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"Was bringt das erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz für die Strafprozessordnung?" von Alexander Otto
Alexander Otto


Was bringt das erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz für die Strafprozessordnung?


A. Einleitung

Das erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz bringt zum Teil tiefgreifende Veränderungen im Strafverfahrensrecht. Diese Veränderungen sollen im Vergleich zu den noch geltenden Regelungen in diesem Beitrag betrachtet werden.
Ziel des am 09.07.2004 auch vom Bundesrat gebilligten Justizmodernisierungsgesetzes ist es, Normen übersichtlicher zu gestalten, Vereinfachungen zu schaffen und die Justiz zu entlasten. Dabei beschränkt sich das Gesetz nicht nur auf die Strafprozessordnung, sondern sieht auch Änderungen in vielen anderen Bereichen (ZPO, VwGO usw.) vor.
Im Bereich der Strafprozessordnung betreffen die Änderungen insbesondere drei große Bereiche: die Unterbrechungsregelungen, die Verlesungsvorschriften und das Strafbefehlsverfahren.

B. Die Veränderungen im Einzelnen:

Im Folgenden werden alle Veränderungen der StPO in der Gesetzeschronologie dargestellt und erläutert.

I. Änderungen im Bereich der "Öffentlichen Zustellung" gemäß § 40 StPO

Auch der die öffentliche Zustellung regelnde § 40 StPO wird verschlankt.
Nach wie vor muss § 40 StPO noch immer im Zusammenhang mit § 37 I StPO gesehen werden. Danach gelten für das Verfahren der Zustellung die Vorschriften der Zivilprozessordung. Das sind die §§ 186 f. ZPO.
Die in § 40 I StPO vorgesehenen und von der ZPO abweichenden Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung sind nicht verändert worden.
Weggefallen ist nach dem Wortlaut der Norm allerdings die Unterscheidung zwischen der "Veröffentlichung in einem Blatt" und dem "Anheften an der Gerichtstafel". § 40 I 1 StPO n.F. erklärt die öffentliche Zustellung bei Vorliegen der Voraussetzungen für zulässig. Aus § 40 I 2 StPO lässt sich sodann schließen, dass es sich dabei nur noch um den Aushang an der Gerichtstafel handeln soll. Nach dem Wortlaut der Norm fällt die "Veröffentlichung in einem Blatt" somit weg. In der Begründung des Justizmodernisierungsgesetzes weist der Gesetzgeber dann allerdings daraufhin, dass "nach § 37 Abs. 1 StPO iVm. § 187 ZPO weiterhin die Möglichkeit besteht, die Benachrichtigung im Bundesanzeiger oder in anderen Blättern zu veröffentlichen"1. Ob das Streichen dieser Formulierung, auch wenn sie durch den Weg über § 37 I StPO nicht zwingend erforderlich ist, dem Anspruch nach mehr Leserlichkeit und Ausdrücklichkeit für den Anwender gerecht wird, erscheint zumindest fraglich. Verweise über "in Verbindung mit" sind in der Regel eher verwirrend, als das sie für Klarheit sorgen. Auch nach der neuen Fassung gilt die Zustellung zwei Wochen nach Aushang als erfolgt. § 40 II StPO wird insoweit verändert, als dass die Regelung in § 40 II 2 StPO a.F. vollständig entfällt und in II 1 StPO a.F. die Regelung hinsichtlich des zweiwöchigen Aushangs an der Gerichtstafel gestrichen wird. Zudem wir die verschachtelte Ausdrucksweise abgeändert und verständlicher gestaltet.

