Von Patrick Dahm, Singapur<
Das Erklärungsbewusstsein bei der
Willenserklärung
Das Recht der Willenserklärung ist meist das
erste, was der Student vom Zivilrecht oder vom Jura-Studium überhaupt
sieht. Es kommt nicht nur als erstes „dran“, es wird auch sein
ganzes Studium hindurch bei ihm bleiben, und es ist nicht bekannt, dass es je
einen im Beruf stehenden Volljuristen ganz verlassen hat. Die Tiefen dieses
Bereichs werden nicht immer erforscht, dabei findet sich dort der gemeinsame
Ursprung für wesentliche Meinungsstreitigkeiten des Zivilrechts. Der Disput
darüber, wie weit die Rechtsgeschäftslehre reicht und wo die
Domäne der Rechtscheinhaftung beginnt, rührt daher. Die
unterschiedlichen Auffassungen zur Natur des Schuldverhältnisses bei der
culpa in contrahendo – gesetzlich? rechtsgeschäftlich?
–, zu den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft oder zur
Haftung des
falsus procurator gemäß §§179§I BGB
– sie alle und noch weitere haben ihre Quelle in einem unterschiedlichen
Verständnis von dem, was eine Willenserklärung ausmacht. Grund genug
für ein überblickartiges Vordringen zu diesem Ausgangspunkt, sei es
als Einstieg, als Wiedereinstieg oder als Auffrischung der
Kenntnisse.
I. Objektiver und subjektiver Tatbestand der
Willenserklärung
Eine Willenserklärung wird definiert als die
Äußerung eines auf die Herbeiführung einer Rechtswirkung
gerichteten
Willens
[1], doch
schon über ihren Mindesttatbestand herrscht Uneinigkeit.
1. Kundgabeakt
Allen hierzu vertretenen Auffassungen ist noch
gemein, dass sie nicht schon den rein psychologisch verstandenen Willen
ausreichen lassen, sondern einen sinnlich wahrnehmbaren, persönlichen
Kundgabeakt fordern, weil nur dieser mit rechtlichen Folgen belegt werden kann,
die aufgrund der gewährleisteten Privatautonomie deshalb eintreten, weil
sie gewollt
sind
[2].
2. Handlungswillen, Erklärungsbewusstsein,
Erklärungs- und Geschäftswille
Umstritten ist aber, ob auch dann schon eine
Willenserklärung vorliegt, wenn lediglich ein äußeres Verhalten
objektiv auf die Verwirklichung eines Rechtsfolgewillens schließen
lässt, oder ob dafür zusätzliche subjektive Elemente erforderlich
sind. Als solche unterscheidet man den Handlungswillen sowie das
Erklärungsbewusstsein des Handelnden, dass sein Verhalten als auf
Verwirklichung einer Rechtsfolge zielend aufgefasst werden kann. Weitere
subjektive Elemente sind der entsprechende Erklärungswille und der auf die
Herbeiführung einer bestimmten Rechtsfolge gerichtete Geschäftswille
einschließlich des Willens zur rechtlichen Selbstbindung. Eine
Willenserklärung, die alle diese Elemente aufweist, ist jedenfalls
fehlerfrei und im Rahmen der Privatautonomie
wirksam
[3].
a)
Handlungswille. Ein Kundgabeakt ganz ohne
Handlungswillen kann nicht die Wirkung einer Willenserklärung haben.
Insoweit besteht Einigkeit, denn das würde mit der Idee vom Menschen als
selbstbestimmtes Wesen nichts mehr zu tun haben.
b)
Erklärungsbewusstsein, Erklärungs-
und Geschäftswille. Was aber, wenn ein Handlungswille zwar vorliegt,
jedoch das konkrete Erklärungsbewusstsein und der rechtliche Wille fehlen,
und sei es nur bei der Abgabe, die ja zeitlich später erfolgen kann, wie z.
B. bei einem Bestellschein? Sind diese Elemente neben dem objektiven Tatbestand
überhaupt erforderlich?
