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"Auswirkungen neuester gerichtlicher Entscheidungen zum ärztlichen Bereitschaftsdienst" von RA Dr. Jens Steinigen
RA Dr. Jens Steinigen

Auswirkungen neuester gerichtlicher
Entscheidungen zum ärztlichen Bereitschaftsdienst

von Rechtsanwalt
Dr. Jens Steinigen
c/o RAe. Lenze & Koll.
Ludwigstr. 22
83278 Traunstein


1. Vorbemerkungen:


Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Grundsatzurteil vom 03.10.00 (RS C-303/98) unter Berücksichtigung der Auslegung geltender spanischer Rechtsvorschriften und der Richtlinie 93/104/EG zur Frage Stellung genommen, inwieweit der ärztliche Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit anzusehen ist. Dabei hat der EuGH den Grundsatz aufgestellt, dass Bereitschaftsdienst in Form persönlicher Anwesenheit in der Gesundheitseinrichtung insgesamt als Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie 93/104/EG anzusehen ist. Die Entscheidung des EuGH erging auf einen Vorlagebeschluss des Tribunal Superior de Justicia de la Comunidad Valenciana vom 10.07.98 in einem Rechtsstreit zwischen der Gewerkschaft der Ärzte im öffentlichen Gesundheitswesen der Region Valencia und dem Ministerium für Gesundheit und Verbraucherschutz der Regionalregierung von Valencia. Gegenstand dieser Entscheidung war also die Auslegung nationalen spanischen Rechts unter dem Gesichtspunkt der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23.11.93 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung.

Die Standpunkte in Deutschland waren nach dieser Entscheidung schnell gebildet. Während die Deutsche Krankenhausgesellschaft aufgrund einer vorgelegten Rechtsexpertise die Auffassung vertrat, dass das Urteil des EuGH keine unmittelbaren Auswirkungen auf die deutschen Klinikarbeitgeber habe, ging die Klinikärztegewerkschaft Marburger Bund prinzipiell davon aus, dass das Urteil des EuGH lupenrein auch auf die deutschen Klinikverhältnisse zu übertragen sei. Nach ersten Schätzungen und Hochrechnungen würde eine flächendeckende Umsetzung des EuGH-Urteils insbesondere durch personalorganisatorische und strukturelle Änderungen zu Mehrkosten im Gesundheitswesen von mindestens 1 Mrd. DM, im Extremfall von mehr als 2 Mrd. DM führen.

Das Arbeitsgericht Gotha (Beschluss vom 03.04.01, Az. 3 BV 1/01) wendete als erstes deutsches Gericht den vom EuGH aufgestellten Grundsatz auf deutsche Verhältnisse an und stellte fest, dass der Bereitschaftsdienst in Form persönlicher Anwesenheit als Arbeitszeit zu werten ist. Die Richter beurteilten, ob der Rahmendienstplan Rettungsdienst beim DRK - Kreisverband I hinsichtlich der vereinbarten durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 49 Stunden gegen die EG-Richtlinie 93/104/EG vom 23.11.93 verstößt. Schließlich hat das Arbeitsgericht Kiel in seinem Urteil vom 08.11.2001 festgestellt, dass § 2 ArbZG richtlinienkonform dahingehend auszulegen sei, dass Bereitschaftsdienstzeiten Arbeitszeit sind.

Trotz dieser scheinbar eindeutigen Entscheidungen dürfte die Rechtslage in Deutschland weiterhin offen sein.

2. Begriffsbestimmungen

Die arbeitsrechtliche Praxis in Deutschland unterschied bisher zwischen Vollarbeit, Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft.

a. Arbeitszeit

Die Definition des Begriffes Arbeitszeit ergibt sich für Deutschland aus § 2 Abs. 1 ArbZG, wonach Arbeitszeit die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen ist. Lediglich im Bergbau unter Tage zählen die Ruhepausen zur Arbeitszeit (§ 2 Abs. 1 Satz 2 ArbZG).

Artikel 2 Nr. 1 der Richtlinie 93/104/EG definiert den Begriff der Arbeitszeit als

"jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gem. den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt;"

und als Ruhezeit

"jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit;"

b. Arbeitsbereitschaft

Die ständige Rechtsprechung des BAG versteht unter dem Begriff der Arbeitsbereitschaft "Zeiten wacher Achtsamkeit im Zustand der Entspannung" (vgl. BAG E 18, 273/276; BAG E 51, 131/137 f.; BAG NZA 1996, 1164 f.). Das BAG stellte dabei klar, dass schon die Arbeitsbereitschaft dem Arbeitnehmer eine Entspannung ermöglicht und ihn deshalb weniger als Vollarbeit belastet (BAG NZA 1996, 1164 f).

