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"Der Hamburger Terrorprozess - Teil 1" von Roland Meyer
Für Jurawelt war live im Gerichtssaal: Roland Meyer


Der Hamburger Terrorprozess – Teil 1


Vor dem 3. Strafsenat des OLG Hamburg wurde am Morgen des 05.02.2004 erneut gegen Abdelghani Mzoudi im Zusammenhang mit den Terroranschlägen des 11. September 2001 verhandelt. Die Verkündung des ursprünglich für Dezember letzten Jahres angesetzten Urteils wurde nach einem mehrmonatigen Prozess am heutigen Tage erwartet. In mehr als 30 Verhandlungstagen wurden über 50 Zeugen gehört, darunter Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes sowie der amerikanischen Bundespolizei FBI. Weiterhin wurden durch die 5 Richter des Staatsschutzsenates mehrere hundert Urkunden verlesen und ausgewertet.

Die Bundesanwaltschaft nutzte sowohl die herkömmlichen Ermittlungsmethoden der Strafprozessordnung, als auch geheimdienstliche Erkenntnisse amerikanischer und deutscher Herkunft.


Anklage


Der Marokkaner Mzoudi (31) war der Beihilfe zum Mord und des versuchten Mordes in 3.066 Fällen sowie der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt.

Konkret werden ihm vier Beihilfehandlungen vorgeworfen: So soll er die Anschrift einer Mietwohnung in der Marienstraße 54 (Hamburg-Harburg) den späteren Attentätern des 11. September für postalische Korrespondenz zur Verfügung gestellt haben. Weiterhin habe er die finanziellen Angelegenheiten des Attentäters Zakariya Essabar geregelt, während sich dieser in einem Ausbildungslager der "al-Qaida" in Afghanistan aufhielt. Ferner soll er laut Anklage für den konspirativen Aufenthalt der Terroristen in Hamburger Studentenwohnheimen gesorgt haben. Ebenso soll er Essabar im Dezember 2000 seine EC-Karte samt PIN überlassen haben, so dass dieser die Anschlagsplanung auch in Abwesenheit Mzoudis vorantreiben konnte.

Die Anklage wurde vertreten von der Bundesanwaltschaft sowie den Prozessvertretern zahlreicher US-amerikanischer Nebenkläger.


Verhandlung


Die Verhandlung begann mit einem Antrag auf Wiedereintritt in die Beweisaufnahme. Rechtsanwalt Schulz als Prozessvertreter des Nebenklägers Push begehrte ein erneutes Rechtshilfeersuchen an die Vereinigten Staaten, um an eine – für den Angeklagten möglicherweise belastende – Aussage des Zeugen Ramzi Binalshibh zu gelangen. Binalshibh befindet sich in Gewahrsam der USA; die Vernehmungsergebnisse wurden zwar deutschen Behörden übergeben, jedoch nicht für die Verwendung in einem öffentlichen Prozess zugelassen. Dieser Antrag wurde nahezu wortgleich durch die Bundesanwaltschaft im Dezember bereits zwei Mal in den Prozess eingebracht und vom Gericht abgelehnt.

Rechtsanwalt Schulz versicherte, ihm lägen neue Erkenntnisse des US-Justizministeriums vor, aus denen sich entnehmen lasse, dass die Vereinigten Staaten bei Wahrung der Geheimhaltung die Verwertung der Aussage im Prozess zulassen würden. Auf Nachfrage war er jedoch nicht bereit, das ihm angeblich vorliegende Schreiben als Beweismittel zur Verfügung zu stellen. Er verwies seinerseits auf eine Schweigepflicht, wollte auch nicht ausführen, wer ihm diese auferlegt hatte.

Er wies zutreffend auf die Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit sowie die Schweigepflicht der verbeamteten Teilnehmer der Hauptverhandlung hin. Dies entspreche den Regelungen des amerikanischen CIPA (Classified Information Procedures Act), das eine Geheimhaltungspflicht klassifizierter Informationen begründe. Auch in Staatsschutzverfahren wie dem "Labelle"- sowie dem "Mykonos"-Prozess sei davon Gebrauch gemacht worden, so der Einwand des Rechtsanwaltes Schulz.

Weiterhin verwies er auf das derzeit am BGH anhängige Revisionsverfahren gegen Mounir el Motassadeq, der sich wegen derselben Delikte verantworten muss. Anlässlich der Revisionsverhandlung soll der Vorsitzende Richter am BGH auf die völkerrechtliche Pflicht der USA, sowohl entlastende als auch belastende Beweise vorzulegen, hingewiesen haben.

Sowohl Bundesanwaltschaft als auch Verteidigung maßen dem Antrag keine Chancen bei.

