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"Einführung in das Jugendstrafrecht" von RiAG Konrad Breunig
Das Jugendgerichtsgesetz im Überblick von Konrad Breunig, Richter am Amtsgericht Bayreuth (zuletzt bearbeitet am 13.6.2001)

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Inhaltsverzeichnis:

1. Einführung und Überblick Regelungsbereiche des JGG Überblick über das JGG
2. Begriffsbestimmungen Kind, Jugendlicher, Heranwachsender
3. Folgen der Jugendstraftat
a. Strafrechtliche Verantwortlichkeit, § 3 JGG
b. System der Rechtsfolgen
aa. Erziehungsmaßregeln
bb. Zuchtmittel
cc. Jugendstrafe
dd. Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung
ee. Bewährungszeit, Auflagen, Weisungen, Bewährungshilfe
ff. Widerruf der Strafaussetzung
gg. Erlaß der Jugendstrafe und Beseitigung des Strafmakels
hh. Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe
4. Zuständigkeit der Gerichte - Gerichtsverfassung
5. Verfahrensrechtliche Besonderheiten
a. Verfahrenseinstellung nach §§ 45, 47 JGG
b. Vereinfachtes Jugendverfahren, § 76 JGG
c. Ausschluß von Vorschriften des allgemeinen Verfahrensrechts
d. Beteiligung der Jugendgerichtshilfe
e. Stellung der Erziehungsberechtigten
f. Grundsatz der Nichtöffentlichkeit
6. Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende
7. Rechtsmittel
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1. Einführung und Überblick

Das Jugendstrafrecht ist im Jugendgerichtsgesetz (JGG) geregelt. Das JGG verweist hinsichtlich der Frage, welche Verhaltensweisen strafbar und ob sie Verbrechen oder Vergehen sind, auf die Vorschriften des allgemeinen Strafrechts, §§ 1 Abs. 1, 4 JGG, z.B. Strafgesetzbuch (StGB), Betäubungsmittelgesetz (BtmG), Waffengesetz (WaffG), Ausländergesetz (AuslG), Straßenverkehrsgesetz (StVG) usw. Das JGG enthält zunächst im ersten Hauptstück, §§ 1 - 32, neben einleitenden Vorschriften, Regelungen über die möglichen Rechtsfolgen, anschließend im zweiten Hauptstück Gerichtsverfassungs- und Verfahrensvorschriften, Vorschriften für Vollstreckung und Vollzug, sodann in den §§ 105 ff die Vorschriften für die Heranwachsenden, also Personen, die bei Begehung der Tat zwischen 18 und 21 Jahren alt waren.

Allgemeine Vorschriften - in Gesetzen außerhalb des JGG - gelten nur, wenn im JGG nichts anderes bestimmt ist, § 2.

2. Begriffsbestimmungen

Ein Kind ist strafrechtlich nicht verantwortlich; Kind ist eine Person, die zur Zeit der Tat unter 14 Jahre alt ist, § 19 StGB. Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht 18 Jahre alt ist. Heranwachsender ist, wer zur Zeit der Tat 18, aber noch nicht 21 Jahre alt ist. Es ist also gleichgültig, in welchem Altersstadium die Verhandlung stattfindet.

Die Ausführungen im Folgenden beziehen sich zunächst nur auf die Straftaten Jugendlicher, Abweichungen für Heranwachsende werden jeweils anschließend erwähnt.

3. Folgen der Jugendstraftat

a. Strafrechtliche Verantwortlichkeit, § 3 JGG

Beim Jugendlichen ist zunächst immer zu prüfen, ob er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug war, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, § 3 S. 1 JGG. Wird das verneint, kommen nur vormundschaftsgerichtliche Maßnahmen in Betracht, § 3 S. 2 JGG. Der Jugendliche muß ausreichende Verstandesreife, ethische Reife und Widerstandsfähigkeit haben (vgl. Brunner/Dölling, Jugendgerichts- gesetz, 10. Auflage 1996, § 3 Rn 4). Auch die §§ 20, 21 StGB beschäftigten sich mit der Schuldfähigkeit, hier sind aber nur von der Entwicklung unabhängige, überwiegend bleibende Störungen erfaßt, während § 3 JGG Reifemängel in der normalen, der regelwidrigen oder krankhaften Entwicklung erfaßt (Brunner/Dölling, aaO, Rn 10).

Für Heranwachsende gilt § 3 nicht, da die Vorschrift in § 105 JGG nicht genannt ist. Auf Heranwachsende sind somit allein die §§ 20, 21 StGB anzuwenden (Eisenberg, JGG, 7. Auflage 1997, § 3 Rn 2).

b. System der Rechtsfolgen Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel, Jugendstrafe

Im Erwachsenenstrafrecht wird idR für eine bestimmte Tat eine bestimmte Strafe festgesetzt, also im Normalfall Geld- oder Freiheitsstrafe. Nebenstrafen, Maßregeln der Besserung und Sicherung sollen hier zunächst unberücksichtigt bleiben, weil sie auch im Jugendstrafrecht in Betracht kommen und insoweit keine wesentlichen Unterscheide bestehen, vgl. § 8 III JGG. Im Jugendstrafrecht ist es im Gegensatz dazu möglich, verschiedene Rechtsfolgen zu kombinieren, es kommt also in Betracht, Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel nebeneinander festzusetzen. Auch mehrere Erziehungsmaßregeln und mehrere Zuchtmittel können kombiniert werden, § 8 JGG, dort wird auch auf Einschränkungen dieses Grundsatzes hingewiesen. So ist es vor allem nicht möglich, neben Jugendstrafe z.B. Arrest festzusetzen: lediglich Auflagen und Weisungen sowie Erziehungsbeistandschaft sind zugelassen. In manchen Fällen wäre es erzieherische wünschenswert, wenn neben einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe sofort ein zu Arrest verhägt werden könnte, sog. "Einstiegsarrest". Insoweit ist in einem Bewährungsverfahren nur über §§ 23 I 3, 11 III, 15 III JGG auch an einen ("Ungehorsams-")Arrest zu denken; hier muss aber schon ein Verstoß gegen Bewährungsauflagen oder -weisungen vorangegangen sein.

Aus §§ 5 und 17 JGG ergibt sich ein gewisses Stufenverhältnis der möglichen Rechtsfolgen, nämlich sind zunächst Erziehungsmaßregeln, wenn diese nicht ausreichen, Zuchtmittel, und wenn beides nicht ausreicht (oder die Schwere der Schuld dies gebietet), ist Jugendstrafe zu verhängen. Grundlegende Frage, die sich bei der Verhängung jeder Art von Sanktion ist, ob sie erzieherisch geboten ist. Somit betont etwa BGHSt 36, 37, 42 den "Erziehungsgedanken als Basis aller Regelungen des Jugenstrafrechts", das Tatunrecht ist gegen die Folgen der Straftat für die weitere Entwicklung des Jugendlichen abzuwägen (weitere Ausführungen hierzu finden sich etwa bei Brunner/Dölling, aaO, Einf. Rn 3 ff). Somit verbieten sich general- präventive Erwägungen von selbst und sind somit bei der Festsetzung oder Bemessung jeder Rechtsfolge im Jugendstrafrecht außer Betracht zu lassen.

