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"Das Erklärungsbewußtsein bei der Willenserklärung" von Patrick Dahm
Von Patrick Dahm, Singapur

< Das Erklärungsbewusstsein bei der Willenserklärung

Das Recht der Willenserklärung ist meist das erste, was der Student vom Zivilrecht oder vom Jura-Studium überhaupt sieht. Es kommt nicht nur als erstes „dran“, es wird auch sein ganzes Studium hindurch bei ihm bleiben, und es ist nicht bekannt, dass es je einen im Beruf stehenden Volljuristen ganz verlassen hat. Die Tiefen dieses Bereichs werden nicht immer erforscht, dabei findet sich dort der gemeinsame Ursprung für wesentliche Meinungsstreitigkeiten des Zivilrechts. Der Disput darüber, wie weit die Rechtsgeschäftslehre reicht und wo die Domäne der Rechtscheinhaftung beginnt, rührt daher. Die unterschiedlichen Auffassungen zur Natur des Schuldverhältnisses bei der culpa in contrahendo – gesetzlich? rechtsgeschäftlich? –, zu den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft oder zur Haftung des falsus procurator gemäß §§179§I BGB – sie alle und noch weitere haben ihre Quelle in einem unterschiedlichen Verständnis von dem, was eine Willenserklärung ausmacht. Grund genug für ein überblickartiges Vordringen zu diesem Ausgangspunkt, sei es als Einstieg, als Wiedereinstieg oder als Auffrischung der Kenntnisse.

I. Objektiver und subjektiver Tatbestand der Willenserklärung

Eine Willenserklärung wird definiert als die Äußerung eines auf die Herbeiführung einer Rechtswirkung gerichteten Willens[1], doch schon über ihren Mindesttatbestand herrscht Uneinigkeit.

1. Kundgabeakt

Allen hierzu vertretenen Auffassungen ist noch gemein, dass sie nicht schon den rein psychologisch verstandenen Willen ausreichen lassen, sondern einen sinnlich wahrnehmbaren, persönlichen Kundgabeakt fordern, weil nur dieser mit rechtlichen Folgen belegt werden kann, die aufgrund der gewährleisteten Privatautonomie deshalb eintreten, weil sie gewollt sind[2].

2. Handlungswillen, Erklärungsbewusstsein, Erklärungs- und Geschäftswille

Umstritten ist aber, ob auch dann schon eine Willenserklärung vorliegt, wenn lediglich ein äußeres Verhalten objektiv auf die Verwirklichung eines Rechtsfolgewillens schließen lässt, oder ob dafür zusätzliche subjektive Elemente erforderlich sind. Als solche unterscheidet man den Handlungswillen sowie das Erklärungsbewusstsein des Handelnden, dass sein Verhalten als auf Verwirklichung einer Rechtsfolge zielend aufgefasst werden kann. Weitere subjektive Elemente sind der entsprechende Erklärungswille und der auf die Herbeiführung einer bestimmten Rechtsfolge gerichtete Geschäftswille einschließlich des Willens zur rechtlichen Selbstbindung. Eine Willenserklärung, die alle diese Elemente aufweist, ist jedenfalls fehlerfrei und im Rahmen der Privatautonomie wirksam[3].

a) Handlungswille. Ein Kundgabeakt ganz ohne Handlungswillen kann nicht die Wirkung einer Willenserklärung haben. Insoweit besteht Einigkeit, denn das würde mit der Idee vom Menschen als selbstbestimmtes Wesen nichts mehr zu tun haben.

b) Erklärungsbewusstsein, Erklärungs- und Geschäftswille. Was aber, wenn ein Handlungswille zwar vorliegt, jedoch das konkrete Erklärungsbewusstsein und der rechtliche Wille fehlen, und sei es nur bei der Abgabe, die ja zeitlich später erfolgen kann, wie z. B. bei einem Bestellschein? Sind diese Elemente neben dem objektiven Tatbestand überhaupt erforderlich?