Nach einer zweistündigen Unterbrechung der Sitzung verwarfen die Richter den Antrag, mit der kurzen Begründung, dass sich die Lage in den USA hinsichtlich der Rechtshilfe nicht geändert habe. Bisherige Rechtshilfeersuchen waren bereits gescheitert. Es bestehe keine weitere Aufklärungspflicht. Weiterhin warfen sie die interessante Frage auf, ob nachrichtendienstlich gewonnene Vernehmungsergebnisse überhaupt prozessual verwendbar seien, da deren Herkunft möglicherweise nicht den strengen Regeln der Strafprozessordnung genüge. So sei nicht einmal geklärt, ob und wie Zeugen belehrt wurden und welche Rechte ihnen dort zustehen.

Die Beweisaufnahme wurde geschlossen.

Alle Beteiligten verzichteten auf erneute Plädoyers und hielten an ihren ursprünglichen Anträgen fest:

Die Anklage forderte 15 Jahre Freiheitsstrafe, die Verteidigung Freispruch.


Urteil


"Herr Mzoudi, Sie sind freigesprochen. Es ist aber kein Grund zum Jubeln. Ich habe Sie nicht freigesprochen, weil das Gericht von Ihrer Unschuld überzeugt ist, sondern weil die Beweismittel für eine Verurteilung nicht ausgereicht haben. Nur Sie wissen, was Binalshibh und Atta Ihnen erzählt haben. Doch auch hier gilt wie in allen andere Prozessen: Im Zweifel für den Angeklagten."

Vor der Urteilsbegründung erlaubte sich der Vorsitzende Richter Klaus Rühle noch einige Bemerkungen zum Gebärden der Nachrichtendienste und Polizeibehörden im Umfeld des Prozesses. Er kritisierte scharf die die Bundesanwaltschaft als auch das Bundeskriminalamt, da diese Behörden Unterlagen aus der Ermittlungsakte dem Gericht vorenthalten hatten, die erst durch einen Artikel in dem Nachrichtenmagazin SPIEGEL (Ausgabe 44/03) unter ungeklärten Umständen an die Öffentlichkeit gelangten. Es könne nicht angehen, dass eine Behörde willkürlich über die Veröffentlichung oder Zurückhaltung prozessrelevanter Ermittlungsergebnisse entscheide. Dies dürfe keinesfalls zu Lasten des Angeklagten gehen.

"Dieses Urteil mag Unverständnis, Bitterkeit und Wut hervorrufen und als Niederlage bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus erscheinen. Ich möchte anmerken: Man darf nicht aus den Augen verlieren, dass es sich beim 11. September um eines der schrecklichsten Verbrechen seit Menschengedenken handelt. Die schrecklichen Bilder verbleiben in unser aller Erinnerung. Wir haben hier durch die Vernehmung der Nebenkläger am 4.12. einen persönlichen Eindruck davon erhalten."


Feststellungen zur Person und Begründung


Seit Juni 1993 in Deutschland lebend, absolvierte der Marokkaner Abdelghani Mzoudi das Studienkolleg in Münster und wechselte 1995 zunächst zur Technischen Universität Hamburg-Harburg, daraufhin zur Fachhochschule Hamburg. Er begann ein Studium der Elektrotechnik.

Nach den Erkenntnissen des Gerichts schloss er sich im Wintersemester 1995/1996 einer religiösen Gruppe an, der im Folgenden auch die späteren Attentäter beitraten. Es kam mit der Zeit zu einer verbalen Radikalisierung; Mitglieder der Gruppe äußerten mehrfach ihren Hass auf das "Weltjudentum", die Vereinigten Staaten und den westlichen Lebensstil. Selbstmordattentate, z.B. in Israel, wurden befürwortet.

Mzoudi war laut Erkenntnis des Gerichts eine schüchterne und zurückhaltende Randfigur, die die Meinung der Gruppe akzeptierte, sich aber nur selten selbst äußerte. So soll er einmal verlauten lassen haben, er befürworte Anschläge, wie z.B. das "Lockerbie"-Attentat, selbst, wenn dabei Kinder umkämen, denn "auch aus einem kleinen Juden wird 'mal ein großer".

Die Hauptverhandlung hat jedoch nicht ergeben, dass zu diesem Zeitpunkt schon ernsthafte Pläne für einen Anschlag bestanden. Im Herbst 1999 planten Mitglieder der Gruppe, für den Islam im "Heiligen Krieg" zu kämpfen, zunächst in Tschetschenien. Der Plan wurde geändert, so dass als neues Reiseziel Afghanistan auserkoren wurde – dort wollten sie sich in einem Ausbildungslager der "al-Qaida" betätigen.

Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass die Hamburger Studenten zu diesem Zeitpunkt noch nicht in die Anschlagsplanungen involviert waren, wenn sie überhaupt schon davon wussten.In Afghanistan wurde ein erneuter Anschlag auf das World Trade Center bereits seit mehreren Jahren in Erwägung gezogen, nachdem das Bombenattentat 1993 gescheitert war. Die neue Idee beinhaltete, Flugzeuge als Waffen zu verwenden.