Verneinte man dies, so könnte eine
Willenserklärung schon aufgrund des objektiv als Äußerung eines
Geschäftswillens zu verstehenden Ausfüllens eines Bestellscheins
entstehen. Dann könnte sich auch ein fehlender Wille, den Bestellschein
irgendwo abzugeben, nicht auf die Wirksamkeit der Willenserklärung an sich
auswirken. Wenn dem Erklärungsbewusstsein aber konstitutive Bedeutung
für den Tatbestand einer Willenserklärung zukäme, dann würde
sein Fehlen die Nichtexistenz einer Erklärung zur Folge haben. Entsprechend
würde aus dem Fehlen bloß des Abgabewillens zu schließen sein,
dass die Voraussetzungen einer Willenserklärung vielleicht beim
Ausfüllen des Bestellscheins, aber nicht mehr zur Zeit der Abgabe
vorlagen.
aa)
Grundsatz der privatautonomen
Selbstbestimmung. Der Idee der privatautonomen Selbstbestimmung würde
am konsequentesten Rechnung getragen, wenn das Erklärungsbewusstsein bei
Kund- und Abgabe einer Willenserklärung erforderlich und maßgeblich
wäre
[4]. Der
Grund dafür, dass der private Geschäftswille einer Person, gepaart mit
dessen Erklärungsbewusstsein und -willen, rechtsgestaltende Kraft haben
soll, liegt zum einen in der gleichlautenden Überzeugung der Mehrheit der
Gesellschaft
[5]. Zum
anderen findet er sich in der Hypothese vom rationalen, egoistischen Menschen,
der gewöhnlich das für sich Sinnvolle
will
[6]. Fundamental
ist er in der Würde des Menschen eingebettet, die erfordert, dass sein
Wille respektiert
wird
[7].
Auf der Linie dieser reinen Willenstheorie liegt die
Bestimmung des § 133 BGB, nach dem bei der Auslegung einer
Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen ist. Hierbei ist indes
zu beachten, dass der rechtliche Wille des Einzelnen bei wertender Beurteilung
nicht von seinem Erklärungsbewusstsein und -willen getrennt werden kann.
Denn es macht keinen Unterschied, ob jemand rechtsgeschäftlich gar nichts
oder nur etwas anderes
will
[8].
Also bilden Erklärungsbewusstsein und Erklärungswille mit dem
Geschäftswillen eine
Einheit
[9]. Die
„Grundsatznorm“ des § 133 BGB fordert demnach nicht nur die
Erforschung des Geschäftswillens, sondern automatisch auch die Erforschung
desjenigen Bewusstseins, das den Erklärenden bei seiner Willenskundgabe
leitet. Ausgehend hiervon entsteht keine Willenserklärung, wenn jemand
allein aus Spaß einen Bestellschein ausfüllt. Selbst wenn er ihn in
den Verkehr bringt, also an ein Versandhandelsunternehmen schickt, gibt er keine
Willenserklärung ab.
bb)
Erforderlichkeit der Einschränkung des
menschlichen Willens. Aus der Anerkennung des individuellen Willens als
Grundlage der Privatrechtsordnung ergibt sich zugleich, dass
Einschränkungen eines menschlichen Willens zulässig sein müssen,
soweit dies zur Erlangung praktischer Konkordanz mit den Interessen seiner
Mitmenschen notwendig ist. Die Freiheit der Entscheidung kann dem Einzelnen
entgegen der liberalen Ideologie des 19.
Jahrhunderts
[10]
also nur im Rahmen einer sozialen Gesamtordnung zuerkannt
werden
[11]. Das
bedeutet, dass das Recht in seiner sozialen Ordnungsfunktion Regeln kennen muss,
nach denen menschlich selbstbestimmtes Verhalten erforderlichenfalls
Rechtsfolgen im Interesse Anderer hervorruft, die dem aktuellen
Erklärungsbewusstsein des Erklärenden widersprechen. Das ist nicht
erforderlich, wenn eine Willenserklärung keine unmittelbare rechtliche
Wirkung auf Andere hat, mithin nicht empfangsbedürftig ist. Daher ist es z.
B. bei der Eigentumsaufgabe i. S. v. § 959 BGB bei der Maßgeblichkeit
des individuellen Willens zu belassen. Eigentum kann nur wirksam aufgegeben
werden, wenn ein entsprechendes aktuelles Erklärungsbewusstsein besteht.