Demgemäß war das BAG in vorstehender Entscheidung davon ausgegangen, dass die Wartezeiten von Rettungssanitätern zwischen ihren Einsätzen auch dann als Arbeitsbereitschaft (und damit nicht als Arbeitszeit; Anm. des Verf.) zu werten sind, wenn dabei keine völlige Entspannung eintritt, weil mit einer jederzeitigen Arbeitsaufnahme gerechnet werden muss. Lediglich "Splitterzeiten" von wenigen Minuten sollen nach dieser Rechtsprechung die Vollarbeit nicht unterbrechen (BAGE 51, 131/138 f; BAG AP Nr. 24 zu § 15 BAT; BAG NZA 1996, 164 f.).

c. Bereitschaftsdienst

Bereitschaftsdienst wird nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts versehen, wenn sich der Arbeitnehmer für Zwecke des Betriebes an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebs aufhalten muss, um seine volle Arbeitstätigkeit aufnehmen zu können, wenn das erforderlich wird (vgl. etwa BAG, Urteil vom 30.01.96, Az. 3 AZR 1030/94, AP Nr. 5 zu § 1 TVG "Tarifverträge: DRK"; vgl. auch Richardi, BetriebsVG, 7. Auflage, § 37 BetrVG Rand-Nr. 337 mit weiteren Nachweisen).

In vorstehender Entscheidung hatte das BAG klargestellt, dass die Anforderungen des Bereitschaftsdienstes noch geringer als die einer Arbeitsbereitschaft seien, so dass der Bereitschaftsdienst als solcher zur Ruhezeit zähle. Bereitschaftsdienst sei lediglich eine Aufenthaltsbeschränkung verbunden mit der Verpflichtung, bei Bedarf unverzüglich tätig zu werden. Eine wache Aufmerksamkeit wie bei der Arbeitsbereitschaft werde nicht verlangt. Der Arbeitnehmer könne ruhen oder sich sonst wie beschäftigen und muss nicht von sich aus tätig werden, sondern nur auf Anweisung des Arbeitgebers.

d. Rufbereitschaft

Das BAG betrachtet die Rufbereitschaft in ständiger Rechtsprechung als sog. Hintergrunddienst. Dieser verpflichtet den Arbeitnehmer ebenfalls, auf Abruf die Arbeit aufzunehmen. Gegenüber dem Bereitschaftsdienst kann er sich hierfür jedoch an einem Ort seiner Wahl aufhalten, der dem Arbeitgeber anzuzeigen ist oder von dem aus er über "Piepser" oder "Handy" jederzeit erreichbar ist (BAG, Urteil vom 24.10.00, Az. 9 AZR 634/99, AP 00 Nr. 00; BAG AP BMT-G II, § 67 Nr. 1 und BAG, Urteil vom 29.06.00, Az. 6 AZR 900/98 = NZA 2001, 165 ff).

Ausgehend von diesen Begriffsdefinitionen sollen im Anschluss die Auswirkungen der neueren Rechtsprechung auf den klinikärztlichen Bereitschaftsdienst beleuchtet werden.

3. Rechtsprechung des EuGH

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 03.10.00 (RSC 303/98 = NZA 2000, 1227/1229) über die Auslegung nationalen spanischen Rechts unter dem Gesichtspunkt der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23.11.93 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung entschieden. Dabei hatte das Gericht festgestellt, dass ärztlicher Bereitschaftsdienst in Form persönlicher Anwesenheit in der Gesundheitseinrichtung als Arbeitszeit im Sinne vorstehender Richtlinie anzusehen sei.

So klar der Wortlaut der vom EuGH getroffenen Feststellung auch sein mag, weist die Entscheidung jedoch einige Besonderheiten auf, die nachfolgend kurz dargestellt werden sollen:

a. Zunächst ist festzustellen, dass sich die vom Gericht entschiedenen Fragen in einem Rechtsstreit zwischen der Gewerkschaft der Ärzte im öffentlichen Gesundheitswesen der Region Valencia und dem Ministerium für Gesundheit und Verbraucherschutz der Regionalregierung von Valencia stellten, also in einem Rechtsstreit zwischen Gewerkschaft und Staat. b. Dabei ließ sich der EuGH offensichtlich auch von den vom vorlegenden Gericht mitgeteilten Besonderheiten des Bereitschaftsdienstes, den die Ärzte der Teams zur medizinischen Grundversorgung in Form persönlicher Anwesenheit in der Gesundheitseinrichtung der Region Valencia zu leisten haben, leiten.

Nach diesen Besonderheiten ist der dem EuGH-Urteil zugrundeliegende Sachverhalt prinzipiell nicht mit dem klinikärztlichen Bereitschaftsdienst in Deutschland zu vergleichen.