Während die 4 Mitbewohner und Kommilitonen Mzoudis bereits ihre Flugausbildung absolvierten, hielt er sich wechselweise in Afghanistan und in Deutschland auf.

In den USA verwendeten die Flugschüler die von Mzoudi angemietete Wohnungsanschrift in der Marienstraße 54 für ihre Korrespondenz, z.B. mit US-Behörden und der Hamburger Universität. Mzoudi bezahlte während deren Abwesenheit Semesterbeiträge für die Universität, GEZ-Gebühren sowie die Miete u.ä.

Erwiesen ist ferner, dass während Mzoudis Auslandsaufenthalt Überweisungen von seinem Konto zu Initiatoren des Anschlages stattfanden. Es ist davon auszugehen, dass er einem seiner Kommilitonen seine EC-Karte samt PIN zu diesem Zweck überließ.

"Am 11. September 2001 schlug American Airlines Flug Nr. 11 um 8.45 Uhr in den Nordturm des World Trade Center ein, der daraufhin um 10.25 Uhr einstürzte. United Airlines, Flug Nr. 175, schlug um 9.05 Uhr in den Südturm ein, der infolgedessen um 9.55 Uhr einstürzte. Um 9.39 stürzte American Airlines Flug Nr. 77 in das Pentagon. Um 10.03 stürzte United Airlines Flug Nr. 93 in Virginia ab, nachdem Passagiere die Entführer überwältigt hatten", so Rühle in der Urteilsverkündung.

Während dieser Schilderung schlug der im gesamten Prozess regungslose Mzoudi die Hände vor das Gesicht und senkte den Kopf.


Beweiswürdigung


Bezugnehmend auf die Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung, müsse man die deutliche Zäsur zwischen islamischem Fanatismus und den Merkmalen einer Terrorgruppe sehen, so Rühle. Verbale Äußerungen reichten nicht für eine Verurteilung nach § 129 a aus.

In Hamburg fand des Weiteren nicht einmal die Planung der Anschläge des 11. September statt. Zwar ging man zunächst davon aus, dass hier eine "Parallelplanung" zu Afghanistan stattfand, jedoch wurde dies im Verlauf des Prozesses verworfen. Äußerungen der Gruppenmitglieder gegenüber Zeugen verblieben unklar und konnten nicht belastend verwertet werden. Dies mag damit zusammenhängen, dass die Zeugen erst 2 Jahre nach den Anschlägen aussagten und durch die Einwirkung der Medien einen subjektiv geprägten Eindruck der Vorfälle hatten, der unter Umständen ihre Erinnerungen beeinträchtigte.

Auch der Verweis auf eine Internetseite über Flugsimulatoren auf dem von Mzoudi genutzten PC war nicht mehr als ein Indiz. Der spätere Pilot Atta hatte außerdem sein Studium bereits abgeschlossen, als die Anschlagsplanungen begannen, die anderen besuchten fast bis zuletzt noch Vorlesungen an der Universität und nahmen an Klausuren teil.

Es ist auch durchaus realistisch, dass Mzoudi von der Planung der Anschläge nicht in der konkreten Form gewusst haben will – so fanden die Planungen unter äußerster Geheimhaltung statt: Zugehörigkeit zum Islam begründete noch keinen Anspruch auf Teilnahme. Auch die Behauptung der Bundesanwaltschaft, bei der Marienstraße 54 handelte es sich um die "Kommandozentrale der Terroranschläge", hat sich nicht bestätigt.

Letztendlich ging das Gericht noch kurz auf den Ende Januar überraschend aufgetauchten Zeugen Zahiri ein, der durchweg als unglaubwürdig eingestuft wurde. Der Bundesnachrichtendienst urteilte zutreffend, er habe sich zu nahezu jedem Thema als Informant angeboten, sofern es ihm einen persönlichen Vorteil erbrachte. Er sei sowieso nur ein Zeuge vom Hörensagen; daher sind an seine Aussage strengere Anforderungen gestellt, denen er nicht genügte.

Außerdem wurde nachgewiesen, dass er weder Agent des iranischen noch des amerikanischen Geheimdienstes war, wie er behauptete. Überhaupt sei er zum fraglichen Zeitpunkt nachweislich nicht im Iran gewesen.

Bezüglich der Geldgeschäfte für Kommilitonen und der Überlassung der Wohnung konnte nicht erwiesen werden, dass dies im Zusammenhang zu konkreter Anschlagsplanung stand.

Demnach scheidet Vorsatz aus.

Der Angeklagte wird nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz für seine in Untersuchungshaft verbrachte Zeit entschädigt.

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