Weitere Erörterungen zum Erziehungsgedanken werden bei den einzelnen Rechtsfolgen angesprochen werden.

aa. Erziehungsmaßregeln

Sie ergeben sich aus §§ 9 ff JGG und dienen der Erziehung; deshalb müssen Erziehungsbedürftigkeitund Erziehungsfähigkeit für die Maßregeln des JGG vorliegen, die Erziehungsmaßregel muß aber auch ausreichen, § 5 II JGG (sonst wären nämlich Zuchtmittel angezeigt). Erziehungsmaßregeln sind nach § 9 JGG - die Erteilung von Weisungen und - die Verpflichtung zur Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung iSv. § 12 JGG.

Erteilung von Weisungen Nach § 10 Abs. 1 S. 1 JGG sind Weisungen "Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen." Die sodann folgende Aufzählung verdeutlicht durch das Wort "insbesondere", daß es sich insoweit um ein flexibles Instrument handelt, da die Aufzählung nicht abschließend gemeint ist. Demnach sind alle Gebote und Verbote im jugend- richterlichen Urteil möglich, die die Voraussetzungen des § 10 JGG erfüllen und nicht in anderen Bestimmungen des JGG aufgeführt sind (Brunner/Dölling, aaO, § 10 Rn 2). Eine Abänderung von Weisungen ist trotz eingetretener Rechtskraft nach § 11 Abs. 2 JGG möglich, wenn sich etwa die persönlichen Verhältnisse des Jugendlichen nachträglich ändern. Änderungen sind aber auch zulässig, wenn die Weisung nachträglich abweichend beurteilt wird, sich etwa als übertrieben, ungeeignet oder nicht nicht zu überwachen herausstellt. Bei den mit Erziehungsmaßregeln zu ahndenden Straftaten sind aus dem Katalog vor allem § 10 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 JGG (Erbringung von Arbeitsleistungen), Nr. 5 (Unterstellung unter einen Betreuungshelfer), Nr. 6 (Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs), Nr. 7 (Täter-Opfer-Ausgleich) und Nr. 9 (Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs) hervorzuheben.

Hilfen zur Erziehung sind Verpflichtungen, im Einvernehmen mit dem Jugendamt und unter den Voraussetzungen des Achten Buchs Sozialgesetzbuch - Erziehungsbeistandschaft, § 30 SGB VIII - Betreutes Wohnen in Anspruch zu nehmen.

Befolgt der Verurteilte Weisungen schuldhaft nicht, so kann er mit "Ungehorsamsarrest" bis zu vier Wochen Dauer belegt werden, § 11 Abs. 3 JGG. Er nuß hierüber belehrt werden. Vor der Verhängung von Arrest ist dem Verurteilten Gelegenheit zur mündlichen Äußerung vor dem Richter zu geben, § 58 Abs. 1 S. 3 JGG. Die Anhörung kann nicht erzwungen werden, der Verurteilte erhält eben nur "Gelegenheit", seine Sicht der Dinge mündlich zu erläutern.

bb. Zuchtmittel

Zuchtmittel, § 13 JGG, sind ein eindringlicher tatbezogener Mahn- und Ordnungsruf, § 13 Abs. 1 JGG; stehen aber unter der Jugendstrafe und haben nicht die Rechts- wirkungen einer Strafe. Sie dienen zwar auch der Ahndung und Sühne, sollen aber dabei auch die Entwicklung des Täters erzieherisch begünstigen (Brunner/Dölling, aaO, § 13 Rn 2). Da wiederum der Erziehungsgedanke angesprochen wird, kommen Zuchtmittel bei kriminellen, verwahrlosten oder erheblich gefährdeten Jugendlichen nicht in Betracht, da bei ihnen eine erzieherische Beeinflussung gerade ausscheidet.

In Betracht kommen nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 die Verwarnung nach § 14, nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 die Erteilung von Auflagen nach § 15 und nach § 13 Abs. 2 Nr. 3 der Jugendarrest nach § 16 JGG.

Die Verwarnung nach § 14 JGG beinhaltet eine förmliche Zurechtweisung des Täters und unterscheidet sich nicht wesentlich von der Ermahnung nach § 45 Abs. 3 JGG. Dabei ist zu trennen zwischen der Verurteilung zur Ver- warnung und deren Vollzug nach Rechtskraft. Der Vollzug kann aber durchaus auch direkt nach Eintritt der Rechtskraft durch allseitigen Rechts- mittelverzicht noch im Sitzungssaal erfolgen, ggf. muß sie nochmals mündlich in einem gesonderten Termin oder schriftlich erfolgen. Dabei ist es m.E. schwierig, dem Verurteilten den Sinn der doppelten Rede im Urteil und danach nochmals klarzumachen sowie den Umstand, daß er nun zu einem Zuchtmittel verurteilt wurde. Man vermutet scheinbar bei den Jugendlichen zu viel Verständnis für verfahrensrechtliche Feinheiten. Ich halte daher bei der Verwarnung eher Zurückhaltung für angebracht.

Auflagen nach § 15 JGG sind vor allem die Schadenswiedergutmachung, die Entschuldigung, Arbeits- und Geldauflagen. Bei der Wiedergut- machungsleistung muß eine zivilrechtliche Grundlage bestehen, ansonsten wäre diese Auflage gesetzeswidrig. Die Höhe dieses Anspruch begrenzt auch die Höhe der Auflage.

Bei der Entschuldigung muß vorher geklärt werden, ob der Angeklagte zur Vornahme, der Geschädigte zur Entgegennahme bereit sind, das es sich um einen höchstpersönlichen Vorgang handelt.

In der Praxis sehr häufig ist die Arbeitsauflage, die oft alleine in der Lage ist, eine vernünftige Reaktion auf Fehlverhalten zu bieten. Geldzahlungen scheiden bei Jugendlichen häufig aus, allerdings sollte auf kriminelles Unrecht auch eine Reaktion erfolgen, die eine für den Täter selbst spürbare Sanktion darstellt. Bei der Arbeitsauflage ist dies in der Form anzunehmen, daß sich der Täter selbst mit seiner Person einzubringen hat.