Verneinte man dies, so könnte eine Willenserklärung schon aufgrund des objektiv als Äußerung eines Geschäftswillens zu verstehenden Ausfüllens eines Bestellscheins entstehen. Dann könnte sich auch ein fehlender Wille, den Bestellschein irgendwo abzugeben, nicht auf die Wirksamkeit der Willenserklärung an sich auswirken. Wenn dem Erklärungsbewusstsein aber konstitutive Bedeutung für den Tatbestand einer Willenserklärung zukäme, dann würde sein Fehlen die Nichtexistenz einer Erklärung zur Folge haben. Entsprechend würde aus dem Fehlen bloß des Abgabewillens zu schließen sein, dass die Voraussetzungen einer Willenserklärung vielleicht beim Ausfüllen des Bestellscheins, aber nicht mehr zur Zeit der Abgabe vorlagen.

aa) Grundsatz der privatautonomen Selbstbestimmung. Der Idee der privatautonomen Selbstbestimmung würde am konsequentesten Rechnung getragen, wenn das Erklärungsbewusstsein bei Kund- und Abgabe einer Willenserklärung erforderlich und maßgeblich wäre[4]. Der Grund dafür, dass der private Geschäftswille einer Person, gepaart mit dessen Erklärungsbewusstsein und -willen, rechtsgestaltende Kraft haben soll, liegt zum einen in der gleichlautenden Überzeugung der Mehrheit der Gesellschaft[5]. Zum anderen findet er sich in der Hypothese vom rationalen, egoistischen Menschen, der gewöhnlich das für sich Sinnvolle will[6]. Fundamental ist er in der Würde des Menschen eingebettet, die erfordert, dass sein Wille respektiert wird[7].

Auf der Linie dieser reinen Willenstheorie liegt die Bestimmung des § 133 BGB, nach dem bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen ist. Hierbei ist indes zu beachten, dass der rechtliche Wille des Einzelnen bei wertender Beurteilung nicht von seinem Erklärungsbewusstsein und -willen getrennt werden kann. Denn es macht keinen Unterschied, ob jemand rechtsgeschäftlich gar nichts oder nur etwas anderes will[8]. Also bilden Erklärungsbewusstsein und Erklärungswille mit dem Geschäftswillen eine Einheit[9]. Die „Grundsatznorm“ des § 133 BGB fordert demnach nicht nur die Erforschung des Geschäftswillens, sondern automatisch auch die Erforschung desjenigen Bewusstseins, das den Erklärenden bei seiner Willenskundgabe leitet. Ausgehend hiervon entsteht keine Willenserklärung, wenn jemand allein aus Spaß einen Bestellschein ausfüllt. Selbst wenn er ihn in den Verkehr bringt, also an ein Versandhandelsunternehmen schickt, gibt er keine Willenserklärung ab.