Das ergibt sich auch aus dem Wortlaut von § 959 BGB, der unter anderem die
Absicht fordert, auf das Eigentum zu verzichten: Absicht wird definiert als
zielgerichteter Erfolgswille. Einem selbstbestimmten Verhalten Rechtsfolgen im
Interesse Anderer beizulegen, obgleich sie dem aktuellen
Erklärungsbewusstsein des Erklärenden widersprechen, kann dem
gegenüber dort erforderlich sein, wo mindestens zwei Parteien mit
rechtlichen Auswirkungen aufeinander treffen, und deshalb ist dieser Grundsatz
bei den Regelungen über den Vertrag festgelegt, in §§157
BGB
[12]. Ihm
zufolge sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit
Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1)
Durch vernunftgemäße Auslegung.
Die erforderliche Korrektur lässt sich auf die Weise erreichen, dass
Erklärungsbewusstsein und Geschäftswille als Bestandteil einer
Willenserklärung zwar nicht abgeschafft, aber zwingend in einem
vernünftigen Sinne verstanden
werden
[13]. Das
Korrektiv ist dann innerhalb des Begriffes der Willenserklärung
angesiedelt. Das bedeutet indes die völlige Aufgabe des Individualprinzips
zugunsten eines Sozialprinzips in Reinform, bei dem an die Stelle des Willens
der vom Richter zu ermessende objektivierte Wille
tritt
[14]. Dadurch
wird verkannt, dass das Korrektiv kein Selbstzweck ist, sondern um der
Selbstbestimmung willen vonnöten ist. Dieser Ansatz ist daher
abzulehnen.
(2)
Durch Korrektur des individuellen
Erklärungsbewusstseins. Dualistischer Ansatz. Zum anderen lässt
sich die erforderliche Einschränkung des privaten Willens dadurch angehen,
indem man den vollständigen Begriff der Willenserklärung unangetastet
lässt, ihm jedoch von außen ein weiteres Kriterium als Korrektiv
beiseite stellt, durch welches das den Allgemeininteressen zuwider laufende
Erklärungsbewusstsein im Einzelfall überbrückt wird. Derartige
Korrektive können am Erklärenden ansetzen und ihm Selbstverantwortung
auflegen
[15] oder
am Erklärungsempfänger anknüpfen und nach dessen
schutzwürdigem Vertrauen
fragen
[16]. Falls
dem Recht eine derart dualistische Erklärungstheorie zugrunde läge,
würde das Erklärungsbewusstsein weiterhin für eine
Willenserklärung konstitutiv sein. Dies zu Grunde gelegt, liegt im
Ausfüllen eines Bestellscheins lediglich spaßeshalber noch immer
keine Willenserklärung. Wenn der Bestellschein in den Verkehr gerät,
so bedeutet dies nicht die Abgabe einer Willenserklärung. Gegebenenfalls
werden die resultierenden Folgen aber zu korrigieren sein.
(3)
Durch normative Auslegung des potenziellen
Erklärungsbewusstseins. Monistischer Ansatz. Eine Sozialordnung kann
erforderlichenfalls auch dadurch einem Verhalten ohne Erklärungsbewusstsein
Rechtsfolgen beilegen, indem sie auf die Erheblichkeit eines solchen
individuellen Bewusstseins allgemein verzichtet und vielmehr normativ bestimmt,
ob eine Äußerung auf das Vorhandensein eines entsprechenden Willens
schließen
lässt
[17].
Die so anfallende normative Betrachtung würde dann entscheiden, ob die
Interessen des Erklärenden oder die des Erklärungsempfängers in
Geltung zu setzen sind. Bei einem derartigen monistischen Verständnis von
der Willenserklärung als Geltungserklärung entscheidet in rein
objektiver Betrachtung, wann das Ausfüllen eines Bestellscheins eine
Willenserklärung darstellt. Dasselbe gilt für die Abgabe, etwa durch
das Absenden des Bestellscheins. Das in Rede stehende Verhalten müsste
indes auch unter normativer Betrachtung noch selbstbestimmt, dem Kundgebenden
also zuzurechnen sein.
cc)
Vereinbarkeit der Ansätze mit
gesetzlicher Grundkonzeption. Für die Beantwortung der Frage,
auf welche Weise das Gesetz vorgeht, ist zunächst die Vorschrift zu
betrachten, in der das Erfordernis eines Korrektivs positiviert ist, also §
157 BGB. Sein Hinweis auf die Berücksichtigung von Treu und Glauben mit
Rücksicht auf die Verkehrssitte nach Vertragsschluss lässt sich so
verstehen, dass der Selbstverantwortung beziehungsweise dem Vertrauen des
jeweiligen Erklärungsempfängers nachträglich Genüge zu tun
ist. Er ist insofern durchaus mit einer dualistisch geprägten Anschauung
von der Willenserklärung vereinbar. Das gilt jedoch nur, soweit man das der
Willenserklärung beitretende Korrektivmerkmal als Ergänzung begreift
und den Fall des völlig fehlenden Erklärungsbewusstseins bei
Schutzwürdigkeit des Verkehrs in die Rechtscheinhaftung
verlagert
[18].
