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"Die Übernahme von 'Internet-Start-Ups' nach der Neuregelung des § 613a BGB" von RA und FA für Steuerrecht Dr. Jörg Andres/RRef. Angela Vetter
Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht Dr. Joerg Andres / Rechtsreferendarin Angela Vetter, Düsseldorf

I. Einleitung

In der jüngeren Vergangenheit hat es mehrfach Übernahmen notleidend gewordener sogenannter "Internet-Start-Ups" gegeben. Dabei hat die Neufassung des § 613a BGB die Diskussion auf zahlreiche Probleme im Hinblick auf die Unterrichtung der zu übernehmenden Mitarbeiter einschließlich der damit verbundenen Risiken bei der Übernahme – auch nur von Teilen – eines Unternehmens gelenkt.

Zum 1. April 2002 ist § 613a BGB um die Absätze 5 und 6 ergänzt worden. Dies ist im Hinblick auf die Umsetzung der Richtlinie des Rates 2001/23/EG (europäische Betriebsübergangsrichtlinie) geschehen. Inhalt dieser Neufassung ist zum einen die in Absatz 5 verankerte Verpflichtung des alten und des neuen Arbeitgebers, die von der Betriebsübernahme betroffenen Arbeitnehmer über die Folgen des Betriebsübergangs zu informieren. Des weiteren enthält Absatz 6 ein Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses, welches von der Rechtsprechung seit Jahrzehnten zugesprochen und nun erstmals gesetzlich fixiert wurde.

§ 613a Absätze 5 und 6 BGB lauten nun (angefügt durch Gesetz vom 23.3.2002 – BGBl. I S. 1163):

(5) Der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber hat die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform zu unterrichten über:
1. den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,
2. den Grund für den Übergang,
3. die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und
4. die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.

(6) Der Arbeitnehmer kann dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung nach Absatz 5 schriftlich widersprechen. Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden.

II. Risiken der Neuregelung

Fraglich ist zunächst in welcher Form und mit welchem Inhalt die Informationen im Falle von Betriebsübernahmen an die zu übernehmenden Arbeitnehmer ausgestaltet sein müssen. Die Neuregelung wirft Fragen nach formaler und inhaltlicher Ausgestaltung der Informationen an zu übernehmende Arbeitnehmer im Falle von Betriebsübernahmen auf. Probleme stellen sich bei unterlassener, unvollständiger oder nicht rechtzeitiger Information. Vorbeugende Maßnahmen sind jedoch möglich. Im Hinblick auf jüngste Entwicklungen ist zu klären, ob die zusätzlichen Informationspflichten nach§ 613a BGB auch dann greifen, wenn nur Teile eines Unternehmens übernommen werden.

1. Äußere Form und inhaltliche Ausgestaltung von Informationsschreiben

Zunächst ist bei einer Information nach § 613a Abs. 5 BGB die Textform gemäß § 126b BGB einzuhalten. Danach muss es sich um eine in Schriftzeichen lesbare Erklärung handeln (Bsp.: Anschreiben, Fax, e-mail, etc.), die nicht unterschrieben sein, jedoch die Person des Erklärenden unbedingt erkennen lassen muss und damit zwingend abzuschließen ist (Bsp.: Vorstand, Geschäftsführer, Personalchef, Unternehmensveräußerer).

Die Unterrichtung der Arbeitnehmer hat außerdem zeitlich vor Betriebsübergang zu erfolgen. Inhaltlich muss die Information zunächst den (geplanten) Zeitpunkt des Betriebsübergangs enthalten (§ 613a Abs.5 Nr.1 BGB).

Des weiteren ist der Grund für den Betriebsübergang zu nennen. Dazu ist ausreichend, das zugrunde liegende Rechtsgeschäft allgemein zu bezeichnen (Bsp.: Unternehmenskauf) oder das diesem Rechtsgeschäft zugrunde liegende Motiv (Bsp.: Verringerung der Kosten), denn Sinn und Zweck der EG-Richtlinie ist, den Arbeitnehmer vor wesentlichen Nachteilen zu schützen, ohne den Unternehmer zur Offenlegung vertraulicher Informationen zu zwingen (§ 613a Abs.5 Nr.2 BGB).

Schließlich muss auf die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer hingewiesen werden (§ 613a Abs.5 Nr.3 BGB). In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass sich diese Folgen aus den weiterhin geltenden Abs.1 bis 4 ergeben, also Informationen zu dem Inhalt des Arbeitsverhältnisses, der Haftungsverteilung zwischen Veräußerer und Erwerber, sowie dem Kündigungsschutz gegeben werden müssen (BT-Drs. 14/7760 Seite 20).