bb) Erforderlichkeit der Einschränkung des menschlichen Willens. Aus der Anerkennung des individuellen Willens als Grundlage der Privatrechtsordnung ergibt sich zugleich, dass Einschränkungen eines menschlichen Willens zulässig sein müssen, soweit dies zur Erlangung praktischer Konkordanz mit den Interessen seiner Mitmenschen notwendig ist. Die Freiheit der Entscheidung kann dem Einzelnen entgegen der liberalen Ideologie des 19. Jahrhunderts[10] also nur im Rahmen einer sozialen Gesamtordnung zuerkannt werden[11]. Das bedeutet, dass das Recht in seiner sozialen Ordnungsfunktion Regeln kennen muss, nach denen menschlich selbstbestimmtes Verhalten erforderlichenfalls Rechtsfolgen im Interesse Anderer hervorruft, die dem aktuellen Erklärungsbewusstsein des Erklärenden widersprechen. Das ist nicht erforderlich, wenn eine Willenserklärung keine unmittelbare rechtliche Wirkung auf Andere hat, mithin nicht empfangsbedürftig ist. Daher ist es z. B. bei der Eigentumsaufgabe i. S. v. § 959 BGB bei der Maßgeblichkeit des individuellen Willens zu belassen. Eigentum kann nur wirksam aufgegeben werden, wenn ein entsprechendes aktuelles Erklärungsbewusstsein besteht. Das ergibt sich auch aus dem Wortlaut von § 959 BGB, der unter anderem die Absicht fordert, auf das Eigentum zu verzichten: Absicht wird definiert als zielgerichteter Erfolgswille. Einem selbstbestimmten Verhalten Rechtsfolgen im Interesse Anderer beizulegen, obgleich sie dem aktuellen Erklärungsbewusstsein des Erklärenden widersprechen, kann dem gegenüber dort erforderlich sein, wo mindestens zwei Parteien mit rechtlichen Auswirkungen aufeinander treffen, und deshalb ist dieser Grundsatz bei den Regelungen über den Vertrag festgelegt, in §§157 BGB[12]. Ihm zufolge sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Durch vernunftgemäße Auslegung. Die erforderliche Korrektur lässt sich auf die Weise erreichen, dass Erklärungsbewusstsein und Geschäftswille als Bestandteil einer Willenserklärung zwar nicht abgeschafft, aber zwingend in einem vernünftigen Sinne verstanden werden[13]. Das Korrektiv ist dann innerhalb des Begriffes der Willenserklärung angesiedelt. Das bedeutet indes die völlige Aufgabe des Individualprinzips zugunsten eines Sozialprinzips in Reinform, bei dem an die Stelle des Willens der vom Richter zu ermessende objektivierte Wille tritt[14]. Dadurch wird verkannt, dass das Korrektiv kein Selbstzweck ist, sondern um der Selbstbestimmung willen vonnöten ist. Dieser Ansatz ist daher abzulehnen.

(2) Durch Korrektur des individuellen Erklärungsbewusstseins. Dualistischer Ansatz. Zum anderen lässt sich die erforderliche Einschränkung des privaten Willens dadurch angehen, indem man den vollständigen Begriff der Willenserklärung unangetastet lässt, ihm jedoch von außen ein weiteres Kriterium als Korrektiv beiseite stellt, durch welches das den Allgemeininteressen zuwider laufende Erklärungsbewusstsein im Einzelfall überbrückt wird. Derartige Korrektive können am Erklärenden ansetzen und ihm Selbstverantwortung auflegen[15] oder am Erklärungsempfänger anknüpfen und nach dessen schutzwürdigem Vertrauen fragen[16]. Falls dem Recht eine derart dualistische Erklärungstheorie zugrunde läge, würde das Erklärungsbewusstsein weiterhin für eine Willenserklärung konstitutiv sein. Dies zu Grunde gelegt, liegt im Ausfüllen eines Bestellscheins lediglich spaßeshalber noch immer keine Willenserklärung. Wenn der Bestellschein in den Verkehr gerät, so bedeutet dies nicht die Abgabe einer Willenserklärung. Gegebenenfalls werden die resultierenden Folgen aber zu korrigieren sein.

(3) Durch normative Auslegung des potenziellen Erklärungsbewusstseins. Monistischer Ansatz. Eine Sozialordnung kann erforderlichenfalls auch dadurch einem Verhalten ohne Erklärungsbewusstsein Rechtsfolgen beilegen, indem sie auf die Erheblichkeit eines solchen individuellen Bewusstseins allgemein verzichtet und vielmehr normativ bestimmt, ob eine Äußerung auf das Vorhandensein eines entsprechenden Willens schließen lässt[17]. Die so anfallende normative Betrachtung würde dann entscheiden, ob die Interessen des Erklärenden oder die des Erklärungsempfängers in Geltung zu setzen sind. Bei einem derartigen monistischen Verständnis von der Willenserklärung als Geltungserklärung entscheidet in rein objektiver Betrachtung, wann das Ausfüllen eines Bestellscheins eine Willenserklärung darstellt. Dasselbe gilt für die Abgabe, etwa durch das Absenden des Bestellscheins. Das in Rede stehende Verhalten müsste indes auch unter normativer Betrachtung noch selbstbestimmt, dem Kundgebenden also zuzurechnen sein.

