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"Neue Vergabeverordnung in Kraft getreten – Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben abgeschlossen" von Carsten Jennert
Neue Vergabeverordnung in Kraft getreten – Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben abgeschlossen

von Rechtsreferendar Carsten Jennert, Nürnberg


Einleitung

Am 01. Februar 2001 ist die neue "Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge" – kurz: Vergabeverordnung (VgV) - in Kraft getreten. Der Gesetzgeber hat damit endlich von der in § 127 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) enthaltenen entsprechenden Ermächtigung Gebrauch gemacht und nunmehr – nach der bereits zum Jahresbeginn 1999 erfolgten Einführung des 4. Abschnitts des GWB betreffend die Vergabe öffentlicher Aufträge – sämtliche europarechtliche Vorgaben in diesem Bereich in nationales Recht umgesetzt.

Zentraler Gegenstand der VgV ist die gesetzliche Festschreibung der bisher bereits indirekt geltenden EU-Schwellenwerte, bei deren Überschreitung die Verfahrensregeln der verschiedenen Verdingungsordnungen und das im GWB geregelte Nachprüfungsverfahren Anwendung findet sowie verschiedener Ausnahmen im Bereich der Auftraggeber, insbesondere solcher aus den sog. Sektorenbereichen. Darüber hinaus enthält die neue VgV einige Verfahrensregeln, die von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind und auf die im Folgenden ausführlich eingegangen werden soll.

1. Schwellenwerte

Die Schwellenwerte, bei deren Überschreitung ein Auftrag in der Regel im offenen Verfahren zu vergeben ist, betragen nach § 2 VgV · für Liefer- und Dienstleistungsaufträge im Bereich der Trinkwasser- oder Energieversorgung oder im Verkehrsbereich 400 000 Euro, · für alle anderen Liefer- und Dienstleistungsaufträge 200 000 Euro, · für Bauaufträge 5 Millionen Euro. Ob der jeweilige Schwellenwert überschritten wurde, ist nach Maßgabe des Auftragswertes ohne Umsatzsteuer zu beurteilen, wobei eine Aufteilung von Aufträgen zur Umgehung der Vorschriften verboten ist, Teillose eines Auftrages sind grundsätzlich zusammenzurechnen. Bei Lieferaufträgen gilt dies jedoch nur für Lose über gleichartige Lieferungen. Bei zeitlich begrenzten Lieferaufträgen mit einer Laufzeit bis zu 12 Monaten sowie bei Dienstleistungsaufträgen bis zu 48 Monaten Laufzeit, wird bei der Schätzung des Auftragswertes der Gesamtpreis für die Laufzeit des Vertrages zugrunde gelegt.

2. Vergabeverfahren

Liefer- und Dienstleistungsaufträge sowie Aufträge über Bauleistungen sind nach den §§ 4, 6 VgV in Verbindung mit § 3 a VOL/A bzw. VOB/A grundsätzlich im Offenen Verfahren, d.h. nach Aufforderung einer unbeschränkten Anzahl von Unternehmen zur Einreichung von Angeboten vergeben. Unter bestimmten Voraussetzungen können Aufträge im Nichtoffenen Verfahren, d.h. nach Aufforderung einer beschränkten Anzahl von Unternehmen zur Angebotseinreichung, bzw. im Verhandlungsverfahren mit oder ohne vorheriger öffentlicher Vergabebekanntmachung vergeben werden. Ersteres kommt beispielsweise in Betracht, wenn das Offene Verfahren für den Auftraggeber oder die Bewerber einen Aufwand verursachen würde, der zu dem erreichbaren Vorteil oder dem Wert der Leistung im Missverhältnis stehen würde. Das Verhandlungsverfahren kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, etwa wenn die Leistung nach Art und Umfang oder wegen der damit verbundenen Wagnisse nicht eindeutig und so erschöpfend beschrieben werden kann, dass eine einwandfreie Preisermittlung zwecks Vereinbarung einer festen Vergütung möglich ist.

