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"Möglichkeiten zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Internet-Service-Providern und Strafverfolgungsbehörden" von Dr. Jürgen-P. Graf
Dr. Jürgen-P. Graf, Richter am BGH, Karlsruhe

Zusammenarbeit zwischen ISP´s und Strafverfolgung

Möglichkeiten zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen
Internet-Service-Providern und Strafverfolgungsbehörden


"Möglichkeiten der Bekämpfung des
Extremismus/Terrorismus im Internet:
Technische Aspekte, Tools und Grenzen"
Tagung des Bundeskriminalamtes
vom 14. bis 16. April 1999 in Berlin


I. Einleitung:

Das Internet ist ein globales Medium, welches für Betreiber wie auch Nutzer ungeahnte Möglichkeiten bietet. Erstmals sind damit Informationen ohne territoriale Eingrenzung grundsätzlich weltweit verfügbar. Das Internet spiegelt aber auch zumindest teilweise die reale Welt wieder. Zu dieser realen Welt gehören, wie wir alle wissen, Straftaten in jeglicher Form.

Durch seinen Aufbau bietet das Internet erstmals Straftätern die Möglichkeit, ohne größeren Aufwand über territoriale Grenzen hinweg zu agieren und - unbeeinträchtigt von Polizei- und Zollkontrollen - Geld zu transferieren bzw. Geldbeträge über Kreditkartenabrechnungen einzuziehen.

Gerade bei Straftaten im Internet können nationale Polizei- und Ermittlungsbehörden allein oftmals nur schwer Fahndungserfolge erzielen, wenn beispielsweise sowohl der Anbie­ter wie auch der Provider einer Web-Site sich im Ausland befinden.

Neben der wichtigen Zusammenarbeit nationaler Polizeibehörden ist daneben für erfolgreiche Ermittlungen aber auch gerade eine gute Zusammenarbeit zwischen den Strafverfolgungsbehörden und den Internet-Service-Providern erforderlich. Hierbei verkenne ich nicht, daß die Interessen von Ermitt­lungsbehörden und Internet-Service-Providern vielfach nicht zusammenfallen, sondern oftmals eher gegenläufig sind. Andererseits haben auch Provider ein großes Interesse daran, daß die Funktion des Netzes durch Hacker oder andere Störer nicht beeinträchtigt wird.

Bevor ich auf die Bereiche und Möglichkeiten einer Zusammenarbeit eingehe, will ich zunächst die Grundvoraussetzungen für deutsche Strafverfolgungsbehörden darstellen:
  • Zuständigkeit nach deutschem Strafrecht
  • Mögliche Straftaten im Internet
  • Eingriffsbefugnisse deutscher Behörden.

II. Zuständigkeit deutscher Ermittlungsbehörden

Grundsätzlich sind alle Informationen auf den zum Internet verbundenen Computern ohne territoriale Eingrenzung weltweit verfügbar. Obgleich diese damit im Regelfall auch in Deutschland abgerufen werden können, ist hinsichtlich jedes einzelnen Sachverhalts zunächst die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts gemäß §§ 3 bis 7 und 9 StGB zu prüfen.

Soweit ein Anbieter, Provider oder Online-Dienst seinen Wohnsitz oder Sitz in Deutschland hat und von dort aus Informationen in das Internet (auf deutsche oder ausländische Rechner) einspeist, liegt eine Inlandstat nach dem auf dem Territorialitätsprinzip beruhenden § 3 StGB vor. Ebenso gilt dies für alle Daten, welche auf deutschen Internet-Rechnern abgelegt sind. Eine Inlandstat ist weiterhin gegeben, wenn beispielsweise ein Nutzer von hier aus pornographische Bilder von einem ausländischen Rechner herunterlädt.

Das Verbreiten oder Zugänglichmachen pornographischer Schriften gemäß § 184 Abs. 3 und 4 StGB (sogenannte "harte" Pornographie) unterfällt auch als Auslandstat nach dem Weltrechtsprinzip (§ 6 Nr. 6 StGB) dem Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland.