Vertrauensschutz und Selbstverantwortung, die so weit gehen, dass sie das
bewusst Erklärte gegebenenfalls vollständig ersetzen
müssen
[19],
lassen sich indes mit dem Wortlaut des § 157 BGB nicht vereinbaren, da
dieser voraussetzt, dass vor der Korrektur bereits ein an sich wirksamer Vertrag
zustande gekommen ist.
Ein monistisches Prinzip, demzufolge es nicht
entscheidend auf das innere Erklärungsbewusstsein ankommt, sondern auf das
nach außen in Geltung gesetzte, kann durch die Formulierung des § 157
BGB ebenfalls gesetzlich zum Ausdruck gebracht werden. Insofern ist ein
Verständnis von der Willenserklärung als Geltungserklärung ebenso
in Übereinstimmung mit der allgemeinen Anordnung der Vorschrift zu bringen,
dass es um der Selbstbestimmung willen erforderlichenfalls der
Einschränkung selbstbestimmten Handelns bedarf. Überdies steht es im
Einklang mit dem Wortlaut, wenn ihm zufolge trotz Verzichts auf das innere
Erklärungsbewusstsein ein Vertrag entstanden ist, der nunmehr lediglich im
normativen Sinne auszulegen ist. Die Willenserklärung als
Geltungserklärung zu verstehen bedeutet also, dem schutzwürdigen
Vertrauen in das äußerlich auftretende Erklärungsbewusstsein
innerhalb der Rechtsgeschäftslehre begegnen zu können, so wie es
§ 157 BGB vorschreibt.
dd)
Vereinbarkeit der Ansätze mit sonstigen
Gesetzesvorschriften. Für die Beantwortung der Frage, auf welche
Weise das Gesetz vorgeht, sind überdies die sonstigen Vorschriften zu
betrachten, die die Willenserklärung zum Gegenstand haben. Davon haben
insbesondere diejenigen Aussagewert, die Willensmängel betreffen. Dies sind
für bewusste Mängel die §§ 116 bis 118 BGB und die
Grundsatznorm des § 119 BGB für unbewusste Mängel. Sie setzen
allesamt den Bestand von Willenserklärungen voraus. Ein dualistischer
Ansatz, der auf das innere Erklärungsbewusstsein nicht verzichtet, kann
somit in direkter Anwendung gegebenenfalls auf keine der Regeln
zurückgreifen, die das Gesetz für Willensmängel
bereithält
[20].
Damit werden allerdings wichtigen rechtsgeschäftlichen Problemen die
positivierten Lösungen des Gesetzes genommen und können nur im Bereich
der Rechtscheinhaftung behandelt
werden
[21]. Das
steht in gewissem Widerspruch zu der Anordnung des § 157 BGB, wonach die
Korrektur freier Willenserklärungen insbesondere im Rahmen des
Vertragsrechts zu vollziehen ist, was hinsichtlich der einzelnen
Willenserklärung eben bedeuten muss, dass das Recht der
Willenserklärungen in den §§ 116 bis 144 BGB einschlägig
sein soll.
(1)
Nichtigkeit bei mangelnder Ernstlichkeit.
Im Rahmen der bewussten Willensmängel wird trotz ihrer Unvereinbarkeit mit
dem Wortlaut für die Geltung der dualistischen Erklärungstheorie die
Wertung des § 118 BGB herangezogen. Denn wenn die dortige Nichtigkeitsfolge
schon bei einer bewusst abgegebenen Scherzerklärung eintritt, bei der sich
der Erklärende lediglich über die Rechtserheblichkeit irrte, so
müsse dies auch und erst recht in allen anderen Fällen fehlenden
Erklärungsbewusstseins gelten, weil bei diesen die Zurechnungsfaktoren
regelmäßig schwächer
seien
[22].