cc) Vereinbarkeit der Ansätze mit gesetzlicher Grundkonzeption. Für die Beantwortung der Frage, auf welche Weise das Gesetz vorgeht, ist zunächst die Vorschrift zu betrachten, in der das Erfordernis eines Korrektivs positiviert ist, also § 157 BGB. Sein Hinweis auf die Berücksichtigung von Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte nach Vertragsschluss lässt sich so verstehen, dass der Selbstverantwortung beziehungsweise dem Vertrauen des jeweiligen Erklärungsempfängers nachträglich Genüge zu tun ist. Er ist insofern durchaus mit einer dualistisch geprägten Anschauung von der Willenserklärung vereinbar. Das gilt jedoch nur, soweit man das der Willenserklärung beitretende Korrektivmerkmal als Ergänzung begreift und den Fall des völlig fehlenden Erklärungsbewusstseins bei Schutzwürdigkeit des Verkehrs in die Rechtscheinhaftung verlagert[18]. Vertrauensschutz und Selbstverantwortung, die so weit gehen, dass sie das bewusst Erklärte gegebenenfalls vollständig ersetzen müssen[19], lassen sich indes mit dem Wortlaut des § 157 BGB nicht vereinbaren, da dieser voraussetzt, dass vor der Korrektur bereits ein an sich wirksamer Vertrag zustande gekommen ist.

Ein monistisches Prinzip, demzufolge es nicht entscheidend auf das innere Erklärungsbewusstsein ankommt, sondern auf das nach außen in Geltung gesetzte, kann durch die Formulierung des § 157 BGB ebenfalls gesetzlich zum Ausdruck gebracht werden. Insofern ist ein Verständnis von der Willenserklärung als Geltungserklärung ebenso in Übereinstimmung mit der allgemeinen Anordnung der Vorschrift zu bringen, dass es um der Selbstbestimmung willen erforderlichenfalls der Einschränkung selbstbestimmten Handelns bedarf. Überdies steht es im Einklang mit dem Wortlaut, wenn ihm zufolge trotz Verzichts auf das innere Erklärungsbewusstsein ein Vertrag entstanden ist, der nunmehr lediglich im normativen Sinne auszulegen ist. Die Willenserklärung als Geltungserklärung zu verstehen bedeutet also, dem schutzwürdigen Vertrauen in das äußerlich auftretende Erklärungsbewusstsein innerhalb der Rechtsgeschäftslehre begegnen zu können, so wie es § 157 BGB vorschreibt.

dd) Vereinbarkeit der Ansätze mit sonstigen Gesetzesvorschriften. Für die Beantwortung der Frage, auf welche Weise das Gesetz vorgeht, sind überdies die sonstigen Vorschriften zu betrachten, die die Willenserklärung zum Gegenstand haben. Davon haben insbesondere diejenigen Aussagewert, die Willensmängel betreffen. Dies sind für bewusste Mängel die §§ 116 bis 118 BGB und die Grundsatznorm des § 119 BGB für unbewusste Mängel. Sie setzen allesamt den Bestand von Willenserklärungen voraus. Ein dualistischer Ansatz, der auf das innere Erklärungsbewusstsein nicht verzichtet, kann somit in direkter Anwendung gegebenenfalls auf keine der Regeln zurückgreifen, die das Gesetz für Willensmängel bereithält[20]. Damit werden allerdings wichtigen rechtsgeschäftlichen Problemen die positivierten Lösungen des Gesetzes genommen und können nur im Bereich der Rechtscheinhaftung behandelt werden[21]. Das steht in gewissem Widerspruch zu der Anordnung des § 157 BGB, wonach die Korrektur freier Willenserklärungen insbesondere im Rahmen des Vertragsrechts zu vollziehen ist, was hinsichtlich der einzelnen Willenserklärung eben bedeuten muss, dass das Recht der Willenserklärungen in den §§ 116 bis 144 BGB einschlägig sein soll.

