Das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 enthielt mit § 52 StGB a.F. eine besondere Regelung über den Nötigungsnotstand, die bis 1975 galt. Darin war Straflosigkeit für den Fall angeordnet, daß »der Täter durch unwiderstehliche Gewalt oder durch Drohung, welche mit einer gegenwärtigen, auf andere Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines seiner Angehörigen verbunden war, zu der Handlung genötigt worden ist«. Der Reformgesetzgeber hat bei der Einführung der heutigen Notstandsregelung (§§ 34, 35 StGB) auf eine derartige Spezialvorschrift verzichtet. Der Nötigungsnotstand muß deshalb nach den »allgemeinen« Notstandsnormen beurteilt werden. Hier knüpft die Dissertation an. Es geht um die Grundfrage, ob auch ein dem Notstandstäter abgenötigter Rechtsgutseingriff gerechtfertigt sein kann, sofern im übrigen die Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes vorliegen, oder ob im Hinblick auf die »Instrumentalisierung« des Genötigten für die rechtswidrigen Ziele des Nötigers eine Rechtfertigung generell ausscheidet. Dies ist ein vielerörtertes Problem. Die Arbeit hebt sich von den bisherigen Abhandlungen durch das induktive Vorgehen ab. Das Meinungsspektrum wird zunächst durchmustert. Die verschiedenen Meinungen und Argumente werden durch induktive Kontrolle anhand von Fällen auf ihre Überzeugungskraft hin geprüft. Bei der Lösung der einzelnen Fälle werden jeweils der Aspekt der »Rechtsbewährung«, des »Solidaritätsinteresses« und der »Rechtsposition des von der Notstandstat Betroffenen« gegenübergestellt. Dadurch ergibt sich das Ergebnis von selbst. Am Ende werden Sonderkonstellationen des Nötigungsnotstandes aufgegriffen. Neu ist insbesondere die Überprüfung der Frage nach der Strafbarkeit von Teilnehmern an einer Nötigungsnotstandstat.
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