Der Dienst der in der Region Valencia tätigen Ärzte erfolge ohne zeitliche Begrenzung, d.h. ohne jede Beschränkung der täglichen, wöchentlichen, monatlichen oder jährlichen Arbeitszeit. Dabei schließt sich an den gewöhnlichen Arbeitstag der Bereitschaftsdienst an und an diesen der folgende gewöhnliche Arbeitstag, in dem vom Ministerium für Gesundheit und Verbraucherschutz der Region Valencia gewünschten Rhythmus entsprechend einseitig festgelegter Erfordernisse. Die Ärzte leisteten demnach je nach Wochen- oder Monatsplan eine ununterbrochene Arbeitszeit von 31 Stunden - ohne nächtliche Ruhezeit - manchmal sogar jeden zweiten Tag, wobei sie für ihre Verpflegung selbst zu sorgen haben und zu Nachtzeiten, wenn keine öffentlichen Verkehrsmittel verfügbar sind, nach eigenem Ermessen allein und ohne jegliche Sicherheit Hausbesuche machen müssen (EuGH, Urteil vom 03.10.00, RSC 303/98 = NZA 2000, 1227/1229).

c. Weiterhin stellte das vorlegende Gericht fest, dass die Richtlinie 93/104/EG nicht ordnungsgemäß in innerstaatliches spanisches Recht umgesetzt worden ist (EuGH a.a.O.).

Angesichts der vorstehend zitierten Besonderheiten erscheint es deshalb problematisch, die Entscheidung des EuGH auf den ärztlichen Bereitschaftsdienst in deutschen Kliniken zu übernehmen, wie dies nach der Entscheidung des Arbeitsgerichts Gotha (Beschluss vom 03.04.01, Az. 3 BV 1/01) nun insbesondere von Seiten der Gewerkschaften vertreten wird.

4. Entscheidung des Arbeitsgerichts Gotha vom 03.04.01 (Az. 3 BV 1/01)

Vor dem Arbeitsgericht Gotha wurde im Rahmen eines Beschlussverfahrens darüber verhandelt, ob der Rahmendienstplan Rettungsdienst beim DRK Kreisverband I hinsichtlich der vereinbarten durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit gegen die Richtlinie 93/104 des Rates der Europäischen Union vom 23.11.93 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung verstößt. Anlass des Verfahrens war die Entscheidung des EuGH vom 03.10.00 (RS C-303/98) zur Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie auf Ärzteteams im Zusammenhang mit Bereitschaftsdienst und Schichtarbeit.

Nach der Entscheidung des Arbeitsgerichts Gotha ist eine Betriebsvereinbarung, wonach die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit (inklusive Bereitschaftsdienst) 49 Stunden beträgt, unwirksam. Das Arbeitsgericht Gotha stellte fest, dass die maßgebliche Arbeitszeit im Sinne der arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften der Arbeitszeitrichtlinien die gesamte Zeitspanne ist, während der der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Arbeitszeit sei demnach auch Bereitschaftsdienst in Form persönlicher Anwesenheit. Davon zu unterscheiden sei der Begriff der Ruhezeit. Zeiten der Rufbereitschaft, in denen die Arbeitnehmer frei über ihre Zeit verfügen und eigenen Interessen nachgehen können, gelten als Ruhezeit.

In seinen Gründen führt das Arbeitsgericht Gotha u.a. aus, dass das Arbeitszeitgesetz vom 06.06.94 keine Regelung zur Wochenarbeitszeit enthalte. In Ermangelung einer gesetzlichen Regelung sei bezüglich der Feststellung der durchschnittlichen wöchentlichen Höchstarbeitszeit die Richtlinie 93/104/EG heranzuziehen.

In Artikel 6 der Richtlinie heißt es:

"Wöchentliche Höchstarbeitszeit.

Die Mitgliedsstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit nach Maßgabe der Erfordernisse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer:

1. die wöchentliche Arbeitszeit durch innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder in Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern festgelegt wird;

und

2. die durchschnittliche Arbeitszeit pro 7-Tages-Zeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreitet."

Im Hinblick auf das Arbeitszeitgesetz führt das Gericht weiter aus, dass in der Bundesrepublik Deutschland die zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen gesetzlichen Regelungen zumindest hinsichtlich der Festsetzung der durchschnittlichen wöchentlichen Höchstarbeitszeit unvollständig seien, da eine Regelung, wie sie Artikel 6 der Richtlinie fordert, nicht getroffen wurde. Das Gericht ging von einer unvollständigen Umsetzung der Richtlinie in nationales deutsches Recht aus. Die unmittelbare Wirkung von EG-Richtlinien im Verhältnis zwischen dem Betriebsrat und dem DAK Kreisverband leitete das Gericht aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs her. Nach dieser Rechtsprechung können sich die einzelnen EG-Bürger in Fällen, in denen Vergünstigungen inhaltlich unbedingt und hinreichend genau bestimmt sind, gegenüber dem Staat auf diese Bestimmung berufen, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in innerstaatliches Recht umgesetzt hat (unmittelbare vertikale Direktwirkung).