(1) Nichtigkeit bei mangelnder Ernstlichkeit. Im Rahmen der bewussten Willensmängel wird trotz ihrer Unvereinbarkeit mit dem Wortlaut für die Geltung der dualistischen Erklärungstheorie die Wertung des § 118 BGB herangezogen. Denn wenn die dortige Nichtigkeitsfolge schon bei einer bewusst abgegebenen Scherzerklärung eintritt, bei der sich der Erklärende lediglich über die Rechtserheblichkeit irrte, so müsse dies auch und erst recht in allen anderen Fällen fehlenden Erklärungsbewusstseins gelten, weil bei diesen die Zurechnungsfaktoren regelmäßig schwächer seien[22]. Allerdings hat der Erklärende im Fall des § 118 BGB im Unterschied zum mangelnden Erklärungsbewusstsein die Nichtgeltung seiner Erklärung gewollt, der wirkliche Wille war also bewusst auf die Nichtgeltung gerichtet. Deshalb verhält sich der Fall des § 118 BGB zum fehlenden Erklärungsbewusstsein nicht wie das Größere zum Kleineren, sondern ist mit ihm gar nicht vergleichbar[23]. Er kann daher nicht unterstützend für den dualistischen Ansatz herangezogen werden.

Auf den ersten Blick scheint er indes auch nicht mit der Anschauung von der Willenserklärung als Geltungserklärung übereinzustimmen, da er für eine gutwillig scherzhaft gemeinte Willenserklärung das genaue Gegenteil dessen anordnet, was ein normativ erschlossenes Erklärungsbewusstsein ergäbe. Der Grund hierfür ist jedoch in seiner Funktion zu suchen. Indem er eine gutwillige Scherzerklärung für nichtig erklärt, die bei objektiver Auslegung als gültig anzusehen sein würde, führt er die Reichweite der normativen Korrektur unbeschränkter Selbstbestimmung dort zurück, wo sie übermäßig zu Ungunsten des gutwillig einen Scherz Erklärenden wirken und die Selbstbestimmung konterkarieren würde. Aus dieser Perspektive ist §§118 BGB also keine Regel wider den monistischen Ansatz, sondern eine Begrenzung der normativen Korrektur um des Ausgangsprinzips – der Privatautonomie – willen.

(2) Unbeachtlichkeit der sog. Mentalreservation. § 116 Satz 1 BGB grenzt sich noch deutlicher von der dualistischen Erklärungstheorie ab, wenn er eine Äußerung für gültig erkennt, obwohl der Äußernde dies ausdrücklich insgeheim nicht wollte, und diese Äußerung trotz fehlenden Willens als Willenserklärung bezeichnet. Wäre anderenfalls die sogenannte Mentalreservation beachtlich, so wäre derjenige, der ein Rechtsgeschäft vornimmt, in der Lage, dessen Bestand seiner freien Willkür zu unterwerfen. So wie der Vorbehalt, etwas überhaupt nicht zu wollen, beachtlich wäre, so müsste auch der Vorbehalt von Bedeutung sein, ein Rechtsgeschäft nur im Hinblick auf bestimmte innerlich gestellte Bedingungen nicht zu wollen[24].
Weil die Erfahrung lehrt, dass nahezu jedes Rechtsgeschäft im Hinblick auf ein darüber hinausgehendes Ziel gewollt und der Bindungswille insofern beschränkt ist, würde der Bestand eines Rechtsgeschäfts sämtlichen Launen und Motiven des Erklärenden ausgesetzt sein, bei zweiseitigen Rechtsgeschäften sogar in beiden Richtungen. Das praktische Ergebnis wäre eine Absage an den Grundsatz pacta sunt servanda, weil sich keine Vertragsbindungen von längerer Dauer mehr bilden würden. Denn dies würde Verzicht auf Freiheit und Willkür für die Zukunft bedeuten. Die in § 116 Satz 1 BGB angeordnete Unbeachtlichkeit der Mentalreservation kann aufgrund des Wortlauts von der dualistischen Theorie nicht erklärt werden, stellt in diesem Lichte aber eine zwingende Notwendigkeit für den Erhalt der Privatautonomie dar. Sie bildet insofern ein Korrekturmerkmal exakt im Sinne des monistischen Ansatzes, der auf das innere Erklärungsbewusstsein als entscheidendes Kriterium verzichtet.