II. Änderungen im Bereich der Zeugenbelehrung gemäß § 57 StPO und der Vereidigungsregelungen der § 59 ff. StPO

Eine der v.a. für die Praxis tiefgreifendsten Veränderungen stellt die Reformierung der Vereidigung dar. Bislang sah das Gesetz die Vereidigung als den Regelfall vor. Davon konnte allerdings eine Ausnahme gemacht werden. In der täglichen Praxis sah es allerdings umgekehrt aus. Regelfall war die unvereidigte Entlassung des Zeugen und nur ausnahmsweise wurden Zeugen vereidigt. Diesem Procedere angepasst werden jetzt mit dem Justizmodernisierungsgesetz die diesbezüglichen Regelungen der Strafprozessordnung. Das beginnt schon bei der Belehrung des Zeugen vor seiner Vernehmung. Wurden bisher alle Zeugen auf den Regelfall der Vereidigung hingewiesen, wird nach § 57 StPO n.F. jetzt jeder Zeuge lediglich auf die Möglichkeit einer Vereidigung aufmerksam gemacht. Zudem sieht das Gesetz nun auch ausdrücklich vor, dass der Zeuge über die Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage belehrt wird. Das entspricht der bisherigen Rechtspraxis. § 59 StPO bildet dabei den Schwerpunkt der Veränderungen. Danach fällt der Regelfall der Vereidigung weg. Zeugen sollen nach § 59 I StPO n.F. nur vereidigt werden, wenn es das Gericht wegen der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren Aussage nach seinem Ermessen für notwendig hält. Die Vereidigung wird damit in das Ermessen des Gerichts gestellt. Der Umfang des Ermessens und eine genauere Definition für die "ausschlaggebende Bedeutung" einer Aussage dürften die Gerichte zukünftig beschäftigen. Wird ein Zeuge entgegen der Regel nun doch vereidigt, muss der Grund dafür nicht im Hauptverhandlungsprotokoll angegeben werden. Dies ist nur erforderlich, wenn der Zeuge außerhalb der Hauptverhandlung vernommen wird.
In der Folge werden die §§ 61-66e StPO a.F. aufgehoben, die bislang nähere Umstände für den Ausnahmefall der unterbleibenden Vereidigung vorgesehen haben.
Ersetzt werden diese Vorschriften allerdings durch neue Normen.
§ 61 StPO n.F. verweist nun auf die in § 52 I StPO genannten Angehörigen des Beschuldigten und deren Zeugnisverweigerungsrecht. Dieser Personenkreis soll über das bestehende Zeugnisverweigerungsrecht belehrt werden.
Die Voraussetzungen für eine Vereidigung eines Zeugen im vorbereitenden Verfahrens zeigt § 62 StPO n.F. auf. Zulässig ist dies danach in zwei Fällen. Zum einen kann ein Zeuge im vorbereitenden Verfahren bei Gefahr im Verzug vereidigt werden und zum anderen dann, wenn absehbar ist, dass der zu vereidigende Zeuge am Erscheinen in der Hauptverhandlung verhindert sein wird. Überdies sollen die, oben bereits skizzierten, Voraussetzungen des § 59 I StPO n.F. vorliegen. Diese Norm greift damit im Wesentlichen die Voraussetzungen des § 65 StPO a.F. auf. Leider sorgt auch hier das Gesetz nicht für mehr Klarheit und ausdrückliche Formulierung. § 65 StPO a.F. hat die Voraussetzungen ausdrücklich aufgezählt, während hier wieder mit einem Verweis auf § 59 I StPO n.F. gearbeitet wird.
Beauftragt oder ersucht ein Gericht einen zur Zeugenvernehmung beauftragten oder ersuchten Richter mit der Vereidigung und ist diese zulässig, so hat dieser Richter die Vereidigung gemäß § 63 StPO n.F. vorzunehmen. Damit hat der Gesetzgeber auch dieses Verfahren der neu geregelten Vereidigung angepasst.
Die §§ 64, 65, 66 StPO n.F. ersetzen wortgleich die die Abgabe des Eides betreffenden §§ 66 c, d, e StPO a.F.
Den neuen Vereidigungsregeln werden im Wortlaut überdies die §§ 68 a II, 79 I 2, 223 III, 234a, 286 StPO angepasst.

III. Ersetzung der Bezeichnung "Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft" durch das Wort "Ermittlungspersonen" in diversen Vorschriften

Im Rahmen des Justizmodernisierungsgesetzes hat der Gesetzgeber vorgesehen, den Begriff der "Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft" durch die Bezeichnung "Ermittlungspersonen" zu ersetzen.
Aus der Begründung2 des Justizmodernisierungsgesetzes wird deutlich, das damit nicht die rechtliche Stellung der Polizisten verändert werden soll. Grund für die begriffliche "Schminktur" sollen tatsächliche und sprachliche Umstände sein.
Für Praxis und Lehre hat diese Umformulierung keine gravierenden Auswirkungen. Betroffen von der Änderung sind die §§ 81a, c, 98, 100b, d, i, 105, 110, 111, 111e, f, l, 131, 131c, 132, 163d und f.