Die vorstehend zitierten Ausführungen des Arbeitsgerichts Gotha fordern zu mehreren Widersprüchen heraus:

a. Unvollständige Umsetzung der Richtlinie 93/104/EG durch die Bundesrepublik Deutschland

Artikel 6 der Richtlinie 93/104/EG schreibt den Mitgliedsstaaten vor, dass sie die erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, damit (nach Maßgabe der Erfordernisse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer) die wöchentliche Arbeitszeit durch innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder durch Tarifverträge oder durch Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern festgelegt wird und

"die durchschnittliche Arbeitszeit pro 7-Tages-Zeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreitet."

Der in der Richtlinie genannte "7-Tages-Zeitraum" ist zunächst vom Begriff der wöchentlichen Arbeitszeit zu unterscheiden. Hier fordert die Richtlinie, dass die durchschnittliche Arbeitszeit pro 7-Tages-Zeitraum 48 Stunden nicht überschreitet. Die Richtlinie legt also zunächst nicht - wie das Arbeitsgericht Gotha angenommen hat - die wöchentliche Arbeitszeit auf 48 Stunden fest, sondern geht hier von einem 7-Tages-Zeitraum aus, der naturgemäß auch über zwei Wochen verteilt sein kann. Weiterhin fordert die Richtlinie auch nicht, dass die Arbeitszeit von 48 Stunden genau in jedem 7-Tages-Zeitraum eingehalten wird, sondern lediglich, dass die "durchschnittliche Arbeitszeit pro 7-Tages-Zeitraum 48 Stunden" beträgt.

Genau dieser Vorgabe wird jedoch § 3 ArbZG gerecht. In § 3 Satz 1 der Vorschrift ist festgelegt, dass die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer 8 Stunden nicht überschreiten darf. Legt man der Auslegung des Wortlauts den allgemein und vom Gesetzgeber in anderen Gesetzen verwendeten Begriff des "Werktages" zugrunde, so gelten als Werktage alle Kalendertage, die nicht Sonn- oder gesetzliche Feiertage sind (vgl. z.B. § 3 Abs. 2 BUrlG).

Damit ergibt sich aus § 3 ArbZG, dass auch in Deutschland die Arbeitszeit im 7-Tage-Zeitraum nur 48 Stunden betragen darf. Spätestens nach 6 Arbeitstagen (z.B. Montag - Samstag) zu je 8 Stunden folgt ein arbeitsfreier Tag, so dass innerhalb von 7 Tagen maximal eine Arbeitszeit von 48 Stunden erreicht werden kann. Das Arbeitszeitgesetz entspricht damit den Vorgaben der Richtlinie.

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der deutsche Gesetzgeber in § 3 Satz 2 ArbZG eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit auf bis zu 10 Stunden zulässt. Derartige Verlängerungen sind nämlich gem. § 3 Abs. 2, 2. Halbsatz ArbZG so auszugleichen, dass innerhalb von 6 Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt 8 Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Auch Artikel 6 der Richtlinie 93/104/EG verweist in Ziff. 2 auf die durchschnittliche Arbeitszeit.

Es ist daher festzustellen, dass Artikel 6 der Richtlinie 93/104/EG hinsichtlich der dort festgelegten durchschnittlichen Arbeitszeit vom deutschen Gesetzgeber in § 3 des ArbZG vollständig umgesetzt wurde.

b. Ein weiterer Widerspruch liegt darin, dass das Arbeitsgericht Gotha - wegen der von ihm angenommenen unvollständigen Umsetzung der Richtlinie - Artikel 6 der Richtlinie im Verhältnis zwischen DRK Kreisverband I e.V. und Betriebsrat unmittelbar angewendet hatte.

Dazu ist festzustellen, dass einzelne Richtlinien-Vorschriften nur ausnahmsweise unmittelbare Wirkung haben können. Der EuGH hat dies in ständiger Rechtsprechung für den Fall anerkannt, dass die Umsetzungsfrist verstrichen ist, die Richtlinie einzelnen Rechte gewährt und die Vorschriften der Richtlinie "inhaltlich unbedingt" sowie "hinreichend genau" sind, so dass sie ohne Konkretisierung durch eine Umsetzungsmaßnahme anwendbar sind (EuGH, RS.41/74, van Duyn/Home Office; RS 221/88, EGKS/Busseni; vgl. auch BVerfGE 75, 240).

Mit dieser Rechtsprechung will der EuGH im Prinzip verhindern, dass "der Staat aus seiner Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts Nutzen zieht" (EuGH C 188/89, Foster/British Gas).

Daraus folgt jedoch, dass Richtlinienvorschriften nur insoweit unmittelbare Wirkung haben, als sich ein Betroffener gegenüber einem Mitgliedstaat zu seinen Gunsten darauf beruft. Dagegen kann sich ein Einzelner nicht zu Lasten Dritter auf Richtlinienbestimmungen stützen, weil diese nur für die Mitgliedsstaaten verbindlich sind (EuGH RS 152/84, Marshall/Southampton Health Authority; C-91/92, Faccini Dori/Recreb). Ein Betroffener kann sich auf die unmittelbare Wirkung einer Richtlinie jedenfalls dann nicht berufen, wenn damit gleichzeitig ein Dritter belastet würde (h.M.; a.A. Grabitz in Grabitz/Hilf, Artikel 89, Rand-Nr. 61 a).

