Herzlich willkommen auf jurawelt.com

Zur neuen Webseite: jurawelt.com

Zum Forum: forum.jurawelt.com


Erfahrungsbericht über Teilnahme an rechtsmedizinischen Veranstaltungen für Juristen oder "Woran starb Barschel wirklich?" (Alexander Otto)
Alexander Otto

Erfahrungsbericht über Teilnahme an rechtsmedizinischen Veranstaltungen für Juristen
oder "Woran starb Barschel wirklich?"


A. Allgemeines

Will man im Rahmen des Jurastudiums einmal über den "juristischen Tellerrand" hinausschauen, dann fallen den meisten Studenten lediglich die Pflicht-Praktika oder Gerichtsbesuche ein. Nur selten wird die Möglichkeit genutzt - oftmals in Ermangelung entsprechender Angebote -sich neben dem eigentlichen Jurastudium mit praxisnahen Themengebieten zu beschäftigen.

Dabei bieten einige wenige Universitäten die Möglichkeit an, sich im Bereich der Rechtsmedizin umzuschauen. Ein Angebot, das nicht nur für angehende Strafrechtler lohnenswert ist, sondern sich auch für Vertreter nahezu aller anderen juristischen Fachrichtungen empfiehlt.

Leider bieten nur sehr wenige Universitäten rechtsmedizinische Vorlesungen für Juristen an. Eine Lösung dieses Problems, die man durchaus als vorbildhaft bezeichnen darf, hat das rechtsmedizinische Institut des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf gefunden. Dort wird seit den 70er Jahren eine einsemestrige Veranstaltung ausschließlich für interessierte Juristen und Kriminologen angeboten.

B. Das Institut

Das rechtsmedizinische Institut ist dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf angeschlossen. Pro Jahr werden hier etwa 3000 Leichen eingeliefert. Davon werden etwa 1200-1400 obduziert.

Darüberhinaus sind die Rechtsmediziner dieses bundesweit anerkannten Instituts für die vor einer Einäscherung gesetzlich vorgeschriebene, äußere Leichenschau in den Krematorien Öjendorf, Lüneburg, Stade und Celle zuständig. Dort sehen die Fachleute täglich weitere ca. 100 Leichen. Durch die Bündelung einiger Fachkompetenzen, die im Bundesgebiet oftmals nur selten zu finden sind, kommt es auch häufig vor, dass die Hamburger Rechtsmediziner ihre Kollegen in anderen Instituten bundesweit unterstützen.

C. Die Veranstaltungen für Juristen

Die sog. "Donnerstagsveranstaltungen" für Juristen sind in drei Einzelveranstaltungen aufgeteilt. So kann man an einem Seminar zur forensischen Rechtsmedizin, einer Rechtsmedizinvorlesung extra für Juristen und an einem rechtsmedizinischen Demonstrationskurs teilnehmen.

I. Seminar zur forensischen Rechtsmedizin

Das Seminar zur forensischen Rechtsmedizin ist eine Ergänzung zur Vorlesung und bietet die Möglichkeit, die Kenntnisse in bestimmten Bereichen der Rechtsmedizin zu vertiefen. Wöchentlich wechselnd stellen verschiedene Vertreter des Instituts ihren Spezialbereich ausführlich vor. Die Themen reichen von der allgemeinen Toxikologie, der klinischen Rechtsmedizin über das Thema Behandlungsfehler bis hin zu Betäubungsmitteln und Alkohol. Neben den ausgesprochen qualifizierten Detailkenntnissen, die man in diesen Seminarveranstaltungen erwerben kann, erhält man aber auch einen guten Überblick über die Möglichkeiten der heutigen Rechtsmedizin. Das fängt schon bei der Begutachtung eines möglichen Tatortes an und endet bei den verschiedensten Analysemöglichkeiten für Spuren. So erfährt man beispielsweise auch, dass die Chance besteht, nicht mehr sichtbare Blutanhaftungen an gewaschenen Kleidungsstücken festzustellen. Außerordentlich interessant war es auch, über den viel diskutierten Einsatz von Brechmitteln in Hamburg direkt etwas von einem Praktiker zu erfahren.

Auf dem Themenplan stand dann auch die Entomologie. Mit diesem Begriff werden die meisten Nicht-Mediziner vermutlich eher wenig anfangen können. Daher ist es einprägsamer, wenn man sich den Begriff der sog. "Madenleichen" merkt, an Fliegen oder Käfer denkt, die sich auf Leichen niedergelassen haben. Denkt man an diese Begriffe, überkommt die meisten in der Regel ein ausgeprägtes Ekelgefühl. Beschäftigt man sich hingegen mit diesen Tieren einmal aus juristisch-kriminologischer und rechtsmedizinischer Sicht, erkennt man die unglaublichen Möglichkeiten in den Bereichen der Täterermittlung oder der Todeszeitbestimmung. Ein Beispiel dafür ist der sicherlich aus Presse, Rundfunk und Fernsehen bekannte Mordfall "Pastor Geyer". Diesem konnte man nachweisen, dass er in der Nähe des Fundortes der Leiche seiner Ehefrau war, weil die Polizei seine Gummistiefel gefunden hat, an denen sich einige Ameisen befanden. Ein findiger Beamter der Kriminalpolizei hatte bei der Tatortaufnahme glücklicherweise einige Ameisen als Vergleichsobjekte asserviert. So konnten die Entomologen dann den genannten Nachweis erbringen.