Bei der Geldauflage muß ausdrücklich darauf geachtet werden, daß sie aus eigenen Mitteln gezahlt werden kann, § 15 Abs. 2 Nr. 1 JGG. Auch kommt sie als Mittel der Gewinnabschöpfung in Betracht, § 15 Abs. 2 Nr. 2 JGG.

Schließlich ist als schärfstes Zuchtmittel der Jugendarrest zu erörtern: Nach § 16 JGG wird Jugendarrest in der Form des Freizeit-, des Kurz- und des Dauerarrestes verhängt. Dabei wird der Freizeitarrest für die wöchentliche Freizeit (also das Wochenende Samstag morgen bis Sonntag nachmittag, um Arbeitsaufnahme am Montag zu ermöglichen) verhängt und auf eine oder zwei Freizeiten bemessen. Kurzarrest wird anstelle des Freizeitarrestes verhängt, wenn der zusammenhängende Vollzug aus erzieherischen Gründen zweckmäßig ist. Ein Freizeitarrest entspricht dabei zwei Tagen Kurzarrest, nachträgliche Umwandlung ist möglich, § 86 JGG. Dauerarrest beträgt 1 bis 4 Wochen.

Arrest wird in speziellen Jugendarrestanstalten vollzogen (§ 90 Abs. 2 JGG). Der Arrest soll durch die deutliche freiheitsentziehende Intervention eine Auseinandersetzung des Jugendlichen mit sich selbst fördern und Hilfen zur Bewältigung der Umstände bieten, die zur Straftat geführt haben, § 90 Abs. 1 S. 3 JGG. Insgesamt soll der Arrest dem Jugendlichenals ernste Warnung dienen und zum Nachdenken anregen. Einzelheiten regelt die JAVollzO, die auf § 115 JGG beruht (BGBl 1976 I 3270). In der Praxis finden neben einer Aussprache mit dem Vollzugsleiter (der Jugendrichter am Vollzugsort, § 90 Abs. 2 S. 2 JGG) vor allem unter sozialpädagogischem Vorzeichen stehende Einzelhilfen, Gruppen- veranstaltungen und Unterrichte statt. Allerdings muß dies bereits aus personellen Gründen bei den Freizeitarresten auf ein Minimum be- schränkt werden, umfassendere Angebote können bei den Dauerarresten stattfinden.

cc. Jugendstrafe

Die Jugendstrafe ist Freiheitsentziehung in einer Jugendstrafanstalt, § 17 Abs. 1 JGG.

DieDauer der Jugendstrafe reicht bei Jugendlichen von 6 Monaten bis zu 5 Jahren, wenn es sich um ein Verbrechen handelt, das nach allgemeinem Strafrecht mit einer Höchststrafe von mehr als 10 Jahren bedroht ist, dann ist das Höchstmaß 10 Jahre, § 18 Abs. 1 S. 1 und 2 JGG. Abweichend hiervon ist bei Heranwachsenden die Höchststrafe allgemein 10 Jahre, § 105 Abs. 3 JGG.

Sie ist eine unabhängig vom Erwachsenenstrafrecht ausgestaltete Freiheitsstrafe und in erster Linie Erziehungsstrafe (Richtlinie Nr. 1 zu § 17 JGG). Sie ist ihrer Natur nach die einzige kriminelle Strafe des JGG. Obwohl gegenüber den Strafen des allgemeinen Strafrechts eigenständig, enthält sie alle Elemente des allgemeinen Strafbegriffs, nämlich Schuldvergeltung (Sühne), Abschreckung, Besserung, Schutz der Allgemeinheit (Brunner/Dölling, aaO, § 17 Rn 1). Allerdings haben die allgemeinen Strafzwecke hinter das Erziehungsziel aller jugendrechtlichen Maßnahmen zurückzutreten.

Jugendstrafe ist zu verhängen, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist, § 17 Abs. 2 JGG.

Schädliche Neigungen sind nach der Rechtsprechung "erhebliche Anlage- oder Erziehungs- mängel, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr von Störungen der Gemein- schafts-Ordnung durch weitere Straftaten begründen", diese müssen dabei so schwer sein, daß deren Beseitigung sinnvoll nur in einem länger dauernden Strafvollzug versucht werden kann. Der Täter muß sich bereits daran gewöhnt haben, aus einer in seiner Persönlichkeit wurzelnden falschen Trieb- oder Willensrichtung zu handeln. Die schädlichen Neigungen müssen in der Tat hervorgetreten sein und im Zeitpunkt der Entscheidung noch bestehen und weitere Straftaten befürchten lassen. Das setzt voraus, daß die erheblichen Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, ggf. auch verborgen, angelegt waren.

Die Schwere der Schuld kann die Jugendstrafe erfordern. Sie ergibt sich aus dem Gewicht der Tat und der persönlichkeitsbegründenden Beziehung des Jugendlichen zu der Tat. Dabei sind alle für das Maß der Schuld bedeutsamen Gesichtspunkte, vor allem auch Tatmotive, zu berücksichtigten, es geht um die Einzeltatschuld, nicht um eine Charakter- schuld, das Gesetz stellt nur auf das Schuldprinzip ab.

Unter diesem Gesichtspunkt wird Jugendstrafe bei Fahrlässigkeitstaten in der Regel ausscheiden. Wenn etwa bei Verkehrsdelikten die schweren Folgen der Tat die Schwere der Schuld, somit die innere Tatseite, weit überwiegen, darf dies nicht zum (Fehl-)Schluß verleiten, daß Schwere der Schuld die Jugendstrafe erfordern würde.

dd. Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung

Bei Verurteilung zu einer Jugendstrafe bis zu zwei Jahren ist deren Aussetzung zur Bewährung zu prüfen, § 21 JGG.

Bei Verurteilung zur Jugendstrafe bis zu einem Jahr setzt das Gericht gem. § 21 Abs. 1 JGG die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß sich der Jugendliche bereits die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs unter der erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit künftig einen rechtschaffenen Lebenswandel führen wird. Bei der Entscheidung sind "namentlich" die Persönlichkeit des Jugendlichen, sein Vorleben, die Umstände der Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind, dies erfordert eine gründliche Prüfung des Einzelfalls, eine unterschiedslose Anwendung der Aussetzung zur Bewährung für Ersttäter wäre demnach verfehlt (RL 1 zu § 21). Andererseits schließen frühere Verurteilungen oder ein Versagen während einer Bewährungszeit eine Strafaussetzung nicht von vorneherein aus (Brunner/Dölling, aaO, § 21 Rn. 6a).