Eine Berufung auf die Richtlinie im Verhältnis von Privatpersonen untereinander ist also nicht möglich. Dies hat das Arbeitsgericht Gotha offensichtlich verkannt, in dem es Artikel 6 der Richtlinie als für DRK Kreisverband I e.V. und Betriebsrat verbindlich ansah. Der Sachverhalt des vom EuGH entschiedenen Falls lag insoweit anders, als mit dem Ministerium für Gesundheit und Verbraucherschutz der Regionalregierung Valencia ein gegen den Staat gerichteter Anspruch streitgegenständlich war.

c. Festzuhalten bleibt jedoch folgendes:

Das Arbeitsgericht Gotha hat in Anlehnung an die Entscheidung des EuGH vom 03.10.00 auch Bereitschaftsdienste als Zeiten der Arbeitszeit angesehen, die in Form der persönlichen Anwesenheit in der Einrichtung zu leisten sind. Ausgehend von dieser Feststellung führt die Festlegung einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 49 Stunden in einer Betriebsvereinbarung natürlich zu einem Verstoß gegen arbeitszeitrechtliche Vorschriften, namentlich gegen § 3 ArbZG. Soweit nämlich in der Betriebsvereinbarung nicht klargestellt ist, dass die Arbeitszeit innerhalb von 6 Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt 8 Stunden werktäglich nicht überschreiten darf, verstößt sie gegen § 3 ArbZG, da sie eine durchschnittliche werktägliche Höchstarbeitszeit von mindestens 8,17 Stunden in diesem Zeitraum ermöglicht.

Damit wäre das vom ArbG Gotha gefundene Ergebnis haltbar, betrachtet man Bereitschaftsdienste in Form persönlicher Anwesenheit als Arbeitszeit iSd. ArbZG.

Es stellt sich jedoch die Frage, ob Bereitschaftsdienst, der in Form persönlicher Anwesenheit in der Gesundheitseinrichtung zu leisten ist, tatsächlich Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes ist.

5. Urteil des ArbG Kiel vom 08.11.2001 (Az. 1 Ca 2113 d/01)

Das ArbG Kiel geht davon aus, dass der Arbeitszeitbegriff des Art. 2 Ziff. 1 der Richtlinie 93/104 auch Bereitschaftsdienstzeiten beinhaltet. Der EuGH habe dies für Bereitschaftsdienstzeiten in Spanien festgestellt und dabei insbesondere auf das zweckbestimmte Aufhalten am Arbeitsplatz sowie die Verfügbarkeit abgestellt. Der Sinn und Zweck der Richtlinie wären gefährdet, wenn Bereitschaftsdienste in Form persönlicher Anwesenheitszeiten nicht unter den Begriff Arbeitszeit fielen. Einen entscheidenden Unterschied zwischen der spanischen Situation und der deutschen vermochte das Gericht nicht zuerkennen und führte aus: In beiden Fällen seien Ärzte neben der regelmäßigen Arbeitszeit zu weiteren Diensten mit der Auflage der persönlichen Anwesenheit und unverzüglicher Einsatzbereitschaft herangezogen worden. Die Behauptung, dass die spanischen Ärzten während der Bereitschaftsdienste zu 100 % tätig werden müssten, finde in der EuGH-Entscheidung keine Stütze, im Gegenteil, der EuGH berücksichtige ausdrücklich die Variabilität der tatsächlichen Inanspruchnahme.

Der Umstand, dass Spanien keine ausdrückliche Umsetzung der Richtlinie aufweise, spiele ebenfalls keine Rolle; abgesehen davon, dass auch das deutsche Arbeitszeitgesetz nicht ausdrücklich als Richtlinienumsetzung definiert sei, sei jedes Recht an der Richtlinie zu messen.

Ausgehend davon kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass sich aus der Auslegung des Arbeitszeitbegriffs in Art. 2 Ziff. 1 der Richtlinie 93/104 ergebe, dass § 2 ArbZG grundsätzlich ebenfalls, nämlich richtlinienkonform, dahingehend auszulegen sei, dass Bereitschaftsdienstzeiten Arbeitszeit sind.