IV. Wegfall der Möglichkeit des Beidrückens eines eigenen Siegels nach § 110 III StPO

Der Verschlankung der Strafprozessordnung zum Opfer gefallen ist die Regelung des § 110 II StPO a.F., wonach es möglich gewesen ist, dass der Inhaber von Papieren bei der Durchsicht dieser im Rahmen einer Durchsuchung ein eigenes Siegel beibringt. Begründet wird der Wegfall mit der Seltenheit dieses Vorgangs und damit mit der mangelnden Erforderlichkeit einer ausdrücklichen Regelung.3 Man muss dem also entnehmen, dass die Möglichkeit dem Inhaber der Papiere nicht genommen werden soll, sondern lediglich die ausdrückliche Verankerung entfällt.
Auf Grund dessen besteht § 110 StPO n.F. nun statt aus drei Absätzen aus zwei.

V. Möglichkeit der Wahl von "Rechtslehrern" an Fachhochschulen zum Verteidiger

Nach der Strafprozessordung alter Fassung ist es möglich gewesen Universitätsprofessoren als Verteidiger zu wählen. Dies ergab sich aus der Formulierung "Rechtslehrer an deutschen Hochschulen" in § 138 I StPO a.F. Zur Folge hatte das, dass Professoren an Fachhochschulen dem Wortlaut nach (siehe aber BGH, Beschluss vom 28.08.03, Az.: 5 StR 232/03) nicht als Wahlverteidiger tätig werden konnten. Die VwGO sah dies für Verwaltungsgerichtssachen schon vor.
Dem wird die Strafprozessordnung nun mit dem Justizmodernisierungsgesetz angeglichen. Durch die Einfügung "im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt" in § 138 I StPO n.F. wird Rechtslehrern an Fachhochschulen nun auch ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt als Verteidiger zu agieren.

VI. Hauptverhandlung in Abwesenheit eines Urkundsbeamten

Ein wichtiger Beweggrund für die Schaffung des Justizmodernisierungsgesetzes ist auch der Bereich Kosten und Arbeitsentlastung gewesen. Damit erklärt sich dann auch die Änderung von § 226 StPO.
§ 226 StPO n.F. wird nun in Absätze aufgeteilt. Der bisherige Inhalt der Norm wird Absatz 1. Wesentlich wichtiger und für die Praxis bedeutender ist allerdings der neu eingefügte Absatz 2.
Danach ist es möglich, dass der Strafrichter von der Hinzuziehung eines Urkundsbeamten während der Hauptverhandlung absehen kann. Die Entscheidung darüber soll i.S.d. § 226 II 2 StPO n.F. unanfechtbar sein.
Mit dieser Veränderung ist es nun nicht mehr so, dass der Urkundsbeamte zwingend an der Hauptverhandlung teilnehmen muss. Das bietet v.a. die Möglichkeit auf einen Urkundsbeamten in einfachen und leicht überschaubaren Verfahren zu verzichten. Der Vorsitzende Richter fertigt das Protokoll in diesem Fall dann selbst an. Dies wird in der Regel wohl durch Diktat oder handschriftliche Kurzprotokollierung geschehen.
Die Anforderungen an das Hauptverhandlungsprotokoll und die Maßstäbe desselben nach den §§ 271-274 StPO bleiben unverändert.
Diese Regelung erscheint nur für Verfahren geringeren Umfangs als sinnvoll. In umfangreicheren oder länger andauernden Verhandlungen dürfte diese Regelung gerade mit Blick auf die absolute Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls eher kontraproduktiv und wenig begrüßenswert sein. In allen anderen Fällen trägt diese Erweiterung der Norm sicherlich zu einer (dringend notwendigen) Entlastung der Justizbeamten bei.

