Herzlich willkommen auf jurawelt.com

Zur neuen Webseite: jurawelt.com

Zum Forum: forum.jurawelt.com


"Aktienrechtsreform: Die Internet-Hauptversammlung kommt" von Prof. Dr. Ulrich Noack
Das deutsche Aktienrecht soll für das Internetzeitalter tauglich werden. Einen Modernisierungsschub wird ihm das "Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung" (NaStraG) verleihen, der inzwischen als Regierungsentwurf vorliegt: http://www.jura.uni-duesseldorf.de/service/hv/nastrag.htm

Wenn das Reformprojekt unverwässert bleibt, erleben wir ab 2001 etwa folgendes Szenario: Ein Aktionär, der - selbstverständlich im electronic brokerage - Namensaktien erworben hat, erhält von der Gesellschaft die Einladung zur Hauptversammlung per e-mail; seine digitale Adresse ist im elektronischen Aktienregister notiert. Ein Klick auf den Button in der Mail eröffnet die Online-Teilnahme an der Hauptversammlung. Ein Audio-Videostream bringt das Aktionärstreffen auf den heimischen Schirm. Bis zur Abstimmung in der Präsenz-HV kann der externe Aktionär seine Meinung zu den Beschlüssen kundtun. Für ihn scheint es - das ist der Clou - als gebe er online seine Stimme ab.

Aktienrechtlich ist dies nach wie vor nicht der Fall. Hinter dem Button mit der Aufschrift "Vote" verbirgt sich eine kleine juristische Welt. Sie zu ordnen tritt das NaStraG an. Schon nach bisherigem Recht kann der Aktionär einen beliebigen Vertreter zu der HV schicken - persönliche Anwesenheit ist nicht erforderlich. Allerdings: Der Vertreter muss über eine schriftliche Vollmacht verfügen. Hier hakt die Gesetzesnovelle ein, indem künftig die Schriftform entfällt (für Banken und Aktionärsvereinigungen) oder von der Satzung für entbehrlich erklärt werden kann. Weitsichtige Gesellschaften haben schon in dieser Hauptversammlungssaison eine entsprechende Satzungsänderung im Programm, um im nächsten Jahr sogleich von den Erleichterungen für die Stimmrechtsausübung Gebrauch zu machen. Damit wird es möglich, dass der über das Aktienregister authentifizierte Aktionär elektronisch eine Vollmacht erteilt und den Vertreter auf dieser Rechtsgrundlage dirigiert. Die Einschaltung eines persönlichen Vertreters, dem man bis zur Abstimmung anweisen konnte, war bislang de facto Privileg vermögender Investoren. Mit Hilfe der modernen Kommunikationstechnik können nun auch breiteste Aktionärskreise auf den vor und während der Hauptversammlung online erreichbaren "Stimmrechtsbroker" einwirken. Die eher zaghaften Versuche von DaimlerChrysler und der Deutschen Telekom in diesem Jahr sind erst der Anfang.

Spannend wird es, zu beobachten, wer die Rolle des Online-Vertreters künftig spielen wird. Vieles spricht dafür, dass die Depotbanken aus ihrer angestammten Rolle verdrängt werden, sei es, weil durch das Vordringen der Namensaktie der Kontakt direkt zwischen Gesellschaft und Aktionär verläuft, sei es, weil die Direktbanken diese Dienstleistung gar nicht mehr anbieten. Die Lücke werden Aktionärsvereinigungen nach aller Erfahrung nicht wirklich schließen, so dass vorerst nur eine Einrichtung bleibt: die Gesellschaft selbst. Die Wahrnehmung fremder Stimmrechte durch die Gesellschaft (oder was in der Sache nichts ändert: durch Mitarbeiter der Gesellschaft oder von ihr bezahlte Dritte in Gestalt eines Stimmrechtskomitees) wird in der aktienrechtlichen Literatur wegen Interessenkollisionen missbilligt. Doch schlagen die Bedenken letztlich nicht durch, wenn der Aktionär Einzelweisungen für die Stimmausübung erteilt. Läuft die Entwicklung in diese Proxy-Voting-Richtung, wird bald die Frage auftauchen, ob Fehlverhalten im Anbahnungs- und Vertretungsverhältnis für den Bestand der Hauptversammlungsbeschlüsse wie bislang irrelevant bleiben kann. Diese Stimmrechtswahrnehmung über Gesellschaftseinrichtungen könnte zu einer spürbaren Veränderung der corporate governance führen.

Flankierend zu dem vorstehend beschriebenen "Vertretermodell" für eine Internet gestützte HV enthält das NaStraG eine Reihe weiterer Regelungen, welche die digitale Abwicklung der HV erleichtern. Veröffentlichungen der Gesellschaft können auf der Website erfolgen; die Mitteilung über die Hauptversammlung und die dort gefassten Beschlüsse sind ebenfalls auf der Homepage einzustellen; das Teilnehmerverzeichnis braucht nicht mehr eine Kladde zu sein, sondern kann elektronisch geführt werden. Vor allem aber wird das Recht der Namensaktie der modernen Praxis des Kapitalmarkts angepasst.

Mit dem juristischen Kniff, einen Vertreter zwischenzuschalten, vermeidet der Gesetzentwurf die heikle Frage, ob folgende Aussage des Aktiengesetzes noch zeitgemäß ist: die Aktionäre üben ihre Rechte "in der Hauptversammlung" aus. Eine direkte Stimmabgabe per electronic voting (Briefwahl) wird es zunächst nicht geben. Aber wenn der Vertreter im wesentlichen nur dazu da ist, den Computer zu bedienen, auf dem die Stimmrechtsdirektiven auflaufen, wird das Absurde der Situation rasch bewusst werden. Konsequent wäre dann der nächste Schritt, eine Online-Stimmabgabe ohne Umweg zu gestatten.

Noch weitergehender ist die Vorstellung, als "Versammlung" auch das Online-Meeting zu akzeptieren. Anders ausgedrückt: Es gäbe dann kein physisches Zusammentreffen der Anteilseigner mehr, sondern nur noch die Internetverknüpfung. Das ist für kleine Gesellschaften eine attraktive Variante, die das NaStraG für den Aufsichtsrat übrigens schon vorsieht. Daher könnte schon jetzt daran gedacht werden, eine solche reine Internet-HV für nicht börsennotierte ("kleine") AG satzungsdispositiv zu stellen.

Genau betrachtet verändert das von manchen fast schon messianisch erwartete NaStraG gar nicht viel in Richtung "virtuelle HV". Doch das feine Skalpell schneidet in die richtigen Stellen, um die Bahn für den elektronischen Kreislauf freizumachen. Es ist ein Signal auch an Europa. Denn die Wahrnehmung der Aktionärsrechte endet leider noch zu oft an den europäischen Binnengrenzen. Das deutsche Aktienrecht wäre mit dem NaStraG für ein effizientes cross border voting gerüstet: durch die konsequente Nutzung der ubiquitären elektronischen Medien für HV-Einladung und HV-Durchführung. Damit schließt das Gesellschaftsrecht auch wieder ein Stück auf zum vorauseilenden Kapitalmarktrecht. Denn dass man über den Internetbroker zwar Mitglied einer AG werden, aber von den Mitgliedsrechten nur nach alter Väter Sitte Gebrauch machen kann, leuchtet nicht ein.


Impressum | Datenschutz