6. Auffassung des Gesetzgebers

Der Gesetzgeber sieht Bereitschaftsdienst nicht als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes an. Dieses Ergebnis ist bei systematischer Auslegung gedeckt durch die Erwähnung der Bereitschaftsdienste in § 5 Abs. 3 und § 7 Abs. 2 ArbZG. Danach können Kürzungen in Ruhezeiten durch Inanspruchnahme während des Bereitschaftsdienstes ausgeglichen werden. Daraus folgt, dass Bereitschaftsdienste zur Ruhezeit zählen, aber nicht die Zeiten der tatsächlichen Inanspruchnahme. Weiter hat die Bundesregierung in der Gesetzesbegründung (Seite 25 der Bundestagsdrucksache 12/5888) darauf hingewiesen, dass Arbeitsleistungen im Anschluss an Bereitschaftsdienste erbracht werden können, was nur möglich ist, wenn Bereitschaftsdienste aus der Sicht des Gesetzgebers grundsätzlich als Ruhezeit und nicht als Arbeit verstanden werden. § 5 Abs. 3 ArbZG enthält daher z.B. folgende Formulierung:

"Abweichend von Absatz 1 können in Krankenhäusern und anderen Einrichtung zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen, Kürzungen der Ruhezeit durch Inanspruchnahmen während des Bereitschaftsdienstes oder der Rufbereitschaft, die nicht mehr als die Hälfte der Ruhezeit betragen, zu anderen Zeiten ausgeglichen werden."

Der Gesetzgeber definiert den Begriff des Bereitschaftsdienstes - unabhängig vom Aufenthaltsort des Arbeitnehmers - damit klar als Ruhezeit, unterscheidet mithin zwischen Arbeitszeit und Ruhezeit und betrachtet den Bereitschaftsdienst jedenfalls dann als Ruhezeit, wenn die Inanspruchnahme nicht mehr als die Hälfte der Zeit des Bereitschaftsdienstes beträgt.

7. Rechtsprechung des BAG

Das BAG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Bereitschaftsdienst dann vorliegt, wenn der Arbeitnehmer sich an einer vom Arbeitgeber festgelegten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebs aufzuhalten hat, um bei Bedarf seine volle Arbeitstätigkeit unverzüglich aufzunehmen (vgl. etwa BAG 29.02.00 - Az. 1 ABR 15/99; BAG 30.01.96 - Az. 3 AZR 1030/94 = AP TVG § 1 Tarifverträge). Ausgehend von dieser allgemeinen Definition beantwortet das BAG jedoch die Frage, ob Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit zu werten ist, nicht für alle arbeitsrechtlichen Teilgebiete gleich.

a. Mitbestimmungsrechtliche Betrachtungsweise

Mitbestimmungsrechtlich sieht das BAG (BAG 29.02.00 - Az. 1 APR 15/99 ) NZA 2000, 1243 - 1246) Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit an und führt aus:

"Ist der Arbeitnehmer verpflichtet, Bereitschaftsdienst zu leisten, wird er darin beschränkt, seine Freizeit zu gestalten. Er muss seinen Aufenthalt nach den Vorstellungen des Arbeitgebers ausrichten und jederzeit mit einem Einsatz rechnen. Das sich hieraus ergebende Schutzbedürfnis gebietet es, Bereitschaftsdienste mitbestimmungsrechtlich der Vollarbeit gleichzustellen."

Die während des Bereitschaftsdienstes verrichtete Arbeit ist keine besondere Unterform des Bereitschaftsdienstes, sondern Vollarbeit und als solche im Vergleich zur üblichen Arbeitszeit Über- bzw. Mehrarbeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG (BAG 29.02.00 - Az. 1 ABR 15/99 = NZA 2000, 1243-1246; für die Rufbereitschaft BAG 21.12.82 --Az. 1 APR 14/81 = BAGE 41, 200/203). Dies ist für die mitbestimmungsrechtliche Einordnung des Bereitschaftsdienstes insgesamt entscheidend.

b. Arbeitszeitrechtliche Betrachtungsweise

Zunächst ist festzustellen, dass das BAG Bereitschaftsdienst mitbestimmungsrechtlich zwar der Vollarbeit gleichstellt, dies jedoch unabhängig davon, wie Bereitschaftsdienst arbeitszeit- oder vergütungsrechtlich zu bewerten ist (BAG 29.02.00 - Az. 1 ABR 15/99 = NZA 2000, 1243 - 1246).

Weiter ist festzustellen, dass das BAG - auch nach dem Urteil des EuGH vom 03.10.00 - nicht zwischen Bereitschaftsdienst in Form persönlicher Anwesenheit und Bereitschaftsdienst in Form ständiger Erreichbarkeit unterscheidet. Bereitschaftsdienst liegt vor, wenn der Arbeitnehmer sich an einer vom Arbeitgeber festgelegten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebes aufzuhalten hat, um bei Bedarf seine volle Arbeitstätigkeit unverzüglich aufzunehmen. Bereitschaftsdienst beschränkt den Arbeitnehmer mithin in der Wahl seines Aufenthaltsortes und verpflichtet ihn zugleich, jederzeit auf Abruf tätig zu werden (BAG 24.10.00 - Az. 9 AZR 634/99; BAG 21.11.91 - Az. 6 AZR 551/89 = BAGE 69, 85). Der Arbeitnehmer ist daher zwar für einen "außerhalb seiner regelmäßigen Arbeitszeit" liegenden Zeitraum gebunden. Dabei handelt es sich aber um kein Merkmal dieser Dienste, sondern es wird lediglich ausgedrückt, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber üblicherweise arbeitsvertraglich eine bestimmte Stundenzahl in der Woche als regelmäßige Arbeitszeit festlegen und zusätzlich vereinbaren, dass der Arbeitnehmer außerdem Bereitschaften zu leisten hat. Der Arbeitnehmer erbringt mit ihnen eine andere, zusätzliche Leistung, in dem er während der Bereitschaftszeit dem Arbeitgeber auf Abruf zur Verfügung steht. Nur soweit der Arbeitnehmer zur Arbeit abgerufen wird, erbringt er dann seine volle geschuldete Arbeit (BAG 24.10.00 - Az. 9 AZR 63499).