VII. Änderung der Unterbrechungsfristen und Hemmung der Fristen

Einer der wesentlichsten Reformpunkte des Justizmodernisierungsgesetzes ist die Änderung der Unterbrechungsfristen gemäß § 229 StPO und deren Hemmung.
War es nach § 229 I StPO a.F. bisher möglich die Hauptverhandlung bis zu 10 Tage zu unterbrechen, darf nun gemäß § 229 I StPO n.F. für drei Wochen unterbrochen werden.
Die Regelung des § 229 II StPO a.F. nach der die Hauptverhandlung nach zuvor mindestens 10 Verhandlungstagen einmal für dreißig Tage unterbrochen, nach weiteren 10 Tagen Hauptverhandlung ein zweites Mal für dreißig Tage und danach nach denselben Erfordernissen einmal in 12 Monaten unterbrochen werden durfte, ist diese Regelung vereinfacht und erweitert worden. Nunmehr darf die Hauptverhandlung unbegrenzt oft für bis zu einen Monat unterbrochen werden, wenn zuvor 10 Hauptverhandlungstage stattgefunden haben.
Damit wird die Anzahl teurer und unnötiger "Haltetermine" reduziert und die Unterbrechung einfacher. Ob dies allerdings zu einer Verkürzung der Verfahrensdauer beiträgt, die ja in vielen Fällen erstrebenswert wäre, begegnet erheblichen Bedenken.
Die Hemmung der Unterbrechungsfreisten bei Krankheit des Angeklagten gemäß § 229 III StPO wird nun auch auf "eine zur Urteilsfindung berufene Person" erweitert. Erkrankt ein Mitglied des Gerichts, greift in den Grenzen des § 229 III StPO die Hemmung der Unterbrechungsfristen auch für diesen Personenkreis.

VIII. Änderung der Verlesungsvorschriften

Ganz gravierende Veränderungen erfahren die §§ 251, 256 StPO. Anders als bisher dürfen künftig auch solche Schriftstücke, die zum Beweis eines Vermögensschadens dienen, Erklärungen allgemein vereidigter Sachverständiger sowie Protokolle und Erklärungen von Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen verlesen werden.
In § 251 I und II StPO n.F. werden aber hierfür zwei Bereiche unterschieden. Gemäß § 251 I StPO n.F. dürfen die o.g. außerhalb einer richterlichen Vernehmung erlangten und erstellten Dokumente nur dann verlesen werden, wenn der Angeklagte verteidigt ist, Staatsanwalt, Verteidiger und Angeklagter mit der Verlesung einverstanden sind. Dies gilt gemäß § 251 I Nr. 2 und 3 StPO n.F auch für die Fälle, in denen der Zeuge, Sachverständige oder Mitbeschuldigte verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit nicht vernommen werden kann oder soweit die Niederschrift oder Urkunde das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens betrifft.
§ 251 II StPO n.F. übernimmt die Konstellation des § 251 I Nrn. 2-4 StPO a.F. und bringt damit keine nennenswerten Veränderungen.
Stark erweitert wird auch § 256 StPO in seinem Absatz 1. Hier wird eine Reihe verlesbarer Dokumente aufgezählt, die nach der neuen Fassung der Strafprozessordung nun auch solche umfasst, die ein allgemein vereidigter Sachverständiger erstellt hat.