II. Juristenvorlesung

Die Juristenvorlesung deckt alle diese Bereiche auch ab, schneidet sie aber teilweise kürzer an. Gehalten wird diese Veranstaltung von der stellvertretenden Direktorin des rechtsmedizinischen Instituts, Frau Prof. Dr. Ute Lockemann, die es mit einer sehr einfühlsamen und praxisnahen Art schafft, jeden Zuhörer an ihren Vortrag zu binden und, wenn nötig, auch deutlichst auf Missstände bei Juristen, Medizinern, Polizei oder auch der ambulanten Pflegedienste hinweist. Die Atmosphäre, die Frau Prof. Lockemann in die Vorlesung bringt, findet man auch in nahezu allen anderen Bereichen ihres Institutes wieder. Das ist für die Studenten, die mit diesem oftmals sehr ungewohnten Thema noch nie konfrontiert worden sind, eine enorme Hilfe und ermöglicht damit einen vernünftigen Einblick in diese interessante Materie.

Die Vorlesung beginnt mit einer allgemeinen Einführung in das Thema. Es wird geklärt, wann man sicher vom Eintritt des Todes (vier sichere Todeszeichen: Leichenflecken, Leichenstarre, Fäulnis und nicht mit dem Leben vereinbare Verletzungen) sprechen kann und wie der weitere Lauf der Dinge sein kann, wenn der Tod festgestellt worden ist. Illustriert werden diese Themen mit oftmals sehr schrecklichen, aber dafür auch eindrucksvollen und lehrreichen Bildern.

Besondere Bedeutung wird dem Thema Leichenschau gewidmet, deren Ergebnisse auch heute noch Rechtsmedizin und Strafverfolgungsbehörden vor teilweise erhebliche Probleme stellen. Denn jeder approbierte Arzt darf einen Totenschein ausfüllen und kann damit das weitere "Schicksal" einer Leiche erheblich beeinflussen. Sobald ein Arzt als Todesursache einen natürlichen Tod attestiert, ist es möglich, die Leiche beizusetzen. Ausnahme ist die Einäscherung. Hier ist es, wie oben bereits erwähnt, zunächst erforderlich, den Leichnam einer äußeren Leichenschau zu unterziehen. Aus Ermangelung an Erfahrung, Ungenauigkeit oder in Zeitnot wird die gesetzlich vorgeschriebene äußere Leichenschau oftmals nicht oder unzureichend vollzogen. Ergebnis sind falsch ausgestellte Todesbescheinigungen, die zum Teil zu einer nicht zu unterschätzenden Dunkelziffer bei der Entdeckung von Tötungsdelikten führen. Wenn man dann Beispiele aus der jüngsten Praxis des rechtsmedizinischen Instituts hört, wird diese Problematik besonders deutlich. So hat zum Beispiel ein Arzt bei einem deutlich erkennbaren Kopfschuss einen natürlich Tod festgestellt. Darauf angesprochen, soll dieser Arzt geäußert haben, dass ein Mensch nach einem Kopfschuss doch "natürlich" tot sei. Hätte ein Polizeibeamter oder ein Mitarbeiter des Rettungsdienstes den Kopfschuss übersehen, hätte die Tote beigesetzt werden können und ein möglicherweise dahinter stehendes Tötungsdelikt wäre nie entdeckt und aufgeklärt worden.

In diesem Rahmen hat Prof. Lockemann auch auf eine Dissertation (Erik Brandenburg) hingewiesen, die die Richtigkeit von Todesbescheinigungen zum Thema hatte. Die wesentlichen Ergebnisse geben erheblichen Grund zur Sorge: Todesursachen zu 40% falsch vermerkt, "Grundleiden" zu ca. 30% falsch, 57% aller durch Obduktion festgestellten Herzinsuffizienzen nicht vermerkt, 62% aller Lungenentzündungen, 47% aller tumorbedingten Auszehrungen (Kachexie).Der Schlaganfall wurde zu 36,7% falsch positiv diagnostiziert (d.h. er lag gar nicht vor), Herzinfarkt zu 29,9% falsch positiv, Lungenembolie zu 37,5% (zu 46% falsch negativ). Bei 8 von 8 Fällen mit ärztlichem Kunstfehler war ein natürlicher Tod bescheinigt.