Voraussetzung ist nach dem Ergebnis der Prüfung, daß die Erwartung eines rechtschaffenen Lebenswandels besteht, also weitere Straftaten nicht wahrscheinlich sind und - im Gegensatz zu der Formulierung für Erwachsene in § 56 Abs. 1 StGB, wonach keine Straftaten mehr zu erwarten sein dürfen - mit einem rechtschaffenen Lebenswandel zu rechnen ist. Dies ist auf den Erziehungszweck des JGG hin zu interpretieren und bedeutet, daß die Anerkennung zumindest der Grundwerte, die das Zusammenleben in der Rechts- gemeinschaft ermöglichen, und die Kraft zur Selbsterziehung in Freiheit mit Hilfe der Bewährungshilfe und mit Hilfe der zu erteilenden Auflagen und Weisungen zu verlangen ist. Kann also die Erziehung besser durch die Aussetzung der Strafe zur Bewährung oder durch ihre Vollstreckung erreicht werden?

Bei Verurteilung zu Jugendstrafe zwischen einem und zwei Jahren muß ebenfalls Strafaussetzung zur Bewährung bewilligt werden, wenn nicht ausnahmsweise die Vollstreckung der Strafe im Hinblick auf die Entwicklung des Jugendlichen geboten ist. Aus dem Wortlaut von § 21 Abs. 2 JGG ergibt sich demnach, daß im Gegensatz zu § 56 Abs. 2 StGB die Aussetzung zur Bewährung auch bei einer so hohen Jugendstrafe in der Regel geboten ist und gerade nicht den Ausnahmefall darstellt. Auch hier ist nach sorgfältiger Erforschung der Persönlichkeit des Jugendlichen eine Prognose aufzustellen.

Generalpräventive Gesichtspunkte dürfen wegen der erzieherischen Zielsetzung des Jugendstrafrechts hier keine Rolle spielen.

ee. Bewährungszeit, Auflagen, Weisungen, Bewährungshilfe

Die Dauer der Bewährungszeit hat zwischen 2 und 3 Jahren zu liegen. Nachträgliche Verkürzung bis auf ein Jahr (bei Jugendstrafen zwischen einem und zwei Jahren: auf zwei Jahre) oder Verlängerung (vor ihrem Ablauf) bis auf vier Jahre ist möglich, § 22 Abs. 1 JGG.

Zur Erziehung und Ahndung sollen dem Jugendlichen Auflagen und Weisungen erteilt werden, § 23 Abs. 1 JGG, wobei nachträgliche Anordnungen, Änderungen und Aufhebungen möglich sind. §§ 10, 11 Abs. 3, 15 Abs. 1,2, 3 Satz 2 gelten ent- sprechend.Dies heißt u.a, daß bei schuldhafter Nichtbeachtung von Weisungen oder Auflagen Ungehorsamsarrest verhängt werden kann, wenn Bewährungswiderruf noch nicht geboten ist aber erzieherisch mit deutlichenMaßnahmen, einem gewissen "Vorgeschmack" auf die eventuell zu verbüßende Jugendstrafe, reagiert werden muß, um gerade den Bewährungswiderruf zu vermeiden.

Der Verurteilte ist zwingend für höchstens zwei Jahre der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers zu unterstellen, § 24 Abs. 1 JGG. Auch hier ergibt sich wiederum ein Unterschied zum Erwachsenenstrafrecht, wo die Bestellung eines Bewährungshelfers als Ausnahme geregelt ist, § 56 d StGB. Aufgrund der zeitlichen Schranke von zwei Jahren fallen häufig Unterstellungs- und Bewährungszeit auseinander, eine Verlängerung der Unterstellungszeit ist aber möglich, § 24 Abs. 2 JGG.

ff. Widerruf der Strafaussetzung

In § 26 Abs. 1 JGG sind die Voraussetzungen für den Widerruf der Strafaussetzung abschließend geregelt.

Zunächst kommt gem. § 26 Abs. 1 Nr. 1 JGG ein Widerruf in Betracht, wenn der Jugendliche in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, daß die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrundelag, sich nicht erfüllt hat. Ein (vor allem rechtskräftiges) Urteil wegen der neuen Straftat ist für den Widerruf aber nicht erforderlich, es ist aber notwendig, daß sich das über den Widerruf entscheidende Gericht eine eigene Überzeugung von der Begehung der Tat und zumindest die verminderte Schuldfähigkeit des Täters verschafft. Hierfür wird ein richterliches Geständnis der Tat ausreichen. Verurteilung oder Freispruch dürften es aber binden.Problematisch ist ein Widerruf vor der Aburteilung der neuen Straftat allerdings dann, wenn beim Urteil eine Strafaussetzung zur Bewährung in Frage kommt; in einem solchen Fall sind dann weniger einschneidende Maßnahmen als der Widerruf, z.B. Bewährungszeitverlängerung, möglich. Das Gericht sollte dann das neue Urteil abwarten (ausführlich dazu: Tröndle/Fischer, StGB, 49. Auflage, § 56f Rn 3b).

§ 26 Abs. 1 Nr. 2 JGG gestattet einen Widerruf, wenn der Jugendliche gegen Weisungen gröblich oder beharrlich verstößt oder sich der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers beharrlich entzieht unddadurch Anlaß zu der Besorgnis gibt, daß er erneut Straftaten begehen werde. Bei der anzustellenden Gesamtwürdigung aller Umstände sind hierfür konkrete und objektivierbare Verdachtsmomente nötig. Vor allem hier zeigt sich, daß möglichst rasch verhängter und vollstreckter Ungehorsams- arrest den Widerruf abwenden kann, weil sich dann viele Jugendliche doch noch auf ihre Pflichten besinnen.

§ 26 Abs. 1 Nr. 3 JGG sieht schließlich eine Widerrufsmöglichkeit vor, wenn der Jugendliche gröblich oder beharrlich gegen Auflagen verstößt. Hier ist also nicht erforderlich, daß der Verstoß zu der Annahme führt, die Erwartungen, die der Strafaussetzung zugrunde lagen, hätten sich nicht erfüllt und schon gar nicht, daß die Gefahr weiterer Straftaten bestünde. Diese Bestimmung berücksichtigt, daß die Erteilung von Auflagen eine gewisse Genugtuung für das Tatunrecht darstellt, allerdings darf gerade hier die Subsidiarität des Widerrufs, wie sie sich aus § 26 Abs. 2 JGG ergibt, nicht übersehen werden.

