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"Überprüfbarkeit der Auslegung von Verträgen durch den Tatrichter im Revisionsverfahren" von Alexander Otto
Dieser Artikel stammt von Alexander Otto und wurde in 3/2004 unter der Artikelnummer 8993 auf den Seiten von jurawelt.com publiziert. Die Adresse lautet www.jurawelt.com/artikel/8993.


Überprüfbarkeit der Auslegung von Verträgen durch den Tatrichter im Revisionsverfahren

Die Überprüfung der Auslegung von Verträgen durch den Tatrichter im Revisionsverfahren ist nach Rechtsprechung und h.M. stark beschränkt.

I. Rechtsprechung

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs stellt klar, dass die "Auslegung ausschließlich dem Tatrichter, nicht dem Revisionsgericht zusteht"1. Dass "die Auslegung mündlicher wie schriftlicher Erklärungen Sache des Tatrichters ist"2, bestätigt auch der 3. Strafsenat. Dem folgen auch der 4. und der 1. Senat des Bundesgerichtshofs in Strafsachen3 und zeigen die Grenzen der Überprüfbarkeit auf. Zulässig ist danach eine Überprüfung, ob der Gedankenablauf frei von Rechtsfehlern ist. Im Revisionsverfahren kann also lediglich geprüft werden, ob Verstöße gegen allgemeine Erfahrungssätze, gegen Denk-, Mathematik- und Sprechgesetze und Verstöße gegen allgemeine Auslegungsregeln vorliegen. Zudem darf das Revisionsgericht auch prüfen, "ob der Tatrichter sich bei der Bewertung von zutreffenden rechtlichen Erwägungen hat leiten lassen"4.

Soweit die Auslegung des Tatrichters immerhin rechtlich möglich erscheint, ist sie für das Revisionsgericht bindend.5 Selbst wenn das ausgelegte Dokument/die ausgelegte Erklärung, wie bspw. Verträge, wortwörtlich im Urteil wiedergegeben ist, "kann das Revisionsgericht auch dann nicht die Auslegung durch seine eigene ersetzen"6.

II. Herrschende Meinung in der Literatur

Die h.M. in der Literatur folgt der Rechtsprechung. Temming7 stellt sogar fest, dass insbesondere die Bewertung der Auslegung von Verträgen durch das Revisionsgericht unzulässig ist. Neben den oben bereits genannten stark eingeschränkten Möglichkeiten der revisionsgerichtlichen Überprüfbarkeit gesteht die h.M. in Anlehnung an die Rechtsprechung dem Revisionsgericht eine Überprüfungskompetenz dahingehend ein, dass die Auslegung nicht auf einem "Rechtsirrtum beruht"8.

III. Kritik und Gegenvorschläge

Diese h.M. von Literatur und Rechtsprechung erscheint nicht gerade überzeugend. Vielmehr bringt sie noch mehr Dunst in die ohnehin schon "neblige Grauzone zwischen 'Tat-' und 'Rechtsfrage'"9, als für Klarheit zu sorgen. Deshalb ist zunächst zu klären, auf welcher Ebene die Beurteilung der Überprüfbarkeit der Auslegung stattfinden muss. Dazu werden in der Regel drei Modelle bzw. Ansätze herangezogen:
  1. Unterscheidung Tat-/Rechtsfrage,
  2. Leistungsmethode,
  3. teleologische Methode.

Zu 1. "Tat- und Rechtsfrage":

Betrachtet man die Auslegung als einen rein tatsächlichen Akt, also einen Akt der sich wirklich nur auf die Tatsachen und ihre Würdigung bezieht, so ist das zweifelsfrei ausschließlich Sache des Tatgerichts. Sonst würde das den Charakter der Revision und des Revisionsgerichts als Instanz zur Überprüfung einer "Rechtsbeschwerde"10 verfälschen. Begreift man die Auslegung allerdings als einen Prozess, bei dem die tatsächlich festgestellten Sachen unter Rückgriff auf materielles Recht und rechtliche Erfahrungssätze begutachtet werden, so ist sie zweifelsfrei der Rechtsfrage zuzuordnen.