IX. Veränderungen im Bereich der Rechtsmittel Berufung und Revision

Ganz erhebliche Veränderungen ruft das Justizmodernisierungsgesetz auch bei den Rechtsmitteln der Berufung und Revision hervor.
Eine kleinere Änderung wiederfährt § 314 II StPO. Nach der neuen Fassung beginnt die Frist zur Einlegung der Berufung von einer Woche auch dann nach der Verkündung des Urteils und nicht mit Zustellung, wenn für den Angeklagten ein mit schriftlicher Vollmacht versehener Verteidiger bei der Urteilsverkündung anwesend war. Dies erfordert von den Verteidigern eine zügige Besprechung mit ihrem Mandanten, ob das Rechtsmittel der Berufung eingelegt werden soll oder nicht. Für den nicht verteidigten und bei der Urteilsverkündung abwesenden Angeklagten beginnt die Frist nach wie vor mit Zustellung des Urteils zu laufen.
Dasselbe gilt nach § 341 II StPO n.F. auch für die Revision.
Gerade im Bereich der Revision hat der Gesetzgeber unter dem Deckmantel des Justizmodernisierungsgesetzes einschneidende Veränderungen vorgenommen. Der die Entscheidung des Revisionsgerichts betreffende § 354 StPO wird durch zwei Absätze, 1a und 1b, erweitert. Diese beiden Absätze betreffen Gesetzesverletzungen bei der Zumessung der Rechtsfolgen und bei der Bildung der Gesamtstrafe.
Hat bislang die Feststellung einer Gesetzesverletzung bei der Zumessung der Strafe (außer in den Fällen, in denen eine Berichtigung des Rechtsfolgenausspruchs in engen Grenzen gestattet ist4) meist zur Aufhebung des Urteils geführt, kann von dieser gemäß § 354 Ia 1 StPO n.F. abgesehen werden, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Nach Satz 2 n.F. kann das Revisionsgericht die Rechtsfolgen aber auch auf Antrag der Staatsanwaltschaft angemessen herabsetzen. Diese Regelungen dürften zu einer noch niedrigeren Aufhebungsquote der Revisionsgerichte führen.
Eine weitere Ergänzung der Norm sieht der Gesetzgeber hinsichtlich der Gesetzesverletzungen bei der Bildung einer Gesamtstrafe vor. Nach § 354 Ib StPO n.F. kann das Revisionsgericht bei der Aufhebung wegen solcher Gesetzesverletzungen dies mit der Maßgabe tun, dass eine nachträgliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Das Gericht, das darüber zu befinden hat, muss also den Weg der nachträglichen Gesamtstrafenbildung mit der Folge des Verfahrens nach § 462 StPO gehen.

X. Veränderungen im Privatklageverfahren

Die Anwendungsfälle des Privatklageverfahrens werden nun auch um die Vollrauschtat des § 323a StGB erweitert. Nach § 374 I Nr. 6a StPO n.F. kann mittels des Privatklageverfahrens auch eine Straftat nach § 323a des Strafgesetzbuchs verfolgt werden, wenn die im Rausch begangene Tat ein in den Nummern 1 bis 6 genanntes Vergehen ist.
Dementsprechend wird auch die Regelung über den Sühneversuch aus § 380 I StPO angeglichen.

XI. Änderungen im Bereich des Strafbefehlsverfahrens

Das ohnehin nicht unumstrittene Strafbefehlsverfahren wird noch erweitert. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries kommentierte das Justizmodernisierungsgesetz wie folgt: "Das Justizmodernisierungsgesetz entfernt aus dem Getriebe der Justiz viele kleine Sandkörner und gießt Öl hinein." Bleibt man beim Strafbefehlsverfahren muss man sich allerdings fragen, ob damit wirklich "Öl ins Getriebe des Justizgetriebes gegossen wird" oder eher "Öl ins Feuer der Diskussion um das Institut des Strafbefehls" gegossen wird. So wird zum Beispiel die Möglichkeit, einen Strafbefehlsantrag nach Eröffnung des Hauptverfahrens zu stellen, erweitert. War es nach der alten Fassung der StPO noch ein Verfahrensfehler5, wenn die Staatsanwaltschaft den Strafbefehlsantrag in der Hauptverhandlung mündlich stellte, so ist dies nach § 408 a I 2 StPO n.F. nun ausdrücklich möglich. Der wesentliche Inhalt des mündlichen Antrages ist in das Sitzungsprotokoll jedoch aufzunehmen. Egal, ob der Angeklagte nun entschuldigt oder unentschuldigt fehlt, kann die Staatsanwaltschaft einen mündlichen Strafbefehlsantrag stellen und das Gericht danach sofort entscheiden. Das kommt "charakterlich" fast einem Abwesenheitsurteil im Zivilprozess gleich. Darüberhinaus wird auch § 411 I StPO ausgedehnt. Hat der Angeklagte seinen Einspruch auf die Höhe der Tagessätze einer festgesetzten Geldstrafe beschränkt, ist es möglich dass das Gericht mit Zustimmung des Angeklagten, seines Verteidigers und der Staatsanwaltschaft lediglich durch Beschluss entscheidet. Eine Hauptverhandlung kann in dieser Konstellation ausbleiben. Gegen den Beschluss ist dann noch die sofortige Beschwerde nach den § 304 ff. StPO möglich.
Zudem wird ein Übergang vom beschleunigten Verfahren zum Strafbefehlsverfahren geschaffen. Nach § 418 III StPO n.F. gilt § 408a StPO nämlich entsprechend.