Allerdings hat der Erklärende im Fall des § 118 BGB im Unterschied zum
mangelnden Erklärungsbewusstsein die Nichtgeltung seiner Erklärung
gewollt, der wirkliche Wille war also bewusst auf die Nichtgeltung gerichtet.
Deshalb verhält sich der Fall des § 118 BGB zum fehlenden
Erklärungsbewusstsein nicht wie das Größere zum Kleineren,
sondern ist mit ihm gar nicht
vergleichbar
[23].
Er kann daher nicht unterstützend für den dualistischen Ansatz
herangezogen werden.
Auf den ersten Blick scheint er indes auch nicht mit
der Anschauung von der Willenserklärung als Geltungserklärung
übereinzustimmen, da er für eine gutwillig scherzhaft gemeinte
Willenserklärung das genaue Gegenteil dessen anordnet, was ein normativ
erschlossenes Erklärungsbewusstsein ergäbe. Der Grund hierfür ist
jedoch in seiner Funktion zu suchen. Indem er eine gutwillige
Scherzerklärung für nichtig erklärt, die bei objektiver Auslegung
als gültig anzusehen sein würde, führt er die Reichweite der
normativen Korrektur unbeschränkter Selbstbestimmung dort zurück, wo
sie übermäßig zu Ungunsten des gutwillig einen Scherz
Erklärenden wirken und die Selbstbestimmung konterkarieren würde. Aus
dieser Perspektive ist §§118 BGB also keine Regel wider den
monistischen Ansatz, sondern eine Begrenzung der normativen Korrektur um des
Ausgangsprinzips – der Privatautonomie – willen.
(2)
Unbeachtlichkeit der sog.
Mentalreservation. § 116 Satz 1 BGB grenzt sich noch deutlicher
von der dualistischen Erklärungstheorie ab, wenn er eine
Äußerung für gültig erkennt, obwohl der Äußernde
dies ausdrücklich insgeheim nicht wollte, und diese Äußerung
trotz fehlenden Willens als Willenserklärung bezeichnet. Wäre
anderenfalls die sogenannte Mentalreservation beachtlich, so wäre
derjenige, der ein Rechtsgeschäft vornimmt, in der Lage, dessen Bestand
seiner freien Willkür zu unterwerfen. So wie der Vorbehalt, etwas
überhaupt nicht zu wollen, beachtlich wäre, so müsste auch der
Vorbehalt von Bedeutung sein, ein Rechtsgeschäft nur im Hinblick auf
bestimmte innerlich gestellte Bedingungen nicht zu
wollen
[24].
Weil die Erfahrung lehrt, dass nahezu jedes
Rechtsgeschäft im Hinblick auf ein darüber hinausgehendes Ziel gewollt
und der Bindungswille insofern beschränkt ist, würde der Bestand eines
Rechtsgeschäfts sämtlichen Launen und Motiven des Erklärenden
ausgesetzt sein, bei zweiseitigen Rechtsgeschäften sogar in beiden
Richtungen. Das praktische Ergebnis wäre eine Absage an den Grundsatz
pacta sunt servanda, weil sich keine Vertragsbindungen von längerer
Dauer mehr bilden würden. Denn dies würde Verzicht auf Freiheit und
Willkür für die Zukunft bedeuten. Die in § 116 Satz 1 BGB
angeordnete Unbeachtlichkeit der Mentalreservation kann aufgrund des Wortlauts
von der dualistischen Theorie nicht erklärt werden, stellt in diesem Lichte
aber eine zwingende Notwendigkeit für den Erhalt der Privatautonomie dar.
Sie bildet insofern ein Korrekturmerkmal exakt im Sinne des monistischen
Ansatzes, der auf das innere Erklärungsbewusstsein als entscheidendes
Kriterium verzichtet.
(3)
Anfechtbarkeit wegen Irrtums. Entgegen
seinem Wortlaut wurde behauptet, § 119 BGB sei auch für die
Erklärungstheorie anwendbar. Denn wenn der Wortlaut des § 119 I BGB
eine Erklärung voraussetzt, die mit diesem Inhalt vom Erklärenden
nicht gewollt ist, dann heiße das denknotwendig, dass insofern irgendein
Erklärungsbewusstsein vorliegen
müsse
[25].
