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Juni 2004: Ein Vorurteil namens Ursula
1. Juni 2004

Ein Vorurteil namens Ursula


Im vorletzten Semester meines Studiums lernte ich Ursula kennen, ein wirklich nettes Mädchen, das gut tanzen konnte und sehr schlagfertig war. Außerdem outete sie sich bald als zukünftige Grundschullehrerin. Bei ihr kam es öfters vor, dass wir vor der philosophischen Fakultät saßen, an den Kaffeetassen nippten und Ursula irgendwann meinte: "Ich finde echt, dass diese ganzen Vorurteile gegen das Lehramt Grundschule Blödsinn sind." Dabei spielte sie verträumt mit einem Diddl-Maus-Anhänger an ihrem Rucksack. Irgendwie hat sich diese Bekanntschaft nie vertieft, aber ich schwöre, dass das nichts mit irgendwelchen Vorurteilen meinerseits zu tun hatte. Wahrscheinlich. Und schließlich ist man als Jurist doch viel eher Opfer von Vorurteilen, oder?

Bestes Beispiel ist für mich die Vorstellung bei lockeren Feiern. Ich meine, ich weiß ja nicht, wie Sie von Ihnen völlig unbekannten Personen am liebsten begrüßt werden. Aber "Oh Gott, ein Jurist!" finde ich für meinen Teil nicht wirklich charmant. Und folgender Dialog wird auch Ihnen von feierlichen Anlässen bestens bekannt sein: "Und was machst Du so?" – "Ich habe letztes Jahr das Studium abgeschlossen..." – "Interessant, und in welchem Bereich?" – "Jura." – "Jura? Oh jeee. Entschuldigung, das meine ich jetzt natürlich nicht so..." Ach, woher denn auch. Dabei war das noch ein relativ harmloses Beispiel für die immense Last an Vorurteilen, die bei leicht enthemmten Gelegenheiten rituell über dem Juristenstand ausgekippt wird. Meine persönlichen Top 3 der sozialen Diskriminierung sind hier: Auf Platz drei das bereits zitierte "Oh Gott, ein Jurist.", knapp davor "Jura? Ist das nicht sehr trocken?" und schließlich unanfechtbar in Führung "Aha. Ich muss mal schnell was zu trinken organisieren." Mit Umdrehen und Weggehen. Zum Glück gibt es statistisch ja noch auf der kleinsten Feierlichkeit rund 2,8 weitere Juristen, mit denen man sich dann zur Abwechslung einmal ganz ungezwungen über das Staatsexamen unterhalten kann. Aber davon lieber ein andermal.

Außerhalb der üblichen Vorurteils-Liste läuft bei mir übrigens noch: "Du siehst gar nicht aus wie ein Jurist." Das ist bei Nichtjuristen meistens ein Kompliment der eher mittelprächtigen Sorte, frei nach dem Motto: "Beinahe hätte ich dir vertraut." Das erwärmt doch das Herz! Vielleicht bräuchte unsere Gesellschaft ja doch, wie Juan Moreno dies in seiner Kolumne "Von mir aus" (SZ am Wochenende, 29.5.04) so schön ausgedrückt hat, eine "Das-Sieht-Man-Denen-Doch-an-Präventiv-Sicherheitsverwahrung". Allerdings nicht für Ausländer, sondern für Juristen auf interdisziplinären Parties. Die Freilassung erfolgt dann irgendwann nach Mitternacht im Sofortvollzug, wenn es darum geht, wer das das Taxi für die Heimfahrt bezahlen soll.

Eine völlig andere Bedeutung, das sei der Vollständigkeit halber erwähnt, hat der Satz "Du siehst gar nicht aus, wie ein Jurist." natürlich auf reinen Juristenfeiern – dort ist er der soziale Gnadenschuss. Er signalisiert, dass ein blaues Hemd zwar nicht sein müsse (das gibt zu vorgerückter Stunde nur auffällige Schweißflecken), man aber nächstes Mal den paragraphenförmigen Körper bitte durchaus wieder in ein Polo-Shirt zwängen möge.