Neben diesen allgemeinen Themen der Thanatologie, der Leichenschau und dem Sektionswesen wird sehr ausführlich und genau in anschaulicher Art und Weise auf die verschiedensten Todesursachen und Tötungsarten eingegangen. Das ist für das Lesen von Obduktionsprotokollen o.ä. in der späteren Praxis außerordentlich hilfreich. Anhand von Bildern und Fallbeispielen lernt man bspw. den Unterschied zwischen Erwürgen und Erdrosseln, die Unterschiede zwischen spitzer und stumpfer Gewalteinwirkung auf den Körper, woran man erkennen kann, ob eine im Wasser gefundene Leiche ertrunken ist oder erst nach Eintritt des Todes in das Gewässer verbracht wurde. Das sind nur ganz wenige Beispiele. Insgesamt werden alle erdenklichen Bereiche zu diesem Thema abgedeckt.

Im Laufe der Vorlesung geht es in zwei Veranstaltungen aber auch um rein juristische Themen. Dazu hat das Institut Rechtsanwalt Dr. Horst Bonvie (Hamburg) gewinnen können, der anhand eines ausführlichen Skriptes für die Teilnehmer eine Einführung in das Arzt- und Arzthaftungsrecht gibt.

III. Rechtsmedizinischer Demonstrationskurs

Im Anschluss an Vorlesung und Seminar kann man hautnah das zuvor theoretisch vermittelte Wissen begutachten und anwenden. Dazu geht es in den "Keller", in dem sich neben der Leichenannahmestelle, den "Kühlschränken" auch die Sektionssäle befinden. In diesem Räumlichkeiten findet der rechtsmedizinische Demonstrationskurs statt, der anfangs bei vielen im Vorfeld zu einem flauen Magen geführt hat. Bei insgesamt ca. 3000 Leichen jährlich, von denen etwa 1200-1400 obduziert werden, ist ein breites Spektrum von Todesursachen vorhanden, so dass man im rechtsmedizinischen Demonstrationskurs nahezu zu jedem Thema aus dem Theorieteil eine Leiche sehen kann.

Es geht aber nicht jede Woche in den "Keller". Auch Besuche in Laboren, die Darstellung von interessanten Fällen (z.B. Todesfälle in Verbindung mit Güllegruben) oder Vertiefungen in anderen Spezialgebieten der Rechtsmedizin (bspw. Sexualmorde) stehen auf dem Plan.

IV. Weitere Veranstaltungen

Im Rahmen der Donnerstagsveranstaltungen gibt es pro Semester einen Termin, der ausschließlich für die Besichtigung des Krematoriums in Öjendorf und den Besuch des Hamburger Kriminalmuseums freigehalten wird. Wer möchte, kann auch an Rechtsmedizin "Spezial" teilnehmen. In diesem Kurs werden besonders spektakuläre Todesfälle erläutert. So auch der Fall Barschel, der damals in Hamburg obduziert wurde und in den anderen Veranstaltungen seinen Niederschlag findet.

Wer möchte und glaubt, dass er es verträgt, hat die Möglichkeit an Obduktionen teilzunehmen. Hier gilt ein Grundsatz, den fast alle Rechtsmediziner denjenigen mit auf den Weg geben, die an einer Obduktion das erste Mal teilnehmen wollen: "Sie haben drei Möglichkeiten: Sie schauen ohne jegliche Geruchsbelästigung durch eine Scheibe in den Sektionssaal, sie stellen sich mit an den Tisch und wenn sie etwas "begreifen" wollen, dann haben wir auch passende Einmalhandschuhe für sie." Genauso wird aber jedem mit auf den Weg gegeben, dass man wirklich nur das machen soll, was man wirklich verträgt. Keiner lacht oder reagiert in anderer Weise amüsiert oder verständnislos, wenn man sich entscheidet, das alles nicht mitzumachen.

Wenn man es sich zutraut und verträgt, erwarten einen lehrreiche, äußerste interessante und beeindruckende Einblicke.

Betrachtet man die "Hamburger Lösung" für Juristen insgesamt, darf man sie ohne Abstriche als gelungen bezeichnen. Alle drei Kernveranstaltungen sind eng miteinander verzahnt und bieten einen sehr umfangreichen Einblick in rechtsmedizinische Grundlagen, den Alltag von Rechtsmedizinern und die weitreichenden Möglichkeiten der modernen Rechtsmedizin.

Der Blick über den "juristischen Tellerrand" hinaus in diese Richtung zu werfen, ist lohnenswert und kann allen Jurastudenten oder jungen Juristen, die nicht nur eng juristisch-theoretisch lernen wollen, sondern mit Praxisbezug interessiert studieren wollen, empfohlen werden. Wünschenswert wäre es, wenn sich möglichst viele Universitäten ein Beispiel an der "Hamburger Lösung" nehmen würden.

Informationen: http://www.rechtsmed-hh.de

Impressum | Datenschutz