Doch ist dieser Schluss logisch nicht haltbar, denn eine Erklärung dieses
Inhalts hat man auch nicht abgeben wollen, wenn man überhaupt keine
Erklärung abgeben
wollte
[26].
Auch § 119 BGB spricht also trotz des
möglichen Fehlens des Erklärungsbewusstseins von einer
Willenserklärung. Dass es danach Willenserklärungen ohne ein
entsprechendes konkretes Erklärungsbewusstsein gibt, stimmt nicht mit der
dualistischen Herangehensweise überein, wohl aber mit der monistischen.
Demnach ist auch eine Willenserklärung ohne Erklärungsbewusstsein
gültig, und nur weil eine absolute Gültigkeit über das Maß
des Erforderlichen gehen würde, wenn sich der Erklärende irrte, ordnet
§ 119 BGB die Anfechtbarkeit durch den Erklärenden an und gibt diesem
damit ein Mittel an die Hand, die Erklärung selbstbestimmt entweder
umzuwerfen oder
anzuerkennen
[27].
(4)
Zwischenergebnis. Dem monistischen
Ansatz stehen mithin direkt alle Instrumente zur Verfügung, die das Gesetz
für bewusste und unbewusste Willensmängel bereit hält, und kann
anfallende Probleme insoweit – wie von § 157 BGB gefordert –
innerhalb der Rechtsgeschäftslehre behandeln.
ee)
Vereinbarkeit des monistischen Ansatzes mit
Gewohnheitsrecht und sonstigem Gesetzesrecht. Die an einer normativen
Auslegung des Erklärungstatbestandes ausgerichtete Konzeption, die auf ein
individuelles Erklärungsbewusstsein verzichten kann, liegt überdies
der rechtlichen Anerkennung quasivertraglichen Verhaltens nach den
Grundsätzen der
culpa in
contrahendo[28]
und der fehlerhaften
Gesellschaft
[29]
zugrunde. Auch die Haftung des
falsus procurator gemäß §
179 I BGB bringt – an systematisch anderem Ort, aber inhaltlich
übereinstimmend – zum Ausdruck, dass die Selbstbestimmung gesetzlich
in einer Weise korrigiert wird, die nicht entscheidend auf ein inneres
Erklärungsbewusstsein abstellt.
ff)
Aktuelles Wiederaufkommen der reinen
Willenstheorie. Neuerdings wird die Grundsätzlichkeit des
Korrekturbedürfnisses, ausgehend von einem dezidiert willensbasierten
Verständnis von der Wirksamkeit von Willenserklärungen, im Schrifttum
wieder
bestritten
[30].
Die Verkürzung des Tatbestandes der Willenserklärung um das angeblich
gesetzlich vorausgesetzte Merkmal des Erklärungsbewusstseins führe zu
einer Derogation der rechtsgeschäftlichen Grundwertungen. Die Annahme einer
rechtsgeschäftlichen Bindung bei fehlendem Erklärungsbewusstseins sei
ein reines – dem privaten Recht an sich fremdes –
Sanktionsmittel
[31].
Diese Anschauung hält den
rechtsgeschäftlichen Willen für absolut beachtlich und muss deshalb
für einschlägige gewohnheitsrechtliche Grundsätze neue
Begründungen aufstellen, sofern die Erforderlichkeit nicht schon ganz
angezweifelt wird, wie zum Beispiel die Lehre von der
culpa in
contrahendo[32].
Bei einigen gesetzlich angeordneten Korrekturen erschöpft sich die
alternative Begründung – bei gleichen Ergebnissen – in
semantischen Unterschieden. § 116 BGB etwa diene als Einschränkung der
Willensherrschaft „im Dienste ihrer eigenen
Erweiterung“
[33].
In das Regelungsgebäude anderer Vorschriften müssen aufwändig
neue Fundamente eingezogen werden. Die Haftung des
falsus procurator etwa
wird als Haftung für die Nichterfüllung einer eigenen
rechtsgeschäftlichen Leistungspflicht des Vertreters
verstanden
[34].