In vorstehend zitierter Entscheidung hatte das BAG darüber zu urteilen, ob Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft Überstunden im Sinne von §§ 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG sind. Mit Blick auf die Entscheidung des EuGH hatte das BAG weiter ausgeführt:

"Für die arbeitsvertragliche Abgrenzung von Überstunden und Bereitschaften ist die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof vom 03.10.00 (RSC-303/98) ohne Bedeutung. Der EuGH hat dort einen ärztlichen Bereitschaftsdienst "in Form persönlicher Anwesenheit in der Gesundheitseinrichtung" insgesamt als Arbeitszeit im Sinne der Richtlinien 93/104/EG des Rates vom 23.11.93 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung angesehen. Die Auslegung betrifft den öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitschutz und damit die Frage, ob der deutsche Gesetzgeber die dem Gesundheitsschutz dienende Richtlinie mit dem Arbeitszeitgesetz zutreffend umgesetzt hat. Danach ist fraglich, ob die Zuordnung des Bereitschaftsdienstes zur Ruhezeit im Sinne von § 5 ArbZG den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen gerecht wird."

Das eigentliche Problem liegt also nicht, wie das Arbeitsgericht Gotha meint, in der fehlenden Festlegung der Gesamtarbeitszeit im 7-Tage-Zeitraum, sondern tatsächlich in der in § 5 Abs. 3 ArbZG zum Ausdruck kommenden Ansicht des Gesetzgebers, die Bereitschaftsdienst grundsätzlich der Ruhezeit zuordnet. Das BAG tendiert in dieser Hinsicht scheinbar ebenfalls dahin, von einer fehlerhaften Umsetzung der EG-Richtlinie 93/104/EG auszugehen. Diese Rechtsansicht lässt sich auch nachvollziehbar begründen. Artikel 2 Nr. 1 der Richtlinie 93/104/EG definiert den Begriff der Arbeitszeit als

"jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer (...), dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt."

Dem Arbeitgeber zur Verfügung steht der Arbeitnehmer jedoch grundsätzlich auch während des Bereitschaftsdienstes, da er während dieser Zeit auf Abruf jederzeit tätig werden muss.

Die möglicherweise fehlerhafte Umsetzung der EG-Richtlinie durch den deutschen Gesetzgeber zu korrigieren, ist jedoch grundsätzlich Aufgabe des Gesetzgebers und kann nur dann ausnahmsweise durch die Gerichte erfolgen, wenn Richtlinienvorschriften unmittelbare Wirkung haben, d.h. wenn sich ein Betroffener gegenüber einem Mitgliedsstaat zu seinen Gunsten darauf beruft. Dies steht jedoch z.B. für Krankenhäuser in privater Trägerschaft nicht im Raum.

Soweit also der deutsche Gesetzgeber nicht tätig wird und das Arbeitszeitgesetz ändert, dürfte die neue Rechtsprechung des EuGH nichts an der arbeitszeitrechtlichen Betrachtungsweise des Bereitschaftsdienstes in Deutschland geändert haben. Bereitschaftsdienst zählt nicht zur Arbeitszeit, soweit keine Inanspruchnahmen erfolgen.

c. Vergütungsrechtliche Betrachtungsweise

Zunächst ist festzustellen, dass Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft keine Überstunden im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG sind (BAG 24.10.00 - Az. 9 AZR 634/99). Für Bereitschaftsdienste gezahlte Vergütungen sind also bei der Berechnung des Urlaubsentgeltes zu berücksichtigen.

Vergütungsrechtlich ist unabhängig von der weiteren Entwicklung des arbeitszeitrechtlichen Arbeitszeitbegriffes die Bezahlung des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit jedoch keinesfalls zwingend. Maßgeblich ist und bleibt - wie im übrigen Zivilrecht auch - die vertragliche Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien.