Dienstleistungen, die im Rahmen einer freiberuflichen Tätigkeit erbracht oder im Wettbewerb mit freiberuflichen Tätigen angeboten werden, sind nach § 5 VgV in Verbindung mit § 5 VOF grundsätzlich im Verhandlungsverfahren mit vorheriger Vergabebekanntmachung zu vergeben. Die Vergabebekanntmachung kann unter bestimmten Voraussetzungen entfallen, etwa wenn der Auftraggeber aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen die vorgeschriebenen Fristen nicht einzuhalten vermag.

3. Sektorenbereich

Für Tätigkeiten im so. Sektorenbereich gelten besondere Bestimmungen. Tätigkeiten im Sektorenbereich sind nach § 8 VgV solche auf den Gebieten der Trinkwasserversorgung, der Elektrizitäts- und Gasversorgung, der Wämeversorgung sowie im Verkehrsbereich. Gemäß § 7 Abs. 2 VgV in Verbindung mit dem 4. Abschnitt der jeweiligen Verdingungsordnungen können öffentliche Auftraggeber, die in den Bereichen Elektrizitäts- und Gasversorgung, Wärmeversorgung oder Flughafenbetrieb tätig sind, sowie private Auftraggeber aus den Bereichen Trinkwasser, Energie, Verkehr und Telekommunikation Liefer- und Dienstleistungaufträge sowie Bauaufträge im Verfahren ihrer Wahl vergeben, sofern sie einen Aufruf zum Wettbewerb der Auftragsvergabe voranstellen. Auftraggeber in den genannten Bereichen sind damit nach der neuen VgV insofern privilegiert, als sie das häufig weniger kosten- und zeitintensive Verhandlungsverfahren für die Auftragsvergabe nutzen können, welches im Übrigen nur in wenigen Ausnahmefällen angewendet werden darf.

4. Benachrichtigung der unterlegenen Bieter vor Zuschlagserteilung

Gemäß § 13 VgV informiert der Auftraggeber die Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, über den Namen des Bieters, dessen Angebot angenommen werden soll und über den Grund der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres Angebotes. Der Auftraggeber muß diese Information spätestens 14 Tage vor dem beabsichtigten Vertragsschluß schriftlich abgeben und darf vor Ablauf der Frist bzw. ohne Informationserteilung und Fristablauf keinen Vertrag schließen. Handelt er dem zuwider, so ist der Vertragsschluß nichtig. Dieser Regelung kommt im System des Rechtsschutzes im Vergaberecht weitreichende Bedeutung zu:Denn nunmehr stellt das deutsche Vergaberecht eine Möglichkeit zur Erlangung von Primärrechtsschutz und nicht wie bisher nur Sekundärrechtsschutz, d.h. Schadensersatz, zur Verfügung. Zum Verständnis muß das Augenmerk auf § 114 II 1 GWB gelenkt werden, der besagt, dass ein einmal erteilter Zuschlag nicht mehr aufgehoben werden kann. Nach bisheriger Rechtslage hatten die konkurrierenden Bieter häufig keine Kenntnis von einer bereits erfolgten Zuschlagserteilung, konnten also etwaige Verstöße zumeist erst nach Zuschlagerteilung rügen. Wurden dann im Nachprüfungsverfahren Verstöße gegen vergaberechtliche Bestimmungen festgestellt, bestand für die benachteiligten Unternehmen gleichwohl keine Möglichkeit, doch noch den Auftrag zu erhalten und es blieb ihnen nur die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, deren Erfolg von weiteren, häufig nicht gegebenen Voraussetzungen abhängig war.Mit der Regelung des § 13 VgV hat der Gesetzgeber somit eine wesentliche Lücke im Bieterrechtsschutz, die zudem mit der Rechtsprechung des EuGH ("Alcatel Austria") unvereinbar war, geschlossen. Wenngleich die Regelung primär den Bietern zugute kommt, so sollte nicht übersehen werden, dass sie auch für die Auftraggeberseite Vorteile verspricht. Denn nach § 107 III 1 GWB ist ein Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens unzulässig, soweit der Antragsteller den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren erkannt und beim Auftraggeber nicht unverzüglich gerügt hat. Verstöße gegen Vergabevorschriften dürften aber zumeist spätestens mit der begründeten Information nach § 13 VgV erkennbar sein. Rügt der unterlegene Bieter den erkannten Verstoß dann nicht unverzüglich, d.h. in der Regel innerhalb eines Zeitraums von 10 Tagen, ist ein später gleichwohl gestellter Antrag als unzulässig abzuweisen. Dies bedeutet, dass der Auftraggeber mit der Information der unterlegenen Bieter auch ein großes Stück Rechtssicherheit gewinnt, da er spätestens nach Ablauf der 14-tägigen "Vertragsschlußfrist" nur noch in Ausnahmefällen mit zulässigen Anträgen auf Nachprüfung des Vergabevorganges und entsprechend mit Schadensersatzansprüchen rechnen muß. Schließlich ist zu beachten, dass § 13 VgV auch den erfolgreichen Bieter in die Pflicht nimmt. Da sein mit dem Auftraggeber geschlossener Vertrag nichtig ist, sofern die unterlegenen Bieter nicht informiert wurden oder der Vertragsschluß vor Ablauf der Informationsfrist erfolgte, und er somit ein eigenes Interesse am ordnungsgemäßen Verhalten des Auftraggebers hat, wird er im Zweifel bei seinem Vertragspartner auf die Einhaltung der Vorschriften hinwirken. Ob die Gerichte dem erfolgreichen Bieter im Falle der Nichtigkeit des Vertragsschlusses wegen Verstoß des Auftraggebers gegen § 13 VgV Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen (c.i.c.) zuerkennen, bleibt abzuwarten, ist aber anzunehmen.