(3) Anfechtbarkeit wegen Irrtums. Entgegen seinem Wortlaut wurde behauptet, § 119 BGB sei auch für die Erklärungstheorie anwendbar. Denn wenn der Wortlaut des § 119 I BGB eine Erklärung voraussetzt, die mit diesem Inhalt vom Erklärenden nicht gewollt ist, dann heiße das denknotwendig, dass insofern irgendein Erklärungsbewusstsein vorliegen müsse[25]. Doch ist dieser Schluss logisch nicht haltbar, denn eine Erklärung dieses Inhalts hat man auch nicht abgeben wollen, wenn man überhaupt keine Erklärung abgeben wollte[26].

Auch § 119 BGB spricht also trotz des möglichen Fehlens des Erklärungsbewusstseins von einer Willenserklärung. Dass es danach Willenserklärungen ohne ein entsprechendes konkretes Erklärungsbewusstsein gibt, stimmt nicht mit der dualistischen Herangehensweise überein, wohl aber mit der monistischen. Demnach ist auch eine Willenserklärung ohne Erklärungsbewusstsein gültig, und nur weil eine absolute Gültigkeit über das Maß des Erforderlichen gehen würde, wenn sich der Erklärende irrte, ordnet § 119 BGB die Anfechtbarkeit durch den Erklärenden an und gibt diesem damit ein Mittel an die Hand, die Erklärung selbstbestimmt entweder umzuwerfen oder anzuerkennen[27].

(4) Zwischenergebnis. Dem monistischen Ansatz stehen mithin direkt alle Instrumente zur Verfügung, die das Gesetz für bewusste und unbewusste Willensmängel bereit hält, und kann anfallende Probleme insoweit – wie von § 157 BGB gefordert – innerhalb der Rechtsgeschäftslehre behandeln.

ee) Vereinbarkeit des monistischen Ansatzes mit Gewohnheitsrecht und sonstigem Gesetzesrecht. Die an einer normativen Auslegung des Erklärungstatbestandes ausgerichtete Konzeption, die auf ein individuelles Erklärungsbewusstsein verzichten kann, liegt überdies der rechtlichen Anerkennung quasivertraglichen Verhaltens nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo[28] und der fehlerhaften Gesellschaft[29] zugrunde. Auch die Haftung des falsus procurator gemäß § 179 I BGB bringt – an systematisch anderem Ort, aber inhaltlich übereinstimmend – zum Ausdruck, dass die Selbstbestimmung gesetzlich in einer Weise korrigiert wird, die nicht entscheidend auf ein inneres Erklärungsbewusstsein abstellt.

ff) Aktuelles Wiederaufkommen der reinen Willenstheorie. Neuerdings wird die Grundsätzlichkeit des Korrekturbedürfnisses, ausgehend von einem dezidiert willensbasierten Verständnis von der Wirksamkeit von Willenserklärungen, im Schrifttum wieder bestritten[30]. Die Verkürzung des Tatbestandes der Willenserklärung um das angeblich gesetzlich vorausgesetzte Merkmal des Erklärungsbewusstseins führe zu einer Derogation der rechtsgeschäftlichen Grundwertungen. Die Annahme einer rechtsgeschäftlichen Bindung bei fehlendem Erklärungsbewusstseins sei ein reines – dem privaten Recht an sich fremdes – Sanktionsmittel[31].