Umstritten ist die Einordnung der am häufigsten auftretenden Fälle, in denen Netzangebote mit (nach deutschem Recht) illegalen Inhalten im Ausland in das Internet eingespeist worden sind. Vor allem rechtsextremistische Propagandaseiten sind vielfach auf Internet-Rechnern in USA oder Kanada abgelegt. Für weitere Ermittlungen deutscher Behörden kommt es daher entscheidend darauf an, ob bei einem Abruf solcher Dokumente von Deutschland aus ein Erfolg gemäß § 9 Abs. 1 StGB (auch) in Deutschland eingetreten ist. Gerade bei abstrakten Gefährdungsdelikten (Äußerungsdelikte; z.B. §§ 86a, 130 StGB), wird bislang überwiegend ein Erfolgsort in Deutschland abgelehnt. Ob diese eher konservative Interpretation des § 9 Abs.1 StGB angesichts des sekundenschnellen und weltumspannenden Datenaustausches im Internet auch künftig angebracht ist, erscheint zweifelhaft. Es ist nämlich hervorzuheben, daß beispielsweise das Verbreitungsverbot von Pornographie in § 184 Abs.1 StGB gerade auch die Kinder und Jugendlichen (in Deutschland) schützen soll.

Auf jeden Fall ist aber ein Erfolg entspr. § 9 Abs.1 StGB eingetreten, wenn mittels Email oder auf andere Weise pornographische Darstellungen an Nutzer in Deutschland verschickt werden.

III. Straftaten im Internet

Das Internet wird mit seinen verschiedenen Diensten inzwischen für nahezu jede Art krimineller Betätigung genutzt. Hauptanwendungsfälle sind:

Pornographie: Die bereits erwähnte Verbreitung von Pornographie erfolgt sowohl über das World Wide Web (WWW), als auch über Newsgroups (News), File Transfer Protokoll (FTP), Internet Relay Chat (IRC) und per Email. Dabei ist (Kinder-)Pornographie kein Phänomen des Internets; doch haben dessen neue Techniken auch neue Dimensionen und Gefährdungslagen geschaffen: Sowohl Verteiler als auch Abnehmer können (relativ) anonym bleiben. Insoweit erweist es sich als Realität, daß die Meldungen der Medien über Kinder- und Tierpornographie im Internet und den vorhandenen Tauschhandel sowie Angebote für Pädophile und Pädosadisten in Chatrooms und Newsgroups nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Die seit Februar 1999 aufgenommenen anlaßunabhängigen Ermittlungen des Bundeskriminalamtes nach Kinderpornographie im Internet stellen einen ersten Schritt zur Bekämpfung dieser Straftaten dar. Sicherlich werden sie aber auch zu einer erheblichen Mehrbelastung der Justiz führen.

Extremistische Propaganda: Schon frühzeitig haben insbesondere rechtsextremistische Täter begonnen, ihr Gedankengut über das Internet weltweit zu publizieren und auf diese Weise Post- und Zollkontrollen bundesdeutscher Ermittlungsbehörden umgangen. Derzeit existieren mehr als 200 Homepages deutscher sowie über 300 Homepages ausländischer Rechtsextremisten. Auch soweit es sich um deutsche Täter handelt, speichern sie regelmäßig ihre Propaganda auf ausländischen Rechnern ab, um Ermittlungen zu erschweren. Daneben benutzt diese Tätergruppe das Internet auch zum schnellen und preisgünstigen internen Informationsaustausch, da einerseits per Email Nachrichten ohne großen Aufwand und Kosten an einen vorbestimmten Verteiler verschickt und andererseits die elektronische Post zum Schutz vor eventuellen Überwachungsmaßnahmen sicher verschlüsselt werden kann.

Software- und Datenpiraterie: Allenfalls als Kavaliersdelikt wird der alltägliche Datenklau im Internet angesehen, beginnend mit dem Kopieren fremder Fotografien oder Bilder bis zur Inanspruchnahme aufwendiger Webauftritte anderer Nutzer zum eigenen Gebrauch.

Ernsthafte wirtschaftliche Einbußen befürchtet die Musikindustrie durch die erst in den letzten Monaten bekannter gewordene Technik des illegalen Kopierens geschützter Musiktitel durch das Komprimierungsverfahren MP3. Diese Problematik wird sich verstärken, nachdem es mittels nunmehr verfügbarer MP3-Player sogar möglich ist, MP3-Dateien direkt abzuspielen.

Bereits bezifferbar ist der jährliche wirtschaftliche Schaden durch das illegale Kopieren geschützter Software. So lag die geschätzte Raubkopierate für Deutschland 1997 bei 33% und der entstandene Schaden für die Softwareindustrie bei 891 Millionen Mark. Das Internet verschärft dieses Problem, da der Vertrieb über dieses Medium stark zunimmt. Allein die Zahl von Internet-Web-Sites mit illegaler Software liegt heute bei mehr als 50.000. Während das dort verfügbare Angebot bislang überwiegend (bis auf die entstehenden Telefon- und Internetgebühren) kostenlos war, mehren sich Angebote, ganze CD´s mit Software nach Wunsch zusammenzustellen und nach Bezahlung über Kredit­karte per Post zu übersenden. "Verkaufspreise" von 50 - 100 Dollar für Kompilationen im Verkaufswert von 10.000 DM und mehr sind durchaus üblich.