Fazit

Die Beurteilung der neuen VgV fällt zwiespältig aus. Positiv ist sicher zu bewerten, dass sie ein Stück weit Rechtsklarheit, vor allem aber Rechtssicherheit bringt. Darüber hinaus dürfte die Pflicht zur Information der unterlegenen Bieter im Ergebnis allen Beteiligten dienlich sein. Schließlich ist die Regelung des § 10 VgV hervorzuheben, die die Freistellung sog. verbundener Unternehmen nach Maßgabe des § 290 HGB betrifft und insbesondere als Leitlinie bei der derzeit aktuellen Diskussion um "In-House-Geschäfte" und gemischtwirtschaftliche Unternehmen von großem Nutzen sein könnte. Demgegenüber ist auf der Negativseite vor allem die Heterogenität bei der Festschreibung der Sektorenauftraggeber nach §§ 7, 8 VgV zu verbuchen. Zum einen sind die Bestimmungen, die in den verschiedenen Sektorenbereichen anzuwenden sind, nicht einheitlich, zum anderen ist die Formulierung in sich unklar: So fällt unter die Tätigkeit im Verkehrsbereich nach § 8 Nr. 4 a VgV nur das Betreiben von Netzen zur Versorgung der Öffentlichkeit mit dem ÖPNV, so daß nach bereits ergangenen Gerichtsentscheidungen gerade Kommunen, die nur die Organisation des ÖPNV selbst übernehmen, die Fahrleistungen aber weiter vergeben, nicht unter die Privilegierung des § 8 Nr. 4 a fallen. Schließlich ist die sprachliche Form zu kritisieren, die einmal mehr zeigt, dass der Trend zur Formulierung langer, umständlicher Gesetze mit entsprechenden Auslegungsschwierigkeiten offenbar anhält.

Der Autor Carsten Jennert ist Rechtsreferendar am OLG Nürnberg und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Geschäftsbereich Public Management Consulting der Beratungsgesellschaft Rödl & Partner, Nürnberg/Köln

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