Die Regelung des § 119 BGB gehe von dem lebenswahrscheinlichen Normalfall
aus, dass jemand durchaus etwas Rechtserhebliches sagen wollte, als er sich
irrte
[35]. Ihr
maßgeblicher Zweck wird darin gesehen, dem Erklärungsempfänger
eine Berufung auf den Willensmangel des anderen zu versagen und diese allein dem
Erklärenden zu überlassen. § 119 BGB biete somit das Instrument
für den Irrenden, seinem natürlichen Drang zur Klarstellung
nachzukommen, und zwar nicht nur wegen seines Liberationsinteresses, sondern vor
allem wegen seines Interesses, das eigentlich Gewollte auszudrücken. Dass
§ 119 BGB also doch vom Vorhandensein irgendeines
Erklärungsbewusstseins und Geschäftswillens ausgehe, zeige sich ferner
in einem Vergleich mit §§118 BGB. Dort werde umgekehrt die Nichtigkeit
einer Erklärung wegen des fehlenden inneren Drangs des scherzhaft
Erklärenden angeordnet, die Angelegenheit weiter zu verfolgen, da bei
diesem tatsächlich kein ernsthafter Rechtsbindungswille
bestehe.
Den Aussagen der Gesetzesmaterialien, die diese
neu-alte Ansicht zur Begründung
heranzieht
[36],
ist inhaltlich nicht zu widersprechen. Doch ist ihr entgegenzuhalten, dass sie
die Materialien selektiv betrachtet. Denn auch diese erklären deutlich,
dass es darauf ankommt, unter gebotener Ausgleichung der widerstreitenden
Interessen des Irrenden und des anderen Teils wie auch Dritter ein den
Anforderungen der Billigkeit entsprechendes Recht zu
schaffen
[37].
Konkret äußern die Materialien, dass eine rechtlich erhebliche
Willenserklärung
in puncto Erklärungsbewusstsein nicht
schlechthin der Lebenswirklichkeit entsprechen muss, weil dies „mit der im
Verkehrsinteresse liegenden thunlichsten Aufrechterhaltung der
Rechtsgeschäfte nicht vereinbar“
ist
[38].
Bezeichnenderweise findet bei der Darlegung der angeblich absolut
willensorientierten Konzeption des Gesetzes § 157 BGB keine Erwähnung.
Wenn man der dort angeordneten Rücksicht auf die Verkehrssitte aber
Beachtung schenkt, so ist der Verzicht auf das individuelle zugunsten eines
normativ verstandenen Erklärungsbewusstseins keinesfalls die
vollständige Lösung vom Prinzip der rechtsgeschäftlichen
Privatautonomie
[39],
sondern die Berücksichtigung von Belangen der Allgemeinheit im Hinblick
darauf, dass jeder Mensch in einer sozialen Ordnung lebt und daher seinen Willen
nicht unbeschränkt ausleben kann.
II. Ergebnis
Nach all dem Gesagten erscheint die Ansicht
vorzugswürdig, nach der es auf ein tatsächlich vorhandenes
Erklärungsbewusstsein bei der empfangsbedürftigen
Willenserklärung beziehungsweise bei ihrer Abgabe nicht entscheidend
ankommt. Wer ohne dieses Bewusstsein einen Bestellschein ausfüllt, der kann
dadurch eine Willenserklärung kundgetan haben. Wer den ausgefüllten
Bestellschein abschickt, kann damit eine Willenserklärung abgegeben haben.
Voraussetzung hierfür bleibt jedoch nach den obigen Ausführungen zu
§ 157 BGB, dass dies äußerlich als selbstbestimmtes Verhalten
anzusehen ist. Derartiges entscheidet sich also für alle Seiten nach Treu
und Glauben mit Rücksicht auf die
Verkehrssitte
[40].
Das hat seinen Grund darin, dass im Allgemeinen jeder selbst unmittelbar
Einfluss darauf hat, was er nach außen kundtut. So verstanden ist der
Begriff der Selbstverantwortung nicht überflüssig und diese
Lösung ein Gebot der Verhältnismäßigkeit. Aus dem
Verhältnismäßigkeitsprinzip ergibt sich zugleich, dass bei nicht
empfangsbedürftigen Willenserklärungen der Grundsatz des § 133
BGB, das heißt die reine Willenstheorie, nicht einzuschränken
ist.
[1]
Palandt/
Heinrichs, BGB, 60. Aufl. (2001), Einf. v. § 116
Rdnr. 1.