Denn nach § 26 Abs. 2 JGG ist von dem Widerruf abzusehen, wenn es ausreicht, weitere Weisungen oder Auflagen zu erteilen, die Bewährungs- oder Unterstellungszeit zu verlängern oder vor Ablauf der Bewährungszeit erneut einen Bewährungshelfer zu bestellen.

gg. Erlaß der Jugendstrafe und Beseitigung des Strafmakels

Nach Ablauf der Bewährungszeit ist die Jugendstrafe zu erlassen, wenn ein Widerruf nicht in Betracht kommt, § 26 a JGG. Vor Ablauf der Bewährungszeit hat der Bewährungs- helfer rechtzeitig einen Abschlußbericht vorzulegen, so daß noch eine eventuelle Ver- längerung der Bewährungszeit beschlossen werden kann, vgl.hierzu RL 1 zu §§ 26 und 26 a. Gleichzeitig mit dem Erlaß der Jugendstrafe wird der Strafmakel für beseitigt erklärt, § 100 JGG, wenn es sich um den (Rest einer) Jugendstrafe von bis zu zwei Jahren gehandelt hat. Das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.1.1998, BGBl, I, 160, hat hier einen § 100 S. 2 als Ausnahme zu § 100 S. 1 JGG ingefügt, wonach das oben Gesagte bei Verurteilungen nach §§ 174 bis 180 oder 182 StGB nicht gilt Auswirkungen haben der Erlaß der Jugendstrafe und die Beseitigung des Strafmakels bei den Auskunftsrechten aus dem Bundeszentralregister, § 41 Abs. 3 BZRG.

Der Erlaß der Jugendstrafe ist unanfechtbar, § 59 Abs. 4 JGG.

hh. Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe

Wenn nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, ob in der Straftat des Jugendlichen schädliche Neigungen von einem Umfang hervorgetreten sind, die die Verhängung einer Jugenstrafe erforderlich machen, so kann die Schuld festgestellt,aber die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe für eine Bewährungszeit ausgesetzt werden, § 27 JGG. Nach dem klaren Wortlaut kommt dies nicht bei Jugendstrafe in Betracht, die wegen Schwere der Schuld geboten ist. Die festzusetzende Bewährungszeit liegt zwischen einem und zwei Jahren, § 28 JGG, wobei Verlängerung oder Verkürzung in diesem Rahmen möglich sind. Ein Bewährungshelfer ist obligatorisch zu bestellen, § 29 JGG. Stellt sich während der Bewährungszeit heraus, daß die mißbilligte Tat auf schädlichen Neigungen zurückzuführen war, so ist in einem weiteren Urteil eine Jugendstrafe fest- zusetzen, §§ 30 Abs. 1, 62 Abs. 1 JGG. Ist dies nicht der Fall, so wird der Schuldspruch getilgt, § 30 Abs. 2 JGG.

4. Zuständigkeit der Gerichte und Gerichtsverfassung

Jugendgerichte sind der Strafrichter als Jugendrichter, das Jugendschöffengericht und die Jugendkammer, § 33 Abs. 2 JGG. Das Jugendschöffengericht ist mit einem Berufsrichter und zwei Jugendschöffen, die Jugendkammer mit drei Berufsrichtern und zwei Jugend- schöffen besetzt, wobei als Jugendschöffen jeweils ein Mann und eine Frau herangezogen werden sollen. Bei erstinstanzlichen Verfahren vor der Jugendkammer beschließt sie bei der Eröffnungdes Hauptverfahrens eine Besetzung mit zwei Berufs- und zwei Laien- richtern, wenn keine Schwurgerichtssache (§§ 74 Abs. 2, 74e GVG) vorliegt oder Umfang und Schwierigkeit der Sache einen dritten Richter erforderlich machen, § 33 b Abs. 2 JGG. Entscheidet die Jugendkammer über Berufungen gegen Urteile des Jugendrichters, so entscheidet sie als Kleine Jugendkammer mit einem Vorsitzenden und zwei Schöffen. Bei Berufungen gegen Urteile des Jugendschöffengerichts entscheidet sie nach dem Wortlaut stets in voller Besetzung (es findet ja keine Eröffnung des Hauptverfahrens mehr statt). Allerdings vertritt die Rechtsprechung die Auffassung, daß die Berufungs- kammer in entsprechender Anwendung von § 33 b Abs. 2 JGG bei der Terminierung der Berufungssache entscheiden könne, daß sie nur mit zwei Beruf- und zwei Laien- richtern besetzt ist (BayObLGSt 1997, 130 = NStZ 1998, 102; BGH v. 23.4.1996 NStZ-RR 1997, 22.

Der Jugendrichter ist zuständig, wenn Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel, nach dem JGG zulässige Nebenstrafen und Nebenfolgen oder Entziehung der Fahrerlaubnis zu erwarten sind und der Staatsanwalt Anklage beim Jugendrichter erhebt. Mehr als ein Jahr Jugendstrafe darf er nicht verhängen und keine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen, § 39 JGG.

Die Jugendkammer ist zuständig bei Strafsachen, die gem. § 74 e GVG zur Zuständig- keit des Schwurgerichts gehören würden, wenn bei Verbindung von Strafsachen gegen Jugendliche und Erwachsene für die Erwachsenen die große Strafkammer zuständig wäre oder die Sache nach Vorlage durch das Jugenschöffengericht durch die Jugend- kammer wegen der besonderen Bedeutung übernommen wird, § 41 JGG. Das bedeutet, daß der Staatsanwalt nur in den genannten Fällen zur Jugendkammer anklagen kann, also etwa nicht bei besonderer Bedeutung der Sache.

In allen diesen Fällen und dann, wenn die bisher genannten Zuständigkeitsregelungen nicht eingreifen, ist stets das Jugendschöffengericht zuständig. Das Jugendschöffen- gericht ist dann befugt, alle Jugendstrafen bis zum Höchstmaß von 5 oder 10 Jahren (siehe oben 3.b.cc.) und alle nach dem JGG sonst zulässigen Rechtsfolgen zu verhängen, Freiheitsstrafe aber nur bis zu 4 Jahren, § 108 Abs. 3 S. 1 JGG. Das Jugendschöffen- gericht ist demnach vor allem auch befugt, Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB zu verhängen, was nach den allgemeinen Vorschriften gemäß § 24 I Nr. 2 GVG dem Amtsgericht verwehrt ist.

Jugendgerichte sind neben den allgemeinen Gerichten auch für sog. Jugendschutzsachen zuständig, §§ 26, 74b GVG.

5. Verfahrensrechtliche Besonderheiten

Unter dem erzieherischen Leitgedanken des JGG finden sich auch im Verfahrensablauf einige Besonderheiten, die nun dargestellt werden sollen.

a. Verfahrenseinstellung nach §§ 45, 47 JGG

Sieht der Staatsanwalt nicht bereits wegen geringer Schuldunter den Voraussetzungen von § 153 StPO von weiterer Verfolgung ab, so kommt eine solche Verfahrenseinstellung auch dann durch den Staatsanwalt in Betracht, wenn eine erzieherische Maßnahme bereits eingeleitet oder durchgeführt ist und eine Beteiligung des Richters nicht erforderlich ist, § 45 Abs. 1 und Abs. 2 JGG.