XII. Veränderungen im Bereich des beschleunigten Verfahrens

Bislang unklar ließ das Gesetz, in welchem zeitlichen Rahmen das beschleunigte Verfahren der §§ 417 ff. StPO ablaufen soll. Diese Unklarheit wird beseitigt, indem § 418 I ein Satz hinzugefügt wird, der besagt, dass zwischen dem Eingang des Antrags bei Gericht und dem Beginn der Hauptverhandlung nicht mehr als sechs Wochen liegen sollen. Damit ist der Zeitraum genau umrissen. Diese Regelung verschafft tatsächlich mehr Klarheit und Rechtssicherheit.

XIII. Veränderung des § 468

Hinsichtlich der Verurteilung in die Kosten bei Straffreierklärung wird die Alternative "Körperverletzungen" gestrichen. Dies ist keine wesentliche Veränderung, sondern nur eine redaktionelle Angleichung. Denn für wechselseitige Körperverletzungen hat die Vorschrift des § 233 StGB durch das 6. StrRG keine Bedeutung mehr.

C. Zusammenfassung

Das Justizmodernisierungsgesetz bringt zum Teil erhebliche Veränderungen mit sich, aber auch unbedeutendere und kleinere Änderungen.
Die Justizmodernisierung zeigt u.a. mit diesem Gesetz, dass "der Kostenersparnis um (nahezu) jeden Preis im Prozessrecht eine herausragende Bedeutung zukommt, wobei insgesamt eine abnehmende handwerkliche Qualität der Gesetze festzustellen ist, die sich auch und gerade in dem Auseinanderfallen von Gesetzeswortlaut und gesetzgeberisch erwünschtem Anwendungsbereich wiederspiegelt"6. Das Justizmodernisierungsgesetz lässt gerade dies in einigen Bereichen besonders deutlich erkennen. Es ist zwar um Vereinfachung, Übersichtlichkeit, Verschlankung, Kostenersparnis und Verfahrensbeschleunigung bemüht. Doch das gelingt nicht überall. Ganz im Gegenteil: An manchen Stellen bewirkt das Justizmodernisierungsgesetz genau das Gegenteil. Greift man sich nur einige Aspekte heraus, so wird das schnell deutlich. Ein Beispiel ist die Erweiterung der Unterbrechungsfristen. Diese erscheint in Bezug auf die angestrebte Verfahrensbeschleunigung geradezu grotesk. Zu Recht sind von verschiedenen Seiten Bedenken u.a. in Bezug auf die Konzentrationsmaxime und den "Inbegriff der Hauptverhandlung" aus § 261 StPO angemeldet worden. Denn mit der Neuregelung der Unterbrechungsfristen kann sich ein Verfahren "kaugummiartig" in die Länge ziehen. Zwar werden damit Kosten für "Haltetermine" gespart, Aber die Verfahrensdauer wird damit keineswegs verkürzt. Gerade diese Entwicklung erscheint mit Blick auf die immer währende Diskussion um die Verfahrensdauer völlig unverständlich.
Ebenso fragwürdig erscheint der nun mögliche Verzicht auf den Urkundsbeamten während der Hauptverhandlung. Zwar wird damit die Arbeitskraft der Urkundsbeamten eingespart, im Gegenzug allerdings der ohnehin schon völlig überlastete Strafrichter mit noch mehr Arbeit belastet.
Ein ganz anderes für Anwälte bedeutsames (strafverfahrensrechtliches) Problem ergibt sich auch aus der ZPO – und zwar hinsichtlich der Grenzen einer Bindungswirkung strafprozessualer Erkenntnisse in Folgeverfahren. Damit hat sich Rönnau7 unter dem treffenden Titel "Justizmodernisierung im Sog der Justizbeschleunigung – zu den Grenzen einer Bindungswirkung strafprozessualer Erkenntnisse in Folgeverfahren" eingehend beschäftigt.



[1] BT-Drs. 15/3482, S. 21.
[2] BT-Drs. 15/3482, S. 25.
[3] BT-Drs. 15/3482, S. 21.
[4] Meyer-Goßner, StPO, § 354, Rn. 24.
[5] Meyer-Goßner, StPO, § 408a, Rn. 2 m.w.N.
[6] Rönnau, in: StV 2004, 455.
[7] Rönnau, in: StV 2004, 455.

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