Diese Anschauung hält den rechtsgeschäftlichen Willen für absolut beachtlich und muss deshalb für einschlägige gewohnheitsrechtliche Grundsätze neue Begründungen aufstellen, sofern die Erforderlichkeit nicht schon ganz angezweifelt wird, wie zum Beispiel die Lehre von der culpa in contrahendo[32]. Bei einigen gesetzlich angeordneten Korrekturen erschöpft sich die alternative Begründung – bei gleichen Ergebnissen – in semantischen Unterschieden. § 116 BGB etwa diene als Einschränkung der Willensherrschaft „im Dienste ihrer eigenen Erweiterung“[33]. In das Regelungsgebäude anderer Vorschriften müssen aufwändig neue Fundamente eingezogen werden. Die Haftung des falsus procurator etwa wird als Haftung für die Nichterfüllung einer eigenen rechtsgeschäftlichen Leistungspflicht des Vertreters verstanden[34]. Die Regelung des § 119 BGB gehe von dem lebenswahrscheinlichen Normalfall aus, dass jemand durchaus etwas Rechtserhebliches sagen wollte, als er sich irrte[35]. Ihr maßgeblicher Zweck wird darin gesehen, dem Erklärungsempfänger eine Berufung auf den Willensmangel des anderen zu versagen und diese allein dem Erklärenden zu überlassen. § 119 BGB biete somit das Instrument für den Irrenden, seinem natürlichen Drang zur Klarstellung nachzukommen, und zwar nicht nur wegen seines Liberationsinteresses, sondern vor allem wegen seines Interesses, das eigentlich Gewollte auszudrücken. Dass § 119 BGB also doch vom Vorhandensein irgendeines Erklärungsbewusstseins und Geschäftswillens ausgehe, zeige sich ferner in einem Vergleich mit §§118 BGB. Dort werde umgekehrt die Nichtigkeit einer Erklärung wegen des fehlenden inneren Drangs des scherzhaft Erklärenden angeordnet, die Angelegenheit weiter zu verfolgen, da bei diesem tatsächlich kein ernsthafter Rechtsbindungswille bestehe.

Den Aussagen der Gesetzesmaterialien, die diese neu-alte Ansicht zur Begründung heranzieht[36], ist inhaltlich nicht zu widersprechen. Doch ist ihr entgegenzuhalten, dass sie die Materialien selektiv betrachtet. Denn auch diese erklären deutlich, dass es darauf ankommt, unter gebotener Ausgleichung der widerstreitenden Interessen des Irrenden und des anderen Teils wie auch Dritter ein den Anforderungen der Billigkeit entsprechendes Recht zu schaffen[37]. Konkret äußern die Materialien, dass eine rechtlich erhebliche Willenserklärung in puncto Erklärungsbewusstsein nicht schlechthin der Lebenswirklichkeit entsprechen muss, weil dies „mit der im Verkehrsinteresse liegenden thunlichsten Aufrechterhaltung der Rechtsgeschäfte nicht vereinbar“ ist[38]. Bezeichnenderweise findet bei der Darlegung der angeblich absolut willensorientierten Konzeption des Gesetzes § 157 BGB keine Erwähnung. Wenn man der dort angeordneten Rücksicht auf die Verkehrssitte aber Beachtung schenkt, so ist der Verzicht auf das individuelle zugunsten eines normativ verstandenen Erklärungsbewusstseins keinesfalls die vollständige Lösung vom Prinzip der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie[39], sondern die Berücksichtigung von Belangen der Allgemeinheit im Hinblick darauf, dass jeder Mensch in einer sozialen Ordnung lebt und daher seinen Willen nicht unbeschränkt ausleben kann.

II. Ergebnis

Nach all dem Gesagten erscheint die Ansicht vorzugswürdig, nach der es auf ein tatsächlich vorhandenes Erklärungsbewusstsein bei der empfangsbedürftigen Willenserklärung beziehungsweise bei ihrer Abgabe nicht entscheidend ankommt. Wer ohne dieses Bewusstsein einen Bestellschein ausfüllt, der kann dadurch eine Willenserklärung kundgetan haben. Wer den ausgefüllten Bestellschein abschickt, kann damit eine Willenserklärung abgegeben haben. Voraussetzung hierfür bleibt jedoch nach den obigen Ausführungen zu § 157 BGB, dass dies äußerlich als selbstbestimmtes Verhalten anzusehen ist. Derartiges entscheidet sich also für alle Seiten nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte[40]. Das hat seinen Grund darin, dass im Allgemeinen jeder selbst unmittelbar Einfluss darauf hat, was er nach außen kundtut. So verstanden ist der Begriff der Selbstverantwortung nicht überflüssig und diese Lösung ein Gebot der Verhältnismäßigkeit. Aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergibt sich zugleich, dass bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen der Grundsatz des § 133 BGB, das heißt die reine Willenstheorie, nicht einzuschränken ist.



