Aktuelle Information v. 5. Oktober 2003 der Kanzlei Dr.
Bahr
Ein Artikel von Rechtsanwalt Dr. Bahr
In einem neuen Urteil
("Inspire Art") hat der Europäische Gerichtshof
(Urt. v. 30.09.2003 - Az.: C-167/01) erneut klargestellt, dass es
eu-gemeinschaftswidrig ist, wenn ausländische EU-Gesellschaften nicht in einem anderen
EU-Land in ihrer jeweilis bestehenden Rechtsform anerkannt werden.
Begonnen hat die ganze Entwicklung mit dem
"Centros"-Urteil des EuGH im Jahre
1999
(Urt. v. 09.03.1999 - Az.: C-212/97). Bis zu diesem Urteil wurde
von der sog. Sitztheorie ausgegangen. D.h., das Recht desjenigen Staates war
anwendbar, in dem die Gesellschaft ihre effektive, d.h. tatsächliche Tätigkeit
enfaltete. Demnach musste jeder Unternehmer, der in Deutschland tätig werden wollte,
sich nach deutschem Gesellschaftsrecht richten.
Mit dem
"Centros"-Urteil, das ohne zu übertreiben als Grundlagen-Entscheidung
bezeichnet werden kann, stellte der EuGH ausdrücklich fest, dass die Sitztheorie gegen
europäisches Recht verstößt. Vielmehr sei auf die Gründungstheorie zurückzugreifen.
D.h. die rechtliche Beurteilung hat nach den Vorschriften des EU-Landes zu erfolgen,
in dem die Gesellschaft gegründet wurde. Praktische Konsequenz: Somit können jederzeit
auch Firmen mit ausländischen, dem deutschen Gesellschaftsrecht fremden Rechtsformen
am inländischen Wirtschaftsverkehr teilnehmen.
Diese Ansicht untermauerte der EuGH in seiner "Übersee"-Entscheidung im Jahre 2002
(Urt. v. 05.11.2002 - Az.: C-208/00) noch einmal.
Auch der Bundesgerichtshof
(Urt. v. 13. März 2003 - Az.: VII ZR 370/98) hat inzwischen diese
Rechtsansicht übernommen. Anzumerken ist hier aber, dass das Urteil nicht durch den
für Gesellschaftsrecht zuständigen Senat ausgesprochen wurde, sondern durch einen
anderen. Insoweit ist es nicht absolut eindeutig, ob es sich hier um eine endgültige
Änderung der deutschen Rechtsprechung handelt.
In einer jüngeren Entscheidung hat auch das AG Hamburg (Beschl. v. 14.05.2003 - Az.:
67g IN 358/02) die nationale Rechtsfähigkeit einer ausländischen Firma anerkannt.
In der aktuellen Entscheidung des EuGH von Ende September haben die Richter nun
ausdrücklich festgestellt, dass einem Unternehmen ohne vorgeschriebenes Mindestkapital
(Stichwort: "Billig-GmbH") die Niederlassung in anderen EU-Staaten nicht unnötig
erschwert werden darf. Auf den konkreten Fall bezogen bedeutet dies:
- die Mitgliedstaaten dürfen nicht festlegen, dass die Gesellschaftsniederlassung den
Zusatz „ausländische Gesellschaft„ führen muss
- es darf kein bestimmtes Mindestkapital vorgeschrieben sein und/oder bei Verstößen
die persönliche Haftung der Gesellschafter angeordnet werden
Die praktische Konsequenz:
Das deutsche Gesellschaftsrecht mit seinen umfassenden Mindestvoraussetzungen
(Stammkapital, Haftung usw.) könnte auf absehbare Zeit bald der Vergangenheit
angehören. Die Gründung z.B. einer englischen Limited mit sämtlichen Kosten beträgt
nur wenige hundert Euro pro Jahr (inkl. einmaliger Gründungskosten). Insofern wird
gerade in rechtssensiblen Bereichen zunehmend eine Verlagerung ins Ausland stattfinden.
Auf einem anderen Blatt steht freilich, ob solche Firmen im nationalen Verkehr von
den Geschäftspartnern anerkannt werden.