Das BAG hatte in diesem Zusammenhang in seinem Urteil vom 22.11.00 - Az. 4 AZR 612/99 zur Frage der Vergütung des Bereitschaftsdienstes ausgeführt:

"Auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 03.10.00 in der Rechtssache C-303/98 (NZA 2000, 1227) kommt es für den vorliegenden Rechtsstreit nicht an. Diese primär zu der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23.11.93 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. EG L 307 S 18) ergangene Entscheidung betrifft allein die Frage, ob Bereitschaftsdienst im Sinne des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzes Arbeitszeit ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof für Bereitschaftsdienste "in Form persönlicher Anwesenheit in der Gesundheitseinrichtung" - in jenem Fall ging es um Ärzte - angenommen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs befasst sich nicht mit der vorliegenden Frage, wie Bereitschaftsdienst zu vergüten ist."

Das BAG hatte dem Kläger letztlich keine Überstundenvergütung für die geleisteten Bereitschaftsdienste zuerkannt, sondern vielmehr festgestellt, dass die Bereitschaftsdienste im Tarifsinne und vergütungsrechtlich von der Beklagten richtig behandelt wurden, da dem Kläger der im Tarifvertrag vereinbarte Freizeitausgleich gewährt wurde.

Soweit also im Arbeitsvertrag die Bezahlung des klinikärztlichen Bereitschaftsdienstes geregelt ist, steht dem betreffenden Arbeitnehmer grundsätzlich auch nur die dort vereinbarte Vergütung zu. Das gleiche gilt für Regelungen in Tarifverträgen oder anderen Vereinbarungen. Findet sich im Arbeitsvertrag und auch sonst keine entsprechende Vereinbarung, so bleibt ggf. noch der Weg über eine betriebliche Übung, falls der Bereitschaftsdienst in der Klinik über Jahre hinweg in einer bestimmten Höhe vergütet wurde.

8. Praktische Auswirkungen und Zusammenfassung

Angesichts der vorstehend dargestellten unterschiedlichen Einordnung des Begriffes der Arbeitszeit stellt sich die Frage nach den praktischen Auswirkungen der Entscheidungen auf den klinikärztlichen Bereitschaftsdienst in Deutschland.

Mitbestimmungsrechtlich ist Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit anzusehen, so dass bei Einführung, Anordnung oder Änderung von Bereitschaftsdiensten Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach dem BetrVG entstehen können. Im Raum steht hier § 87 Abs. 1 Ziff. 3, der die vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit regelt.

Das gleiche hat das BAG bereits für Rufbereitschaftszeiten im Rahmen von § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG entschieden (BAGE 41, 200/208 f).

Auch in der Literatur wird der Bereitschaftsdienst überwiegend unter dem Begriff der Arbeitszeit iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG subsumiert (Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 19. Auflage, § 87, Rand-Nr. 97; GK/Wiese, BetrVG, 6. Auflage, § 87 BetrVG, Rand-Nr. 338; Richardi § 87 BetrVG, Rand-Nr. 293 und 339, Rand-Nr. 293 und 339; a.A. Hess/Schlachauer/Glaubitz, 5. Auflage, § 87 BetrVG, Rand-Nr. 167).

Arbeitszeitrechtlich kann Bereitschaftsdienst auch in Form der persönlichen Anwesenheit in der Gesundheitseinrichtung im Ergebnis wohl nicht pauschal unter den arbeitszeitrechtlichen Begriff der Arbeitszeit subsumiert werden. Dagegen spricht zumindest der eindeutig im ArbZG zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers, Bereitschaftsdienst der Ruhezeit und nicht der Arbeitszeit zuzuordnen. Daran sind zunächst auch die Gerichte gebunden, soweit nicht ausnahmsweise eine unmittelbare Wirkung der Richtlinie 93/104/EG in Betracht kommt.

Es bleibt also zunächst abzuwarten, ob der Gesetzgeber sich zu einer entsprechenden Änderung des Arbeitszeitgesetzes entschließt. Das Urteil des Arbeitsgerichtes Kiel zeigt allerdings deutlich, dass das Ergebnis eines Instanzenzugs - insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Vorlage zum EuGH - als offen bezeichnet werden muss, setzt man an der im ArbZG enthaltenen Definition des Begriffes der Arbeitszeit an und legt diesen aus. Es besteht die Möglichkeit, dass der vom EuGH aufgestellte Rechtsgrundsatz in Zukunft auch für den klinikärztlichen Bereitschaftsdienst in Deutschland allgemein anzuwenden ist. Daher empfiehlt es sich bereits jetzt, diese zukünftige Entwicklung einzuplanen.

Der vergütungsrechtliche Arbeitszeitbegriff bleibt demgegenüber auch weiterhin der privatautonomen Definition der Arbeits-, Tarifvertragsparteien oder Betriebspartner vorbehalten. Die Subsumtion des Bereitschaftsdienstes in Form persönlicher Anwesenheit unter den arbeitszeitrechtlichen Begriff der Arbeitszeit hat keine zwingenden Auswirkungen auf den Vergütungsanspruch.

Beim Abschluss von Arbeitsverträge empfiehlt sich jedoch eine ausdrückliche Vereinbarung über die Bezahlung des Bereitschaftsdienstes, um so späteren Auslegungsproblemen vorzubeugen.

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