[1] Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl. (2001), Einf. v. § 116 Rdnr. 1.
[2] Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches (1888), Band I, S. 126; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band 2 – Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. (1992), § 4, 8; Kellmann, JuS 1971, 609, 612; Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen (1966), S. 233 ff.; Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl. (1991), Vor § 116 Rdnr. 15; Staudinger/Coing, BGB, 11. Aufl. (1957), Vorbem. zu §§ 116-144 Rdnr. 1 ff.; Staudinger/Dilcher, BGB, 13. Bearb. (1995), Vorbem. zu. §§ 116-144 Rdnr. 3.
[3] Soergel/Hefermehl (o. Fußn. 2), Vor § 116 Rdnr. 6.
[4] Fabricius, JuS 1966, 1, 7.
[5] Soergel/Hefermehl (o. Fußn. 2), Vor § 116 Rdnr. 4.
[6] Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. (2000), S. 59.
[7] Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. (1995), Rdnr. 116.
[8] F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes (1967), S. 163.
[9] Soergel/Hefermehl (o. Fußn. 2), Vor § 116 Rdnr. 13.
[10] Vgl. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band III (1840), S. 258.
[11] Soergel/Hefermehl (o. Fußn. 2), Vor § 116 Rdnr. 5.
[12] Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches (1888), Band II, S. 197 f.
[13] Pawlowski (o. Fußn. 2), S. 247 ff.
[14] Soergel/Hefermehl (o. Fußn. 2), Vor § 116 Rdnr. 10.
[15] Flume (o. Fußn. 2), § 4, 7 f.
[16] Staudinger11/Coing (o. Fußn. 2), Vorbem. zu §§ 116-144 Rdnr. 3 e.
[17] BGHZ 109, 171, 177; 91, 324, 330. F. Bydlinski (o. Fußn. 8), S. 162 ff.; Kellmann, JuS 1971, 609, 612 ff.; Larenz/Wolf Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 8. Aufl. (1997), § 24 Rdnr. 8; MünchKomm/Kramer, BGB, 3. Aufl. (1993-1997), § 119 Rdnr. 87; Soergel/Hefermehl (o. Fußn. 2), Vor § 116 Rdnr. 13.
[18] Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971), S. 427 f.
[19] Flume (o. Fußn. 2), § 4, 8.
[20] Staudinger11/Coing (o. Fußn. 2), Vorbem. zu §§ 116-144 Rdnr. 3 f.
[21] MünchKomm/Kramer (o. Fußn. 17), Vor § 116 Rdnr. 26; § 119 Rdnr. 85.
[22] Canaris (o. Fußn. 18), S. 550.
[23] F. Bydlinski, JZ 1975, 1, 3.
[24] Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung und autonome Bindung (1999), S. 123 f.
[25] Lehmann/Hübner, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 16. Aufl. (1966), § 34 III 1 b.
[26] F. Bydlinski, JZ 1975, 1, 2.
[27] Medicus, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 7. Aufl. (1997), Rdnr. 607.
[28] Dazu Medicus, Schuldrecht I – Allgemeiner Teil, 12. Aufl. (2000), Rdnr. 103 ff.
[29] Dazu G. H. Roth, Handels- und Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. (1998), S. 99 ff.
[30] Lobinger (o. Fußn. 24).
[31] Lobinger (o. Fußn. 24), S. 176.
[32] Lobinger (o. Fußn. 24), S. 33 ff.
[33] Lobinger (o. Fußn. 24), S. 223 ff.
[34] Lobinger (o. Fußn. 24), S. 281 ff.
[35] Lobinger (o. Fußn. 24), S. 158 ff.
[36] Vgl. nur zur Irrtumsanfechtung Lobinger (o. Fußn. 24), S. 135 ff. und passim.
[37] Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band 1 (1899), S. 715.
[38] Motive I (o. Fußn. 2), S. 199.
[39] So aber Lobinger (o. Fußn. 24), S. 177.
[40] BGHZ 109, 171, 177; 91, 324, 330.

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