[2] Motive zu dem
Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches (1888), Band I, S. 126;
Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band 2 – Das
Rechtsgeschäft, 4. Aufl. (1992), § 4, 8;
Kellmann, JuS 1971,
609, 612;
Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger
Willenserklärungen (1966), S. 233 ff.;
Soergel/
Hefermehl,
BGB, 12. Aufl. (1991), Vor § 116 Rdnr. 15;
Staudinger/
Coing,
BGB, 11. Aufl. (1957), Vorbem. zu §§ 116-144 Rdnr. 1 ff.;
Staudinger/
Dilcher, BGB, 13. Bearb. (1995), Vorbem. zu.
§§ 116-144 Rdnr. 3.
[3]
Soergel/
Hefermehl (o. Fußn. 2), Vor § 116 Rdnr.
6.
[4] Fabricius,
JuS 1966, 1, 7.
[5]
Soergel/
Hefermehl (o. Fußn. 2), Vor § 116 Rdnr.
4.
[6]
Schäfer/
Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des
Zivilrechts, 3. Aufl. (2000), S. 59.
[7] Hesse,
Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. (1995), Rdnr.
116.
[8] F.
Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden
Rechtsgeschäftes (1967), S. 163.
[9]
Soergel/
Hefermehl (o. Fußn. 2), Vor § 116 Rdnr.
13.
[10] Vgl.
Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band III (1840), S.
258.
[11]
Soergel/
Hefermehl (o. Fußn. 2), Vor § 116 Rdnr.
5.
[12] Motive zu dem
Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches (1888), Band II, S. 197
f.
[13]
Pawlowski (o. Fußn. 2), S. 247 ff.
[14]
Soergel/
Hefermehl (o. Fußn. 2), Vor § 116 Rdnr.
10.
[15] Flume
(o. Fußn. 2), § 4, 7 f.
[16]
Staudinger11/
Coing (o. Fußn. 2), Vorbem. zu
§§ 116-144 Rdnr. 3 e.
[17] BGHZ 109, 171,
177; 91, 324, 330.
F. Bydlinski (o. Fußn. 8), S. 162 ff.;
Kellmann, JuS 1971, 609, 612 ff.;
Larenz/
Wolf Allgemeiner
Teil des bürgerlichen Rechts, 8. Aufl. (1997), § 24 Rdnr. 8;
MünchKomm/
Kramer, BGB, 3. Aufl. (1993-1997), § 119 Rdnr. 87;
Soergel/
Hefermehl (o. Fußn. 2), Vor § 116 Rdnr.
13.
[18] Canaris,
Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971), S. 427
f.
[19] Flume
(o. Fußn. 2), § 4, 8.
[20]
Staudinger11/
Coing (o. Fußn. 2), Vorbem. zu
§§ 116-144 Rdnr. 3 f.
[21]
MünchKomm/
Kramer (o. Fußn. 17), Vor § 116 Rdnr. 26;
§ 119 Rdnr. 85.
[22] Canaris
(o. Fußn. 18), S. 550.
[23] F.
Bydlinski, JZ 1975, 1, 3.
[24]
Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung und autonome Bindung
(1999), S. 123 f.
[25]
Lehmann/
Hübner, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts,
16. Aufl. (1966), § 34 III 1 b.
[26] F.
Bydlinski, JZ 1975, 1, 2.
[27] Medicus,
Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 7. Aufl. (1997), Rdnr.
607.
[28] Dazu
Medicus, Schuldrecht I – Allgemeiner Teil, 12. Aufl. (2000), Rdnr.
103 ff.
[29] Dazu
G. H.
Roth, Handels- und Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. (1998), S. 99
ff.
[30] Lobinger
(o. Fußn. 24).
[31] Lobinger
(o. Fußn. 24), S. 176.
[32] Lobinger
(o. Fußn. 24), S. 33 ff.
[33] Lobinger
(o. Fußn. 24), S. 223 ff.
[34] Lobinger
(o. Fußn. 24), S. 281 ff.
[35] Lobinger
(o. Fußn. 24), S. 158 ff.
[36] Vgl. nur zur
Irrtumsanfechtung
Lobinger (o. Fußn. 24), S. 135 ff. und
passim.
[37] Mugdan,
Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche
Reich, Band 1 (1899), S. 715.
[38] Motive I (o.
Fußn. 2), S. 199.
[39] So aber
Lobinger (o. Fußn. 24), S. 177.
[40] BGHZ 109, 171,
177; 91, 324, 330.