch zu stolpern. Dort werden die mehrere tausend Seiten umfassenden Schmöker zu einem eindrucksvollen Gesamtkunstwerk geschichtet, das aus Gründen der Statik bis zum Abend nur in Ausnahmefällen berührt werden darf. Schlurft dann der Normal-Student, vom vorhergehenden massiven Koffeineinsatz noch immer unbeeindruckt, gegen halb elf in den Lesesaal, begegnen seiner Bitte, ein Buch ausleihen zu dürfen, meist eine verbissene Miene und ein herausgezischtes "Aber gleich wieder zurückbringen!" Wer klug ist, kommt deshalb gleich erst abends, wenn die Sammler-Clique, vom ständigen Bewachen des Stapels ermüdet, das Feld geräumt hat. Und wer sie dabei schlau abpasst, kann auch gleich noch herausfinden, wo sie die drei Bücher verstecken, die sie für besonders wichtig halten.

Ein Problem allerdings sollte sich zukünftig immerhin lösen lassen, und das hängt mit dem Fortschritt der elektronischen Literaturverwaltung zusammen. Denn sind erst einmal die relevanten Zeitschriften komplett online verfügbar, dann wird denjenigen, die in ihrer Freizeit gerne Bücher abwechselnd horten und verstecken, bald die Lust vergehen, auch noch ihr drittes Hobby zu pflegen, nämlich das Herausreissen von Seiten aus Zeitschriften. Bisher war es ja so, dass in jedem Sammelband einer Ausbildungszeitschrift, der sich nicht dauerhaft beim Buchbinder befindet (Buchbinder, das sei nebenbei bemerkt, ist häufig das Synonym für Unauffindbarkeit, so langsam arbeitet das deutsche Handwerk nun auch wieder nicht!), dass also dort seit Jahren konsequent und systematisch alle Artikel, die auch nur von der entferntesten Relevanz für eine der zahlreichen Hausarbeiten hätten sein können, mit Sorgfalt und ohne Überreste herausgetrennt wurden. An der nicht unerheblichen Dicke der verbleibenden Bände erkennt man übrigens, dass, nun ja, sich die Ausbildung jedenfalls nicht immer nur um Prüfungsrelevantes dreht.

Die Lösungen freilich, um langsam wieder auf Thomas Hobbes zurückzukommen, die zu frühen Aufklärungszeiten für die Auswüchse des menschlichen Miteinanders entworfen wurden, erscheinen in ihrer Anwendung auf die moderne Lesesaal-Population doch ein wenig praxisfern. Sollen wir wirklich im Wege eines Gesellschaftsvertrags aller Büchernutzer die absolutistische Machtposition eines Bibliotheks-Leviathan vereinbaren? Und wird die Hilfskraft an der Ausleihtheke dieser Aufgabe überhaupt gewachsen sein? Ich empfehle hier die Anwendung eines anderen aufklärerischen Prinzips, nämlich der Volkssouveränität. Und wenn diese auch staatstheoretisch höchst spannende Grundsatzfragen aufzuwerfen mag, so wollen wir uns auf die einfach Feststellung beschränken, dass das Fußvolk der Bibliotheksnutzer mit einem gewissen Maß an Souveränität eigentlich recht gut miteinander auskommen könnte.

Mit den besten Grüßen

Ihr
Justus A. Bonus

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