Auch Print- und Online-Medien sind in der Einordnung ins passende Klischee nicht zimperlich. Ohne dass ich danach lange hätte suchen müssen, fielen mir in den letzten drei Wochen etwa folgende Passagen auf: "...tippte sie eine Versöhnungs-SMS an ihren Ex-Freund, der durch sein gerade aufgenommenes Jura-Studium (...) auf Konzerten etwas deplatziert wirkte" (Christoph Koch im Mai 2004 auf http://www.jetzt.de). Schon mit Aufnahme des Studiums verabschiedet man sich also zwangsläufig und unwiederbringlich von den Genüssen wie auch den kaum zu überschätzenden kulturellen Werten der Popmusik! Noch besser aber ist die Beschreibung in einer nicht sehr großen und, nun ja, sagen wir links-liberalen deutschen tageszeitung. Portraitiert wurde dort eine Pharma-Lobbyistin, die zum Unglück des Juristenstandes offensichtlich entscheidend beiträgt: "... ihr Weltbild ist das einer Juristin: Ihre Perspektive ist in sich logisch, geschlossen und unumstößlich. Aus Sicht eines Juristen kann es auch in Unrechtssystemen schlüssige Rechtssysteme geben – Moral ist eine irrelevante Größe." (Anita Blasberg, tazmag vom 15.5.04, S. II). Fühlen Sie sich an dieser Stelle bitte kollektiv schuldig für die Bosheit dieser Person!

Um wenigstens einmal in eine andere soziale Rolle zu schlüpfen habe ich nun kürzlich auf einer Party auf die "Was machst du denn so"-Frage geantwortet, ich sei im fünfzehnten Semester Geschichte und Philosophie und wolle bald mit der Magisterarbeit über Nietzsches Spätwerk anfangen. Mir wurde von sechs verschiedenen Personen bestätigt, dass sie sich gleich so etwas gedacht hätten und dass dieses interessante Thema sehr gut zu mir passe. Vier davon verliehen sogar ihrer Hoffnung Ausdruck, dass ich anschließend bald eine Stelle "in den Medien" finden werde. So leicht erwerben Sie Sympathien – Sie müssen sich nur das richtige Vorurteil aussuchen! Ich lernte bei der Gelegenheit sogar eine hübsche Frau kennen, die gut tanzen konnte und sehr schlagfertig war. Sie hieß übrigens Ursula und dreimal dürfen Sie raten, was die Gute studiert hat!

Mit herzlichen Grüßen

Ihr
Justus A. Bonus

Kontakt: justus.bonus@jurawelt.com


Reaktionen zu dieser Kolumne:

Bastian K. per Mail:

"Ich, selber ganz frischer Jura-Student (1. Semester), fand Ihre Kolumne wirklich klasse. Vieles, oder eigentlich viel zu Vieles, kenne ich nur sehr gut aus meiner, erst sehr kurzen eigenen Erfahrung. Ich habe einige Male sehr geschmunzelt und mich oft wieder erkannt. Gerade auf Erstsemester-Partys kam der Spruch "Oh Gott, ein Jurist" nur zu oft. Ich kannte diesen Spruch aber schon etwas länger, schließlich war ich der einzige Schüler meines Abiturjahrgangs, der ein Jura-Studium angestrebt hat…"

Michael P. per Mail:

"Ich habe Ihre Jurawelt-Glosse vom Juni 2004 gelesen und fand sie sehr amüsant. Vorurteile gegen Juristen oder solche, die es werden wollen, scheinen unausrottbar. So wurde ich selbst schon von mir völlig fremden Menschen (nicht nur zum Spaß) als "Winckeladvokat", "Rechtsverdreher" und" Paragraphenreiter" tituliert. Dagegen hilft wirklich nur ein ausgeprägter Humor."

Kritschgau im Jurawelt-Forum:

"Dementiere mittlerweile nicht mehr die Annahme, Juristen müssten alle Gesetze auswendig lernen, sondern labe mich an der daraus resultierenden Bewunderung Fachfremder.
Vorurteile? Schubweise - je nach BILD-Zeitungsstand und "Seite". Wird ein Kinderschänder nur zu 10 Jahren verurteilt, muss man sich rechtfertigen (hier sogar egal auf welcher Seite - StA oder RA - man gewähnt wird); wird ein 15jähriger in Deutschland aufgewachsener Türke abgeschoben kriegt man am Stammtisch Beifall, dafür wird man in der Kneipe abends geschnitten."

lopper im Jurawelt-Forum über weitere Vorurteile:

"- Juristen können nicht rechnen
- Juristen haben kein Gefühl für wirtschaftliche Zusammenhänge
- Juristen interessieren sich nicht für den Faktor Zeit
- Anwälte wollen immer nur das Geld ihrer Mandanten und kümmern sich nicht
- Richter XY war zu dumm, meiner Klage sofort und ohne weiteres Nachfragen stattzugeben
- Juristen bedienen sich einer schlechten Sprache
- Juristen behandeln Schwerverbrecher/Kinderschänder mit der größten Nachsicht ABER ausgerechnet bei mir wollte dieser Richter nicht locker lassen, bloß weil ich XY gemacht habe (zB einem aufs Maul gehauen habe, der mich dumm angemacht hat, oder Steuern hinterzogen oder besoffen Auto gefahren bin)."

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