Eine Möglichkeit der Verfahrenseinstellung ist auch gegeben, wenn der Staatsanwalt eine Anklageerhebung nicht für erforderlich hält, aber eine Einschaltung des Gerichts für notwendig gehalten wird. Er regt dann nämlich gem § 45 Abs. 3 JGG eine Ermahnung, Erteilung von Weisungen nach § 10 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 (Erbringung von Arbeitsleistungen), Nr. 7 (Bemühung um einen Täter-Opfer-Ausgleich) und Nr. 9 (Teilnahme an einem Verkehrsunterricht) oder von Auflagen (§ 15 JGG) an. Entspricht der Jugendrichter der Anregung, so sieht der Staatsanwalt (nach Befolgung durch den Jugendlichen) von der Verfolgung ab.

Nach Erhebung der Anklage bestehen Einstellungsmöglichkeiten nach § 47 JGG bei geringer Schuld iSv. § 153 StPO oder dann, wenn eine erzieherische Maßnahme wie in § 45 Abs. 2 JGG eingeleitet oder durchgeführt ist, wenn eine soeben aufgeführte Maßnahme nach § 45 Abs. 3 JGG angeordnet wird oder wenn die strafrechtliche Verantwortlichkeit nach § 3 JGG fehlt.

Hierbei ist jeweils die Zustimmung des Staatsanwalts erforderlich, wenn er an der Haupt- verhandlung teilnimmt, was bei § 76 JGG (dazu sogleich) nicht notwendig ist. Werden Weisungen oder Auflagen festgesetzt, so erfolgt zunächst vorläufige Einstellung mit einer Fristsetzung von bis zu 6 Monaten für die Erfüllung, dann endgültige Einstellung. Bei einer Verfahrenseinstellung kommen Ungehorsamsfolgen nicht in Betracht (also Ungehorsams- arrest nach §§ 11 Abs. 3, 15 Abs. 3 S. 2 JGG), Folge der Nichterfüllung durch den Jugendlichen ist dann die Wiederaufnahme des vorläufig eingestellten Verfahrens.

b. Vereinfachtes Jugendverfahren

Nach § 76 JGG kann der Staatsanwalt beim Jugendrichter schriftlich oder auch mündlich beantragen, im vereinfachten Jugendverfahren zu entscheiden, wenn nur Weisungen, Erziehungsbeistandschaft, Zuchtmittel, Fahrverbot, Fahrerlaubnisentziehung mit nicht mehr als zwei Jahren Sperrfrist, Verfall oder Einziehung zu erwarten sind. Dieser Antrag steht der Anklage gleich. Mit unanfechtbarem Beschluß kann der Jugendrichter den Antrag ablehnen, wenn sich die Sache hierzu nicht eignet, wenn also andere Rechtsfolgen nach seiner Meinung zu erwarten sind, also insbesondere Jugendstrafe, oder eine umfangreichere Beweisaufnahme erforderlich ist. Wenn Zwangsmittel gem. § 230 Abs. 2 StPO erforderlich werden, kommt das verein- fachte Jugendverfahren auch nicht in Betracht, weil sie hier nicht zulässig sind.

Ein förmlicher Eröffnungsbeschluß ergeht nicht.

Der Staatsanwalt muß am Termin nicht teilnehmen. Nimmt er nicht teil, kann der Jugend- richter ohne Zustimmung des Staatsanwalts und sogar gegen seinen ausdrücklichen Widerspruch (Brunner/Dölling, aaO, §§ 76-78 Rn 14 a.E.) das Verfahren gem. § 47 JGG einstellen, vgl § 78 Abs. 3 JGG. Mit Einschränkungen darf von Verfahrensvorschriften abgewichen werden, wenn dadurch die Erforschung der Wahrheit nicht beeinträchtigt wird, § 78 Abs. 2 JGG.

Gegen Heranwachsende ist das vereinfachte Jugendverfahren nicht zulässig, in § 109 JGG sind §§ 76-78 JGG nämlich nicht in Bezug genommen.

c. Ausschluß von Vorschriften des allgemeinen Verfahrensrechts

Gemäß § 79 Abs. 1 JGG darf gegen einen Jugendlichen kein Strafbefehl erlassen werden. Geschied dies versehentlich dennoch, dann ist der Strafbefehl nicht nichtig, wird rechtzeitig Einspruch eingelegt, dann tritt an die Stelle der Anklage der Strafbefehlsantrag, an die Stelle des Eröffnungsbeschlusses der (erlassene) Strafbefehl.

Das beschleunigte Verfahren des allgemeinen Strafrechts (§§417 ff StPO) ist gem. § 79 Abs. 2 JGG unzulässig.

Ebenso sind ausdrücklich die Privat- und die Nebenklage gegen einen Jugendlichen unzulässig, wodurch aber nicht ausgeschlossen wird, daß der Jugendliche als Privat- oder Nebenkläger auftritt. Dann ist auch Widerklage gegen einen Privatkläger zulässig, wobei allerdings die Jugendstrafe nicht in Betracht kommt, § 80 Abs. 2 und 3 JGG.

Hierbei ist sogleich darauf hinzuweisen, daß gegen Heranwachsende beschleunigtes Verfahren, Privat- und Nebenklage zulässig sind, denn in § 109 Abs. 1 JGG wird auf die Ausschlußvorschrift der §§ 79 und 80 JGG gerade nicht Bezug genommen. Wenn Erwachsenenrecht angewendet wird, ist auch das Strafbefehlsverfahren zulässig mit der Einschränkung, daß keine Freiheitsstrafe auf Bewährung verhängt werden darf, weil in § 109 Abs. 3 JGG die entsprechende Vorschrift des § 407 Abs. 2 S. 2 StPO für unanwendbar erklärt wird.

In der Praxis des Jugendrichters spielt die Privatklage ebenso wie im allgemeinen Strafverfahren praktische keine Rolle.