Vermögensdelikte: Mit der Zunahme des elektronischen Handels (E-Commerce) häufen sich Betrugstaten in Verbindung mit der Bestellung von Waren und Dienstleistungen. Schwierigkeiten ergeben sich naturgemäß bei ausländischen Angeboten hinsichtlich der Täterermittlung sowie der nur eingeschränkt möglichen Rückbuchung von eingezogenen Kreditkartenbeträgen. Inwieweit die nunmehr auch hier beliebt gewordenen Internet-Auktionen mit privaten Anbietern ein zusätzliches Tatpotential ergeben werden, ist noch nicht absehbar.

Nachdem kürzlich die erste Erpressung aufgeklärt werden konnte, bei der ein Täter den Erpresser-Briefwechsel mittels elektronischer Post abwickelte, ist zu befürchten, daß wegen der damit verbundenen Vorteile dieses Vorgehen bald Nachahmung finden wird.

Sonstige Straftaten: Meist im Zusammenhang mit extremistischen Äußerungsdelikten steht die öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) und/oder die Billigung von Straftaten (§ 140 StGB). Beispielsweise seien nur Bastelanweisungen zum Eigenbau von Bomben verschiedenster Art oder zur Durchführungen von Anschlägen auf die Eisenbahn angeführt.

Beleidigungsdelikte und Nachbarschaftsstreitigkeiten sind im Internet noch nicht an der Tagesordnung. Infolge der schnellen Gestaltungs- und Reaktionsmöglichkeiten sowie der günstigen Kosten ist jedoch auch diesbezüglich einer Durchsetzung dieses Mediums zu erwarten.

Die Möglichkeiten im Internet, von beliebigen Staaten aus weltweit zu agieren, haben bereits dazu geführt, daß eine Vielzahl von Glücksspielen im Netz angeboten werden. Auch wenn der Mitspieler mit seinem möglicherweise per Kreditkarte entrichteten Einsatz mehr als bei einem realen Glücksspiel gefährdet erscheint, ist bei einem im Ausland agierenden Anbieter wohl keine dem deutschen Strafrecht (§§ 284 ff. StGB) unterfallende Tathand­lung gegeben.

IV. Eingriffsbefugnisse:

Die im Zusammenhang mit Internet-Straftaten wichtigsten Eingriffsmöglichkeiten zur Aufklärung von strafbaren Handlungen und zur Täterermittlung sind folgende:
  • Vernehmung von Zeugen (§ 48 ff. StPO)
Gericht und Staatsanwaltschaft haben zusätzlich die Möglichkeit, das Erscheinen und sofern kein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht gegeben ist auch die Aussage des Zeugen mit Zwangsmitteln (§§ 51, 70 StPO) durchzusetzen.
  • Sicherstellung von Beweismitteln (§ 94 StPO)

  • Beschlagnahme von Beweismitteln (§ 98 StPO)

  • Postbeschlagnahme (§ 99 StPO)

  • Durchsuchung (§ 102 ff. StPO)
    • beim Verdächtigen (§ 102 StPO)
    • bei anderen Personen (§ 103 StPO)

  • Überwachung der Telekommunikation (§§ 100a, 100b StPO; § 12 FAG)

Hier ist besonders darauf hinzuweisen, daß sowohl für die Durchführung als auch die Beendigung einer Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme die Staatsanwaltschaft zuständig ist (§§ 36 Abs. 2, 100b Abs. 4 StPO). Jedoch kann die Staatsanwaltschaft mit der Übermittlung an den Betreiber der Telekommunikationsanlage die Polizei beauftragen.

Die Betreiber von Telekommunikations-Überwachungsanlagen haben die erforderlichen technischen Einrichtungen zur Überwachung vorzuhalten; sie haben keine Befugnis zur Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen einer Überwachungsanordnung!

Die Nichtbefolgung einer Überwachungsanordnung kann durch Zwangsmittel (Ordnungsgeld oder Beugehaft, §§ 100b Abs. 3, 95 Abs. 2, 70 StPO) durchgesetzt werden.

V. Mögliche Bereiche von Zusammenarbeit

1. Technischer Austausch

In der zurückliegenden Zeit haben sich viele Schwierigkeiten in Ermittlungsverfahren dadurch ergeben, daß die technischen Voraussetzungen bei einzelnen Providern und Online-Diensten sich erheblich voneinander unterschieden und dies für die Ermittlungsbehörden nicht sogleich erkennbar war. Hier ist es sicherlich für eine reibungslose Zusammenarbeit sehr dienlich, wenn zumindest zwischen Groß-Providern und Online-Diensten sowie den Zentralstellen der Polizei auch ohne den Anlaß ei­nes Ermittlungsverfahrens regelmäßig Gespräche mit dem Ziel eines technischen Austausches stattfinden. Hierzu zählt auch die Benennung technischer Ansprechpartner auf beiden Seiten.