Die h.M. hält eine präzise begriffliche Abgrenzung für unmöglich und grenzt Tat- und Rechtsfrage nach anderen Gesichtspunkten ab, vor allem nach der institutionellen Leistungsfähigkeit oder dem Zweck des Revisionsverfahrens.11

Zu 2. "Leistungsmethode":

Richtet man sich nach Letzterem, verfährt man also nach der sog. "Leistungsmethode",12 "sind alle Fehler irrevisibel, bei denen das Revisionsgericht die Sache erneut aufklären müßte, alle Fehler revisibel, bei denen es auch ohne eine mündliche und unmittelbare Hauptverhandlung und ohne Beweiserhebung erkennen könnte"13. Das würde im Ergebnis dazu führen, dass das Revisionsgericht bei im Urteil wortwörtlich wiedergegebenen Verträgen Zugriff auf die Auslegung haben müsste. Alle tatsächlichen Grundlagen liefert ja bereits die identische Wiedergabe des Vertrages, so dass auf Grund dieser Grundlage Verträge durch das Revisionsgericht ausgelegt werden können. Ein Zugriff auf die Tatschen – was für eine ausschließliche Befugnis des Tatgerichts sprechen könnte – erfolgt deshalb ja nicht, weil diese bereits unumstößlich feststehen.

Zu 3. "teleologische Methode":

Zu wesentlich unbefriedigenderen Ergebnissen kommt man, wann man nach der teleologi-schen Methode vorgeht, also nach dem Zweck des Revisionsverfahrens beurteilt. Danach "soll eine tatrichterliche Feststellung oder Würdigung, wenn es (nur) um die Verletzung von Einzelfallgerechtigkeit geht, irrevisibel sein, revisibel dagegen, wenn dadurch die Rechtseinheit oder die Rechtsfortbildung betroffen wird"14.

Diese teleologische Methode trägt in keiner Weise der Vereinfachung bei, verkompliziert die Problematik in einem noch stärkeren Maße. Ob die Auslegung von Verträgen revisionsgerichtlich zu überprüfen ist, lässt sich damit nicht generell klären, sondern muss einzelfallbezogen geprüft werden.

IV. Stellungnahme

Rechtsprechung und Literatur können nicht überzeugen, zumindest nicht dort, wo Verträge in einem Urteil wortwörtlich wiedergegeben sind.

Denn bei Urkunden kann ja nur schwerlich der persönliche Eindruck, wie bei einem Zeugen, zählen und den Unmittelbarkeitsgrundsatz auf den Plan rufen. Ein Vertrag lässt sich aus seiner wortwörtlichen Wiedergabe heraus auslegen. Eine neuerliche Beweisaufnahme wäre also nicht erforderlich. Der Vertrag als "Tatsache" wird lediglich rechtlich gewürdigt. Er wird anhand des geschriebenen Rechts und rechtlichen Erfahrungssätzen ausgelegt. Das alles spielt sich auf einer nahezu ausschließlich rechtlichen Ebene ab und weniger auf einer tatsächlichen. Deshalb ist der wohl zur Zeit noch als Mindermeinung zu bezeichnenden Auffassung zu folgen, wonach die Auslegung von wortwörtlich wiedergegebenen Verträgen der "Rechtsfrage" zuzuordnen ist und daher auch einen revisionsgerichtlichen Zugriff erlaubt.


[1] BGHSt 3, 69, 70 f.
[2] BGHSt 21, 371, 372.
[3] BGHSt 25, 365, 367; 37, 55, 61.
[4] BGHSt 37, 55, 61.
[5] Krause, Dietmar; Die Revision in Strafverfahren, Rn. 10 m.w.N.
[6] KG JR, 1980, 290, 291.
[7] Temming, in: Heidelberger Kommentar zur StPO, § 337, Rn. 9.
[8] Meyer-Goßner, StPO.
[9] Volk, in: JR 1980, 290, 291.
[10] Wittig, in: GA 2000, 267, 272 m.w.N.
[11] Wittig, in GA 2000, 267, 273.
[12] L/R-Hanack, StPO, § 337, Rn. 117.
[13] Wittig, in: GA 2000, 267, 275 m.w.N.
[14] Wittig, in GA 2000, 267, 274.

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