1. April 2004
"Das kommt ganz drauf an." – Generalklauseln für den Hausgebrauch
"Als
Aprilscherz bezeichnet man den
Brauch und die Sitte, am ersten Tage des vierten Monats des Kalenders gregorianischer Einteilung seine Mitmenschen durch erfundene oder verfälschte Geschichten in die Irre zu führen oder durch unterlassene Aufklärung einen bereits durch Dritte hervorgerufenen Irrtum aufrechtzuerhalten (sog. mittäterschaftlich durchgeführter Aprilscherz). Bei
Aufklärung der verbreitet mit derbem Popularwortschatz bezeichneten Zielperson des Scherzes verbinden sich in ihrem Inneren zumeist Belustigung und Ärger zu einem
emotionalen Konglomerat. Aprilscherze sind in den meisten westeuropäischen Ländern üblich, verbürgt sind sie bereits seit dem 16. Jahrhundert. Mit den europäischen Auswanderern gelangte diese Tradition auch nach Nordamerika." (AG Kempten, NJW 1976, 888, rechts unten).
Diese
Abstraktionsleistung eines Allgäuer Richters (das Urteil sollten Sie wegen seiner Fülle an Stilblüten unbedingt einmal ganz lesen!) steht in einer Reihe mit
bedeutenden kulturellen Schöpfungen deutscher Juristen wie etwa der Definition der
Eisenbahn in RGZ 1, 247, 252 oder des
Lollystiels (
OLG Köln, Az. 1 U 6/01). Andererseits liefern solche Formulierungen all denen Munition, die seit jeher das kritische Verhältnis des Juristenstands zum Umgang mit der deutschen Sprache lautstark beklagen.
Dabei könnte alles so einfach sein. Denn schließlich lassen sich, wenn wir ehrlich sind, die allermeisten juristischen Probleme doch mit
zwei sehr simplen Regelwerken lösen, nämlich mit der
zweifachen privaten und der
dreifachen beruflichen Generalklausel. Die letztere kennen Sie alle, denn sie findet trotz leicht abschätziger Bezeichnungen wie etwa "Passauer Landrecht" seit Urzeiten in den meisten Regionen erfolgreiche Anwendung. Ihr Axiom lautet: "Das war schon immer so und sonst könnte ja auch jeder kommen, aber was machen wir bloß mit dem armen alten Mütterchen?" Die
zweifache private Generalklausel dagegen wird in der Methodenlehre noch nicht uneingeschränkt befürwortet. Dennoch sollte sie in keinem seriösen juristischen Hausschatz fehlen. Sie setzt sich zusammen aus: "Das kommt ganz drauf an." und "Das schaue ich nächste Woche mal nach."
In welchen Situationen benötigen Sie nun die
zweifache private Generalklausel? Versuchen Sie es als Erstes doch einfach beim nächsten großen familiären Anlass! Sie wissen ja, nach dem obligatorischen "Was macht die Praxis?" (weiß eigentlich irgend jemand, warum Verwandte immer glauben, ein Anwalt habe eine
Arztpraxis?) haben Sie mit etwas Glück zehn ruhige Minuten. Spätestens dann wird sich ein Vetter dritten Grades mütterlicherseits, dessen Namen Sie sich noch nie merken konnten, unauffällig an Sie heranmachen und etwas von "fachmännischen Rat von dir als Jurist einholen" nuscheln. Die nächste halbe Stunde wird er damit verbringen, einen an sich nicht weiter schwierigen Sachverhalt mit wüsten Beschimpfungen gegen Dritte so zu entstellen, dass auch die letzten Zusammenhänge rettungslos verloren gehen.
Sie können nun den Fehler machen, im
Sinne des Familienfriedens durch Nachfragen Details zu ermitteln und dem Vetter sodann in groben Zügen seine Lage zu erläutern (natürlich ohne sich selbst einem größeren Haftungsrisiko auszusetzen). Spätestens, wenn Sie aber zum dritten Mal die Begriffe "Beweislast" und "Einschätzungsprärogative" fallen lassen, werden Sie nur noch eine
spitze Bemerkung ernten, die in aller Regel dem Unmut über "Juristendeutsch" und "bescheuerte Haarspalterei" Ausdruck verleiht. Antworten Sie nächstes Mal deshalb einfach mit der
zweifachen privaten Generalklausel: "Das ist leider nicht so einfach, und solche Fälle hängen von ganz verschiedenen Faktoren ab. Aber ich kann gerne nächste Woche mal nachschauen, ob es dazu ein aktuelles Urteil gibt." Der Vetter wird nun glauben, dass sein Problem
schwierig ist (was er ohnehin denkt) und dass Sie ihn
ernst nehmen (was er sich wünscht). Bis zur nächsten Woche hat er es dann ohnehin vergessen (was für Sie das einzig
Wichtige ist).
Zuletzt möchte ich Sie noch auf eine Entwicklung in der
neueren Methodenlehre hinweisen. Denn in den letzten 20 Jahren kam es bekanntlich häufiger vor, dass der Gesetzgeber selbst sich in
abstrakter Aktionskunst und
destruktivistischer Wortvermehrung geübt hat (vgl. anschaulich unanschaulich die §§§355 ff. BGB). In solchen Fällen kann ich nur noch zur Flucht in Karsten Schmidts
Glossenwerk raten. Hier wurde bereits früh nachgewiesen, dass die saubere Trennung des BGB zwischen Hunden und Plastiktüten ein Gesetz nicht nur "zum Anfassen" sondern sogar "zum Streicheln" geschaffen hat (JZ 1989, 790, 792). Dieses
postmoderne Verständnis von "soft law" dürfte in absehbarer Zeit als sog.
"Generalklausel für mentale Ausgeglichenheit" Allgemeingültigkeit erlangen und hoffentlich noch Generationen von Juristen Trost spenden.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Justus A. Bonus
Kontakt:
justus.bonus@jurawelt.com