Das in den Medien sehr häufig gelobte beschleunigte Verfahren stößt an eine weitere Grenze, wenn kurzfristig ein Bericht der Jugendgerichtshilfe angefordert wird, der in der Kürze der Zeit häufig nicht erstellt werden kann.

d. Beteiligung der Jugendgerichtshilfe

Jugendgerichtshilfe leisten die Jugendämter, die Aufgaben sind in § 38 Abs. 2 JGG ausführlich niedergelegt. Vor allem die Erforschung der Persönlichkeit des Angeklagten einschließlich seines Werdeganges und seiner Umwelt ermöglichen es dem Jugendgericht erst, mit den verschiedenen Instrumenten des Jugendgerichtsgesetzes auf eine Straftat angemessen erzieherisch und zukunftsorientiert zu reagieren. Regelmäßig erstellt die Jugendgerichtshilfe einen Bericht, der sodann im Wege des Vorhalts in die Hauptverhandlung eingeführt wird. Äußert sich der Angeklagte (ausnahmsweise) hierzu nicht, so muß der Vertreter der Jugendgerichtshilfe förmlich als Zeuge vernommen werden, um seinen Bericht prozeßordnungsgemäß in das Verfahren einzuführen. Eine Vernehmung des Mitarbeiters der Jugendgerichtshilfe ist nach h.M. zulässig (Eisenberg, JGG, 7. Auflage, § 38 Rn 29, 30). Ein Zeugnisverwei- gerungsrecht besteht - außer in Ausnahmefällen im Hinblick auf Art 2 I, 1 I GG (siehe BVerfGE 33, 367) - nicht (Eisenberg aaO, Rn 30). Streitpunkt könnte in diesem Zusammenhang nur die Frage sein, ob der Dienst- vorgesetzte die nach Dienstrecht erforderliche Aussagegenehmigung verweigern darf. Beispielsfälle aus der Rechtsprechung sind aber noch nicht aufgetreten; die Verweigerung der Aussagegenehmigung wird sich aber wohl nur auf Ausnahme- fälle beschränken können, wenn es sich etwa um vertrauliche Angaben handeln sollte. In besonders kritischen Fällen wäre das Problem sicher auch für die JGH dadurch zu entschärfen, wenn der Proband beim Gespräch darauf hingewiesen wird, dass der Mitarbeiterder JGH notfalls als Zeuge aussagen muss.

Der JGH ist der Termin der Hauptverhandlung mitzuteilen und dem Vertreter das Wort zu erteilen, § 50 Abs. 3 JGG.

Verstößt das Gericht gegen die Vorschriften über die Beteiligung der Jugendgerichtshilfe, so begründet dies in der Regel die Revision (Verfahrens- verstoß gegen § 38 Abs. 3 und § 50 Abs. 3 JGG sowie Verstoß gegen die Aufklärungspflicht).

Auch im Ermittlungsverfahren ist die Beteiligung der JGH ausdrücklich für Sonderfälle vorgeschrieben, vor allem für Haftsachen: der Erlaß eines Haft- befehls soll ihr mitgeteilt werden, von seiner Vollstreckung ist sie unverzüglich zu benachrichtigen, § 72 a JGG.

e. Stellung der Erziehungsberechtigten

Im Verfahren gegen Jugendliche, (natürlich) nicht in dem Verfahren gegen Heranwachsende, sind die Erziehungsberechtigten zu beteiligten. Deshalb ordnet § 67 Abs. 1 JGG an, daß Anhörungs-, Frage-, Antrags- und Anwesenheitsrechte dem Erziehungsberechtigten so wie dem Beschuldigten selbst zustehen. Außerdem können Sie eigenständig einen Verteidiger wählen und Rechtsbehelfe einlegen, § 67 Abs. 3 JGG, vgl. auch § 298 StPO. Wer Erziehungsberechtigter ist, bestimmt sich nach dem Bürgerlichen Recht. Vorgeschriebene Mitteilungen an den Beschuldigten sollen auch an den Erziehungs- berechtigten gerichtet werden, nur ausnahmsweise kann hiervon abgesehen werden. Bei mehreren Erziehungsberechtigten genügt die Mittelung an einen von ihnen, der anwesende vertritt den anderen, § 67 Abs. 5 S. 3 und 2. Ein Verstoß gegendie Beteiligungsrechte soll keinen Revisionsgrund darstellen (BGH JR 1997, 79), es kommt aber ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht in Betracht. Gemäß § 67 Abs. 4 JGG kommt eine Entziehung dieser Rechte in Betracht, wenn die Erziehungsberechtigten einer Tatbeteiligung verdächtig sind. In diesem Fall sind ein Prozeßpfleger, §§ 1909, 1915, 1918f BGB, und ein Pflichtverteidiger, § 68 Nr. 2 JGG, zu bestellen.

f. Grundsatz der Nichtöffentlichkeit

Im Gegensatz zum Allgemeinen Strafrecht sind die Verhandlungen vor den Jugendgerichten nichtöffentlich, wenn der Angeklagte zum Tatzeitpunkt (Brunner/Dölling, aaO, § 48 Rn 1) Jugendlicher war, dagegen öffentlich, wenn er Heranwachsender oder Erwachsener (etwa in den Fällen des § 26 GVG) war oder wenn neben dem Jugendlichen auch Erwachsene oder Heranwachsende angeklagt sind, § 48 Abs. 1, 3 JGG. Hat der Angeklagte Taten teilweise als Jugendlicher, teilweise als Heranwachsender begangen, so ist das Verfahren nichtöffentlich (Eisenberg, aaO, § 48, Rn 3). Anwesenheitsrechte haben die in § 48 Abs. 2 JGG genannten Personen. In den Fällen, in denen die Verhandlung öffentlich ist, kann sie im Interesse der Erziehung ausgeschlossen werden, § 48 Abs. 3 S. 2 bzw § 109 Abs. 1 S. 4 JGG. Sonstige Gründe zum Ausschluß der Öffentlichkeit gelten unabhängig hiervon, §§ 171a, 171b, 172 GVG.

6. Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende

Ausgangspunkt für die Frage, ob auf Heranwachsende materielles Jugend- oder Erwachsenenrecht anzuwenden ist, ist § 105 JGG. Insoweit kommen zwei Alternativen in Betracht, nämlich entweder liegen sog. "Reifeverzögerungen" vor, so daß aufgrund einer Gesamtwürdigung der Persön- lichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen sich ergibt, daß der Täter zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand. Jugendstrafrecht ist außer- dem anzuwenden, wenn es sich nach Art, den Umständen oder den Beweg- gründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt. Liegt eine der beiden Alternativen vor, so sind aus dem materiellen Jugendrecht die §§ 4 - 8, 9 Nr. 1, 10, 11, 13-32 entsprechend anzuwenden.

Vorweg ist daran zu erinnern, daß für Heranwachsende § 3 JGG nicht gilt, s.o.