Auch im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens sollte der betroffene Provider - spätestens wenn er eine Anordnung der Ermittlungsbehörden erhält - zur Beschleunigung der konkret angestrebten Maßnahmen und zur Vermeidung von Zwangsmitteln durch die Ermittlungsbehörden sogleich das Gespräch suchen, wenn sich Pro­bleme ergeben sollten.

Es hat sich in einigen Bereichen als sehr sinnvoll erwiesen, wenn auch nach Abschluß einer Ermittlungsmaßnahme sich die Techniker beider Seiten noch einmal austauschen, um Verbesserungen für künftige Fälle zu erreichen. Gerade diese Gespräche dienen nicht nur der Beschleunigung der Ermittlungsmaßnahmen, sondern vor allem auch dem Ziel, auch künftig die Geschäftstätigkeit von Providern durch Ermittlungsmaßnahmen möglichst wenig zu beeinträchtigen.

2. Jederzeit sollte ein Austausch zwischen Providern und Ermittlungsbehörden hinsichtlich eventueller strafbarer Inhalte von Internet-Daten erfolgen. Hierbei ist in erster Linie nicht daran zu denken, daß Provider selbst veranlaßt werden sollen, eine sogenannte "Netz-Patrouille" durchzuführen. Vielmehr geht es vor allem darum, Hinweise, welche die Provider unter anderem von Privatpersonen erhalten, an die Polizeibehörden weiterzuleiten.

3. Wichtig sind auch Gespräche zwischen Internet-Providern und der zuständigen Staatsanwaltschaft bzw. Polizei sowohl auf lokaler wie auch auf überregionaler Ebene. Hierdurch können sowohl Informationen über die Tätigkeit von Internet-Service-Providern, deren technische Möglichkeiten im Rahmen von Überwachungs- oder Sperrmaßnahmen sowie gegebenenfalls auch Informationen über Inhalte im Netz weitergegeben werden. Erste Ansätze zu solchen Gesprächen zwischen den Groß-Providern und den Ermittlungsbehörden des Bundes gab es bereits im Jahre 1996. Diese stoppten dann leider, nachdem es zu ersten Ermittlungsverfahren gekommen war. Seit einigen Wochen hat sich unter der Organisationsleitung des Bundeskriminalamtes eine sehr kompetente Gesprächsgruppe zusammengefunden, wobei ich guter Hoffnung bin, daß hier in den kommenden Monaten viele Problempunkte und Streitfragen angesprochen und möglicherweise auch gelöst werden können.

Ein erster Schritt hierfür war und ist die Benennung von Ansprechpartnern auch in der Geschäftsführung der jeweiligen Service-Provider, um in Problemfällen nicht nur die Techniker, sondern auch beispielsweise die Leitung eines Service-Providers direkt zu informieren oder Hinweise zu geben.

VI. Sonstiges

Nach deutschem Recht werden Personen und Firmen, welche von den Justizbehörden in Anspruch genommen werden, entschädigt. Gemäß § 17a ZSEG können Internet-Service-Provider wie Zeugen für deren Auskünfte entschädigt werden, auch wenn teilweise mit Pausch- bzw. Festbeträgen nicht die tatsächlichen, wirtschaftlich berechenbaren Kosten bezahlt werden.

VII. Schlußbemerkung

Netzpatrouille und anlaßunabhängige Recherche im Internet durch deutsche Ermittler stellen eine erste Möglichkeit dar, um Straftätern entgegenzutreten und die Nutzer zu schützen. Der deutsche und internationale Gesetzgeber ist aufgerufen, Gesetzeslücken zu schließen und Streitfragen möglichst aufzulösen, denn Rechtssicherheit ist für alle Beteiligten die Voraussetzung für ein gemeinsames Bemühen darum, daß das Internet auch in Zukunft in erster Linie Wissen, Informationen und eine verläßliche Grundlage für die wirtschaftliche Fortentwicklung bietet.

Zu diesem gemeinsamen Bemühen ist aber auch die Suche nach dem effektivsten Weg zu rechnen, wie Straftaten möglichst vermieden, zumindest aber schnell aufgeklärt werden können. Das Gespräch und der Austausch zwischen Internet-Service-Providern und Ermittlungsbehörden ist ein wichtiger Meilenstein auf diesem Weg.

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