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"Neusegmentierung des Aktienmarktes ermöglicht kaum wirksame Sanktionen"
Aufsatz von Timo Holzborn und Udo A. Zietsch*); jurawelt dankt der Dr. von Göler Verlagsgesellschaft (www.von-goeler.de) für die Veröffentlichungsgenehmigung.

Die Deutsche Börse AG (DBAG) will den Neuen Markt und den Smax nach einer Übergangsfrist bis Ende des Jahres 2003 abschaffen. Künftig soll es nur noch ein Premiumsegment ("Prime Standard") mit strengen, international üblichen Pflichten für die dort notierten Unternehmen und ein Basissegment für die anderen Gesellschaften ("Domestic Standard") geben. Das Premiumsegment wird voraussichtlich in verschiedene Untersegmente (nach Branchen etc.) mit unterschiedlichen Zusatzpflichten unterteilt.

Sowohl das Basissegment als auch das Premiumsegment werden auf dem "Grundmarkt" des gesetzlich geregelten Amtlichen Marktes bzw. des Geregelten Marktes aufsetzen. Die Attraktivität des reformierten Aktienmarktes soll einerseits durch eine höhere Transparenz und andererseits durch eine größere Rechtssicherheit sowie eine bessere Durchsetzbarkeit der Regeln erhöht werden, was durch eine Verankerung der Pflichten in der Börsenordnung der Frankfurter Wertpapierbörse (FWB) sichergestellt werden soll. Grundlage hierfür ist die Neuregelung der Börsenermächtigung durch das zum l. Juli 2002 in Kraft getretene 4. Finanzmarktförderungsgesetz (FimaföG), auf die seitens der DBAG im Gesetzgebungsverfahren maßgebend Einfluss genommen wurde.

Durch das FimaföG wurde im Börsengesetz die rechtliche Möglichkeit geschaffen, in den Börsenordnungen und damit im öffentlich-rechtlichen Bereich der Börsen zusätzliche Pflichten für besonders organisierte Segmente zu regeln. Dies kann beispielsweise die Pflicht von Lock-up-Vereinbarungen (zeitlich befristete Aktienverkaufsverbote) bei der Zulassung als auch strengere Rechnungslegungsvorschriften und weitere Zulassungsfolgepflichten umfassen.

Lock-up-Pflichten gestrichen
Bedenklich ist allerdings, dass die im Gesetzesentwurf zunächst noch vorgesehene Regelung über Lock-up-Verpflichtungen später im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens im Finanzausschuss gestrichen worden ist. Eine tatsächliche Verschärfung der Börsenkriterien hat das FimaföG insbesondere auch auf dem Gebiet der Rechnungslegung – man denke nur an die Fälle Comroad und Phenomedia - nicht gebracht. Dies müsste daher dringend Thema der nächsten Handelsgesetzbuch-Novelle werden. Zu begrüßen bleibt zwar die gesetzliche Einführung einer Meldepflicht für Vorstands- und Aufsichtsratsaktiengeschäfte; allerdings wird diese Regelung nahezu vollständig dadurch entwertet, dass Vermögensverwaltungsgesellschaften nicht unter die Regelung fallen und diese Meldepflicht - anders als nach dem Vor-bild in den USA - nur nachträglich zu erfolgen hat.

Prozessflut
Trotz der erkennbaren Bemühungen des Gesetzgebers und der DBAG ist die Erreichung des mit dem FimaföG bezweckten Ziels - nämlich die Ermöglichung einer schnellen und effektiven Reaktion auf Marktentwicklungen durch entsprechende Anpassungen der Zulassungs- und Zulassungsfolgepflichten - mehr als fraglich. Zunächst dürfte vor dem Hintergrund der zahlreichen Prozesse, die im Zusammenhang mit der von der DBAG zum l. Oktober 2001 vorgenommene Änderung des Regelwerkes Neuer Markt über den Ausschluss von Niedrigkursaktien aus dem Neuen Markt (sog. Penny-Stock-Regelung) geführt wurden, kaum damit zu rechnen sein, dass diejenigen Unternehmen, die in das Basissegment "gewechselt werden", dies ohne Gegenwehr geschehen lassen. Vielmehr dürfte eine Flut von Prozessen zu erwarten sein. Dies gilt umso mehr, als es der Gesetzgeber versäumt hat, im FimaföG genau zu bestimmen, in welchem Bereich er sich welche Zusatzpflichten vorstellen kann. Diese fehlende Bestimmtheit könnte aber, da insoweit das Ausformungsrecht vom Gesetzgeber nicht nur in die Hände einer Behörde, sondern in diejenigen der beliehenen Börse gelegt wurde, auf verfassungsrechtliche Probleme stoßen.

Kein Freibrief
Außerdem ist zu beachten, dass auch im Falle der Umsetzung der Zulassungs- und Zulassungsfolgepflichten ins öffentliche Recht die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme zu beachten bleibt, die sich ebenfalls an Billigkeitskriterien zu orientieren hat. Das heißt, dass auch im öffentlichen Recht die beim Neuen Markt so oft kritisierten kurzen Um-setzungsfristen (z.B. Penny-Stock-Regelung) ebenfalls ausscheiden. Auch nach Schaffung der neuen Möglichkeiten wird die FWB also keinen "Freibrief" für Regeländerungen ohne Einbeziehung der Emittenten haben, weil deren Interessen auch weiterhin ausreichend zu berücksichtigen sind.

Schließlich steht der FWB zur Durchsetzung der zusätzlichen Pflichten im Premiumsegment keine gesetzlich geregelte Bußgeldermächtigung zur Verfügung, die jedoch nach den Grundsätzen der bewehrten Satzung einer (ausdrücklichen und qualifizierten) gesetzlichen Ermächtigung bedürfte. Es besteht somit nur die Möglichkeit - was jedoch an ein formal schwerfälliges Verfahren gebunden ist - der Verhängung eines Ordnungsgeldes durch den Sanktionsausschuss (der FWB), dem im Börsengesetz die Ermächtigung zur Verhängung entsprechender Ordnungsgeldsanktionen gegeben wurde.

Disziplinierung zweifelhaft
Da es entsprechend der Gesetzesbegründung zum FimaföG weiterhin einen "Grundmarkt" (also den Amtlichen Markt und/oder den Geregelten Markt) geben muss, in dem für die dort notierten Unternehmen nur die im Börsengesetz ausdrücklich vorgesehenen Pflichten gelten, dürfte faktisch die "schärfste Sanktion" bei Nichtbefolgung der neuen zusätzlichen Pflichten im Premiumsegment bzw. im Basissegment die Rückstufung des betreffenden Unternehmens in den jeweiligen Grundmarkt darstellen. Es muss bezweifelt werden, ob diese "Sanktionsmöglichkeit" tatsächlich eine ausreichend disziplinierende Wirkung - man denke nur an den Streit mit Porsche wegen der Erstellung der Quartalsberichte - haben wird. Die Rückerlangung des Anlegervertrauens und damit die Wiederbelebung des deutschen Kapitalmarktes dürfte jedoch ohne wirksamen Druck auf die Emittenten durch entsprechende Sanktionsmöglichkeiten seitens der FWB, die bisher nicht (ausreichend) gesetzlich geregelt worden sind, wohl kaum gelingen.


*) Timo Holzborn ist Rechtsanwalt in der Sozietät Nörr Stiefenhofer Lutz in München und war zuvor für die Deutsche Börse AG in Frankfurt am Main tätig; Dr. Udo A. Zietsch ist Rechtsanwalt in der Partnerschaft Büsing, Müffelmann & Theye in Frankfurt am Main.

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