Anhaltspunkt für das Vorliegen von Reifeverzögerungen iSv § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG können sein: Vorherrschen des Gefühle- und Trieblebens (Besitz-, Geschlechts- trieb, sinnlose Zerstörungswut, Lust am Quälen), Launen, allgemeine Unaus- geglichenheit, Leben im Augenblick, spielerische Einstellung zur Arbeit (Brunner/ Dölling, aaO,§ 105 Rn 6), die sich häufig etwa in mangelndem Durchhaltever- mögen auf der Arbeit oder bei der Lehre oder beim Besuch der Berufsschule zeigt. Mangelnde Berufs- und Lebensplanung sollen hier als Stichworte genügen. Weitere ausführliche Erörterungen hierzu finden sich bei Brunner/ Dölling aaO, Rn 6a ff. Der BGH führt hierzu in BGHSt 36, 37 ff im wesent- lichen folgendes aus: Ein Heranwachsender sei nicht nur dann nach Jugendrecht zu verurteilen, wenn er in allen Belangen das Bild eines höchstens 17-jährigen biete. Bei der Beurteilung des individuellen Reifegrades sei nicht ein bestimmtes Alter als unverrückbarer Maßstab heranzuziehen. Vielmehr sei mit dem Begriff des Jugendlichen iSv. § 105 I Nr. 1 JGG der noch ungefestigte, in der Entwicklung stehende, auch noch prägbare Mensch zu verstehen, bei dem Enwicklung- kräfte noch in größerem Umfang wirksam sind. Stünden Reiferückstände nicht mehr im Vordergrund, sondern habe der Täter die einem jungen Erwachsenen kennzeichnende Ausformung erfahren, sei er nicht mehr einem Jugendlichen gleichzustellen.

Eine Jugendverfehlung nach § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG wird dann anzunehmen sein, wenn sie im konkreten Fall auf jugendlichen Leichtsinn, Unüberlegtheit oder sozialerUnreife beruht. Dabei ist eine Jugendverfehlung nicht ausge- schlossen, wenn das Delikt auch von Tätern höherer Altersklassen ebenso begangen werden kann. Als Stichworte für jugendtypisches Verhalten sollen genannt werden: Mangel an Ausgeglichenheit und Besonnenheit,Hemmungs- vermögenund Beherrschung; volles Ausleben von Wut und Zorn; Imponier- gehabe usw., zu letzterem möchte ich auch Delikte aus der Gruppe heraus rechnen wie z.B. Sachbeschädigungen, "Mutproben" bei Ladendiebstählen o.ä.

Verbleiben nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten Zweifel, ob nun die Voraussetzungen für die Anwendung von Jugendstrafrecht vorliegen oder nicht, so ist das Jugendrecht als die im allgemeinen günstigere Alternative anzuwenden. Allerdings besteht kein Regel-Ausnahmeverhältnis derart, dass Jugendrecht anzu- wenden ist, wenn der Täter nicht ausnahmsweise eindeutig einem Erwachsenen gleichzustellen ist; lediglich bei verbleibender Unklarheit ist Jugendstrafrecht vor- rangig (BGHSt 36, 37, 40). Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf Hinz, "Jugendstrafrecht auf dem Prüfstand", ZRP 2001, 106 ff.

Wird hiernach Jugendstrafrecht angewendet, so gelten als Besonderheiten, daß das Höchstmaß der Jugendstrafe 10 Jahre beträgt, § 105 Abs. 3JGG. Erziehungsbeistandschaft und Hilfe zur Erziehung sind nicht zulässig (weil § 9 Nr. 2 und 3 JGG in der Verweisung von § 105 Abs. 1 JGG nicht enthalten sind).

Verfahrensrechtliche Besonderheiten wurden bereits oben erörtert, hierauf sei nochmals verwiesen.

7. Rechtsmittel

Gegen Urteile der Jugendgerichte sind grundsätzlich dieselben Rechtsmittel gegeben wie gegen Urteile der Erwachsenengerichte: Gegen Urteile des Jugendrichters und des Jugendschöffengerichts sind also Berufung und (Sprung-)Revision statthaft, §§ 2 JGG, 312 ff StPO bzw 333 ff, 335 StPO. Über die Berufung entscheidet das übergordnete Landgericht - Jugendkammer -, über die Revision in Bayern das Bayerische Oberste Landesgericht, § 121 Abs. 3 GVG, Art. 11 Abs. 1 BayAGGVG (der Text ist im "Schönfelder" in der Anmerkung zu § 8 EGGVG abgedruckt), in den anderen Bundesländern das Oberlandesgericht, § 121 Abs. 1 Nr.1 GVG. Erstinstanzliche Urteile der Jugendkammer sind mit der Revision zum BGH anfechtbar, §§ 2 JGG, 333 StPO. In Abweichung zu den Vorschriften über die Rechtsmittel im Verfahren gegen Erwachsene bestimmt § 55 JGG wesentliche Einschränkungen für die statthaften Rechtsmittel, um eine nach der Vorstellung des Gesetzgebers möglichst bald rechtskräftig werdende Entscheidung zu bekommen. Nach § 55 Abs. 1 JGG sind zunächst Urteile, in denen nur auf Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel erkannt wurde nicht mit dem Ziel anfechtbar, andere oder mildere Erziehungs- maßregeln oder Zuchtmittel zu erlangen (Ausnahme in § 55 Abs. 1 S. 2 JGG). Somit kann der Verurteilte mit dem Rechtsmittel nur Freispruch, die Staatsanwaltschaft mit dem Rechtsmittel gegen einen Freispruch die Verurteilung, mit dem Rechtsmittel gegen eine Verurteilung mit den oben genannten Rechtsfolgen nur die Verhängung von Jugendstrafe erstreben. Diese Beschränkung gilt aber nur, wenn nicht (ggf. auch neben Zucht- mitteln oder Erziehungsmaßregeln) noch andere Maßnahmen fest- gesetzt wurden, also etwa eine Maßregel der Besserung und Sicherung (Fahrerlaubnisentzug und/oder Sperrfrist, Unterbringung nach §§ 63, 64 StGB), Nebenstrafen oder Nebenfolgen. Eine weitere Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeiten folgt aus § 55 Abs. 2 JGG, wonach jeder Anfechtungsberechtigte nur ein Rechtsmittel zur Verfügung hat, hat er also Berufung eingelegt, ist gegen das Berufungsurteil keine Revision mehr statthaft. Dies greift aber nicht ein, wenn in der ersten Instanz Freispruch erfolgte und auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das Berufungsgericht verurteilt: insoweit hat der Verurteilte noch die Möglichkeit der Revision. Legen sowohl Angeklagter als auch der Staatsanwalt Berufung ein und verschlechtert sich durch das Berufungsurteil die Verurteilung für den Angeklagten, so hat er dennoch kein weiteres Rechtsmittel (Brunner/Dölling, aaO, § 55 Rn 16; Eisenberg, aaO, § 55 Rn 63).

Eine Besonderheit ergibt sich dann, wenn nur die Entscheidung über die gewährte oder versagte Strafaussetzung zur Bewährung angefochten wird: § 59 I JGG bestimmt dabei als alleiniges Rechtsmittel die sofortige Beschwerde, nicht etwa die Berufung, die unzulässig wäre. Ein entsprechend falsch bezeichnetes Rechtsmittel ist aber umzudeuten, § 300 StPO. Die Entscheidung ergeht - obwohl sich das Rechtsmittel gegen ein Urteil richtet - ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss.


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