Der Dispens von gesetzlichen Regelungen wirft im Steuerrecht besondere Probleme auf. Grund dafür ist der Charakter des Steuerrechts. Das Steuerrecht ist die klassische Form staatlichen Eingriffsrechts. Jeder staatliche Eingriff in die Rechtssphäre des Bürgers bedarf nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes einer gesetzlichen Grundlage. Eine Steuer kann daher nur dann erhoben werden, wenn die Besteuerung durch formelles Gesetz festgelegt ist. Aus dem Legalitätsprinzip und dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG ergibt sich ferner, dass die Finanzbehörden nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sind, die gesetzlich geschuldeten Steuern zu erheben. Wenn somit eine Pflicht zur Erhebung gesetzlich geschuldeter Steuern besteht, bedarf die Nichterhebung einer gesetzlich geschuldeten Steuer ebenfalls einer gesetzlichen Ermächtigung. Die gesetzlichen Ermächtigungen stellen die Billigkeitsvorschriften der Abgabenordnung, insbesondere die §§ 163 und 227 AO dar.
Die vorliegende Dissertation bewegt sich in dem aufgezeigten Spannungsfeld zwischen der Verpflichtung der Vollziehung der Steuergesetze und der Ermächtigung zur Nichterhebung einer tatbestandlich entstandenen Steuer. Ziel der Untersuchung ist es, Kriterien zu entwickeln, um eine verfassungsrechtlich korrekte Anwendung der §§ 163, 227 AO zu ermöglichen.
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