Hierbei ist auf folgendes zu achten: Inhalt des Arbeitsverhältnisses: Zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses zählen sowohl individual- als auch kollektivrechtliche Auswirkungen. Dabei sollte darauf hingewiesen werden, dass die individualrechtlichen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag sowie ggf. betrieblicher Übung unverändert fortgelten (Bauer/v. Steinau-Steinrück, ZIP 2002, 457, 462). Bei Tarifbindung oder allgemeinverbindlichen Tarifverträgen ist darauf hinzuweisen, dass bisherige Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen unverändert fortgelten; unterliegt der Erwerber keiner Tarifbindung, muss erklärt werden, dass Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen transformiert werden und wie individualrechtliche Rechte und Pflichten fortgelten; schließlich ist ggf. auf bestehende Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen des Erwerbers hinzuweisen.
Jedenfalls dürfte es objektiv unmöglich sein, jeden einzelnen Arbeitnehmer auf die individuell bei ihm eintretenden Folgen schon im Vorhinein hinzuweisen. Daher genügt es, die Folgen kollektiv für Arbeitnehmergruppen (Bsp.: leitende Angestellte) darzustellen (Willemsen/Lembke, NJW 2002, 1159, 1163).

Haftungsverteilung: Im Hinblick auf die Haftungsverteilung ist darauf hinzuweisen, dass der Erwerber unbeschränkt für alle - auch rückständige - Ansprüche aus dem übergehenden Arbeitsverhältnis haftet (Bauer/v. Steinau-Steinrück, aaO.); außerdem haftet auch der Veräußerer für Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf eines Jahres ab diesem (Übergangs-)Zeitpunkt fällig werden. Für Verpflichtungen, die nach Übergang des Betriebs fällig werden, haftet der bisherige Arbeitgeber nur in dem Umfang, der dem abgelaufenen Teil des Bemessungszeitraums bis zum Übergangszeitpunkt verhältnismäßig entspricht (§ 613a Abs.2 BGB).

Kündigungsschutz: Des weiteren ist darüber zu informieren, dass Kündigungen wegen Betriebsübergangs unwirksam sind, Kündigungen aus anderem Grund davon jedoch unberührt bleiben (§ 613a Abs.4 BGB).

Schließlich sind die geplanten Weiterbildungs- und Umstrukturierungsmaß-nahmen zu nennen, welche die berufliche Entwicklung der Arbeitnehmer betreffen (falls vorhanden).

Bei der Informationspflicht nach Abs.5 handelt es sich um eine gesamtschuldnerische Obliegenheit, die sowohl dem Veräußerer als auch dem Erwerber auferlegt ist, deren einmalige Erfüllung jedoch auch Befreiung für beide bewirkt. Im Hinblick auf die Erfüllung der Informationspflicht ist es ratsam, bereits im Übernahme- oder Unternehmenskaufvertrag zu vereinbaren, wer die Information der Arbeitnehmer übernimmt, um nachträgliche Unstimmigkeiten oder voneinander abweichende Informationen zu vermeiden.

2. Folgen unvollständiger Information

Nach dem Wortlaut des § 613a BGB und der Gesetzesbegründung ist zum jetzigen Zeitpunkt davon auszugehen, dass die Widerspruchsfrist im Falle unvollständiger Information nicht in Gang gesetzt wird. Dies hätte jedoch zur Folge, dass ein Arbeitnehmer u.U. noch nach Jahren dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen könnte, was erhebliche Nachteile hinsichtlich der Rückabwicklung und der Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens mit sich bringen würde.
Daher wird in der Literatur zunehmend davon ausgegangen, dass das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers in Anlehnung an § 5 Abs.3 S.2 KSchG nach sechs (a.A. drei: Bauer/v. Steinau-Steinrück, ZIP 2002, 457, 464; sieben: Worzalla, NZA 2002, 353, 357) Monaten erlischt, da der Arbeitnehmer bis zu diesem Zeitpunkt ausreichend Möglichkeit hatte, sich über die Folgen des Übergangs zu informieren und bei dem Arbeitgeber das Vertrauen auf die Zustimmung zum Übergang erweckt hat (vgl. Gaul/Otto, DB 2002, 634, 637).
Teilweise wird in diesem Zusammenhang von "Verwirkung des Widerspruchsrechts" gesprochen, die bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung vom Bundesarbeitsgericht anerkannt wurde. Aktuelle Rechtsprechung hierzu liegt jedoch noch nicht vor.

Zur Vermeidung eines zeitlich unbegrenzten Widerspruchsrechts wird vorgeschlagen, dem Informationsschreiben den Hinweis beizufügen, dass der Arbeitnehmer durch Nichtausübung des Widerspruchsrechts innerhalb eines Monats seit Zugang seine Zustimmung zum Übergang des Arbeitsverhältnisses erklärt. Es wird auch angedacht, hinsichtlich der Arbeitnehmer, deren Übernahme entscheidend für ihn ist, den Ausschluss des Widerspruchsrechts individuell zu vereinbaren. Inwiefern dies zulässig ist, bleibt abzuwarten.
Dem Informationsschreiben sollte jedenfalls ein Empfangsbekenntnis hinzugefügt werden (gesonderte Unterschrift gem. § 309 Nr.12 b) BGB n.F.), da der Arbeitgeber damit signalisiert, dass er seine Information für vollständig hält, ein etwa zu erbringender Beweis hinsichtlich der Rechtzeitigkeit der Unterrichtung unproblematisch ist und der Erwerber mit Sicherheit feststellen kann, welche Arbeitnehmer ihm im Zeitpunkt des Übergangs zur Verfügung stehen. Aus diesem Grunde ist ohnehin ratsam, die Information mindestens einen Monat vor Übergang vorzunehmen.

3. Übernahme nur von Teilen eines Unternehmens

Große Unternehmen erkennen zunehmend die Vorteile der Übernahme nur von Teilen eines Unternehmens. Dabei können bestimmte Fachkräfte, ganze Abteilungen oder ausgegliederte Unternehmensteile übernommen werden.

§ 613a BGB gilt grundsätzlich auch für den Übergang nur eines Teils des Betriebs. Betriebsteil ist dabei ein Anteil von Betriebsmitteln mit bestehendem Zusammenhang. Nach Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs liegt ein solcher Zusammenhang vor, soweit es sich um eine wirtschaftliche Einheit handelt (NJW 1999, 1697). Es genügt nicht, dass eine bloße Betriebsfunktion oder eine einzelne Dienstleistung übergeht (Palandt-Putzo, 62. Aufl. 2003, § 613a, Rn.10). In bestimmten Branchen (d.h. solche, ohne relevante materielle oder immaterielle Betriebsmittel) kann die Wahrung der Identität einer Einheit über ihren Übergang hinaus nicht von der Übertragung von Betriebsmitteln abhängen. In solchen Fällen kommt es dann nicht darauf an, dass auch Betriebsmittel mit übergehen. Vielmehr reicht für einen Betriebsübergang aus, dass es bei den zu übernehmenden Mitarbeitern auf deren menschliche Arbeitskraft und Sachkunde ankommt (EuGH, NZA 2002, 265, 267). Betriebsteile sind dabei selbständige, abtrennbare organisatorische Einheiten, die innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks einen Teilzweck erfüllen (BAG, Urteil vom 08.08.2002, 8 AZR 583/01). Es kann sich auch um eine nur untergeordnete Hilfsfunktion der organisatorischen Einheit handeln (BAG aaO). Allerdings muss die Abteilung bereits bei dem Veräußerer die Qualität eines Betriebsteils gehabt haben (BAG aaO). Der Übergang ganzer Abteilungen kann also unter bestimmten Voraussetzungen als Betriebsteil angesehen werden und dadurch die Anwendbarkeit von § 613a BGB auslösen. Im Einzelfall ist daher ratsam, vorsorglich ein Informationsschreiben für die betroffenen Arbeitnehmer zu verfassen und an diese zu versenden.

III. Chancen

Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der Textform gem. § 126b BGB auch tendenziell fortschrittlich gehandelt, da die Information nach § 613a Abs.5 BGB nun neben konventionellen Methoden auch beispielsweise per email erfolgen kann. Dies macht die Erfüllung der Informationspflicht gerade in großen Unternehmen einfacher und verringert den Verwaltungsaufwand erheblich.
Das Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer ist nun kodifiziert und bietet ihnen somit einen effektiven Schutz vor willkürlichen Übernahmen oder Kündigungen. Insbesondere erhält der einzelne zu übernehmende Arbeitnehmer durch die Informationspflicht des Arbeitgebers eine hinreichende Unterrichtung über das zukünftige Arbeitsverhältnis, so dass es ihm möglich ist, über seinen weiteren Berufsweg tendenziell eher zu entscheiden und individuelle Risiken und Chancen in einem höheren Maße als bisher abzuwägen.

IV. Fazit und Ausblick

Die Neuregelung des § 613a BGB bringt eine Erhöhung der Anforderungen an die Informationspflichten der Arbeitgeberseite mit sich. Im einzelnen sind nunmehr der geplante Zeitpunkt des Übergangs, der Grund des Übergangs, die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs sowie die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen mitzuteilen.

Zur Vermeidung der Ausübung des Widerspruchsrechts aufgrund fehler- oder lückenhafter Angaben ist vor allem anzuraten, den Empfang des Informationsschreibens gemäß § 309 Nr.12 b) BGB n.F. von den Arbeitnehmern bestätigen zu lassen, sowie bereits in der Mitteilung darauf hinzuweisen, dass bei Nichtausübung des Widerspruchsrechts die Zustimmung zum Übergang des Arbeitsverhältnisses konkludent erklärt wird.
Um nachträgliche Unstimmigkeiten auf Arbeitgeberseite zu vermeiden, sollte bereits im Unternehmenskaufvertrag festgelegt werden, ob der alte oder der neue Arbeitgeber für die Erfüllung der Informationspflicht verantwortlich ist.

Hinsichtlich eines zeitlich unbegrenzten Widerspruchsrechts bleibt die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts abzuwarten (vgl. zuletzt Urteil des Bundesarbeitsgerichts zu einer weiteren Frage des Betriebsteilübergangs vom 25.09.2002 – 4 AZR 294/01 – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln, Urt. Vom 20.02.2001 – 13 (2) Sa 1284/00 –).

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